Harley-Davidson Pan America 1250 Test 2021

Was kann die erste Reiseenduro der Amerikaner?

Zeiten ändern sich, wer Motorräder verkaufen will, muss sich anpassen und umstrukturieren - was auf Harley-Davidson mit seinem cruiser- und tourerlastigen Portfolio offensichtlich ganz besonders zutrifft. Überraschend ist aber, in welche Richtung sich die Amerikaner ausbreiten, wer ein Naked Bike oder einen sehr sportlichen Cruiser erwartet hat, wird verwundert sein - mit der brandneuen Pan America 1250 Special wagen sich die Amis in das hart umkämpfte Segment der großen Reiseenduros. Und soviel schon vorweg: Der erste Wurf ist gar nicht so schlecht gelungen!

Als einer der ersten Tester ein neues Motorrad fahren zu dürfen, ist schon eine Ehre. Noch größer ist diese Ehre allerdings, wenn es ein Motorrad ist, das es bisher von dieser Firma noch nicht einmal in ähnlicher Form gab! Also weder eine direkte Vorgängerin, noch eine Urahnin aus alten Zeiten - was bei der bewegten und vor allem langen Geschichte von Harley-Davidson eigentlich gar nicht verwundern würde. Okay, es gab tatsächlich ansatzweise eine Reiseenduro aus dem Harley-Konzern. Als nämlich die extravagante Marke Buell zu Harley-Davidson gehörte, versuchten die Amerikaner mit der Buell Ulysses der angestammten Reiseenduro-Konkurrenz Wasser abzugraben, was allerdings nicht so recht funktionieren sollte.

Pan America 1250 - Harley-Davidsons allererste Reiseenduro ist da!

Unter dem Namen Harley-Davidson gab es allerdings noch kein großes Adventure Bike - wollen wir doch mal sehen, ob dieser Versuch nun von mehr Erfolg gekrönt sein kann. Und tatsächlich scheint Harley-Davidson mit der Pan America 1250 ein richtig guter Erstschlag gelungen ist. Natürlich gibt es da und dort noch kleine Mängel, die man auch gerne netter als Schrulligkeiten umschreiben kann, allerdings ist die Pan Am jetzt schon auf einem sehr hohen Niveau.

Das soll wirklich ein Harley-Motor sein?

Das Triebwerk wird in der Regel nicht nur wegen seiner mittigen Position in einem Motorrad als Herzstück bezeichnet, es verkörpert bei einem Großteil der Maschinen auch zu recht die Seele des Eisens. Und so ist es auch bei der neuen Harley-Davidson Pan America 1250, die trotz der vielen Dinge, die so eine Reiseenduro nun mal können muss, ein Triebwerk besitzt, das die Brücke zwischen den althergebrachten Werten und der Moderne schlagen soll. Daher bin ich bereits beim allerersten Anlassen des Motors äußerst hellhörig, denn - hey, es ist eine Harley! Tja, das mag auch wirklich so sein, alteingesessene Harley-Fans müssen allerdings umdenken. Wer sich nämlich die unzähligen technischen Finessen des neuen 1250 Kubik-Motors reinzieht, wird heillos überfordert sein, wenn er zuvor bei SEINER Marke bestenfalls Stößel, Stoßstangen und Kipphebel kannte. Bei der neuen Pan Am geht es hingegen um 30 Grad Hubzapfenversatz (weshalb sie auch gar nicht so typisch wie eine Harley klingt), Magnesiumdeckel, variable Ventilsteuerung und Natrium in den Auslassventilen zur optimalen Kühlung - um nur einige der Innovationen zu nennen. Es geht also um hochmoderne Features, die dieser neu entwickelte 60°-V2-Motor hat, die ihn wiederum zu einem richtig konkurrenzfähigen Triebwerk innerhalb der Reiseenduro-Riege macht. Mit 152 PS bei 9000 Touren und 127 Newtonmeter Drehmoment bei 6750 Umdrehungen spielt Harley nämlich durchaus in der Oberliga der starken, nennen wir sie Hyper-Adventure Bikes mit.

Das hochmoderne Harley-Davidson Revolution Max-Triebwerk will gedreht werden

Damit kann die neue Pan America 1250 also nicht nur eingefleischte Harley-Fans begeistern, die sowieso alles von der Marke kaufen würden, sondern auch solche, die noch nicht von einem anderen Hersteller völlig eingelullt wurden und daher offen für Neues sind. Denn der Motor funktioniert gut und ist dank der gelungenen Abstimmung des Ride-by-Wire-Systems auch richtig sportlich zu bewegen. Für diese sportliche Note will der V2 aber gefälligst auch ordentlich gedreht werden, die Angabe der höchsten Leistung bei 9000 Touren glaube ich sofort, leider kommt dann 500 Umdrehungen später recht schnell der Begrenzer. Allerdings kann es der Pan Am-Motor ohnehin auch untenrum brav. Da ruckelt nichts, also passt auch die Abstimmung im unteren Drehzahlbereich sehr gut. Nur wird man eben erst ganz oben mit der mächtigen Power belohnt.

Auf der neuen Harley-Davidson Pan America 1250 kann man viel verstellen

Interessant ist bei der neuen Harley-Davidson Pan America 1250, dass die verschiedenen Fahrmodi, die per Knopfdruck am rechten Lenker ausgewählt werden können, auch wirklich Änderungen in der Motorcharakteristik spürbar machen. Da gibt es ja einige Mitbewerber, die zwar verschiedene Modi haben, man wundert sich aber wozu, weil sich ohnehin alles gleich anfühlt. Nicht so bei der Pan Am, schon der Schritt vom Road-Mode auf Sport ändert die Gasannahme eklatant in Richtung Angriff. Ebenso arg ist der Rückschritt auf Rain, ein Modus, den ich tatsächlich nur für sehr ungeübte Piloten und Anfänger als sinnvoll erachte. Und genau damit will Harley mit der Pan Am offenbar neue Kundschaft anlocken, die sich bisher nicht (zu)getraut haben, ein solch voluminöses, großes Motorrad zu fahren.

Perfekt für kleinere Piloten, die trotzdem Pan Am fahren wollen: Adaptive Ride Height

Für diese Theorie spricht unter anderem das Adaptive Ride Height System, das die Sattelhöhe durch Absenken des elektronisch einstellbare Fahrwerks auf knapp 800 Millimeter drückt - ein Wert, der auch so manchem umgänglichen Naked Bike steht. Das System ist nur für die Pan America 1250 Special zu haben, denn die Absenkung funktioniert eben über die Elektronik. Und tatsächlich merkt man diese Funktion (die sich in drei verschiedenen Funktionsweisen einstellen lässt: Automatisch, also die Absenkung bereits bei ganz langsamer Fahrt, schnelle Absenkung im Stand und langsame Absenkung im Stand) spürbar, aber nicht unangenehm.

Ist die neue Harley Pan America 1250 Special wirklich so schwer?

Zu diesem, für viele wohl sehr praktischen Feature, passt auch, dass sich die neue Pan Am vergleichsweise gutmütig und handlich bewegen lässt. Ich würde sie zwar nicht als Handlingwunder bezeichnen, das kann vor allem eine direkte Konkurrentin immer noch besser, aber auch bei der Harley haben es die Techniker geschafft, den Schwerpunkt so zu positionieren, dass sie sehr wohl als ähnlich handlich wie die angestammte Konkurrenz ist. Auf deren Niveau befindet sich übrigens auch das Gewicht der Pan Am, die mit 258 Kilo fahrfertig nur auf den ersten Blick etwas mehr Speck auf den Hüften zu haben scheint. Denn die normale Harley Pan America 1250 muss nicht nur auf den Beinamen Special verzichten, sie kommt auch ohne Seitenschutzbügel, Unterfahrschutz, Hauptständer, das elektronisch verstellbare Showa-Fahrwerk, Daymaker Signature-Scheinwerfer samt Kurvenlicht, Lenkungsdämpfer und Reifendruck-Kontrollsystem daher, weshalb sie lediglich 245 Kilo wiegt. Und das entspricht wiederum ziemlich genau dem Gewicht vieler anderer, gar nicht mal so schweren Konkurrentinnen. Hinzu kommt, dass so manches andere große Adventure Bike mit dieser Fülle an Serienausstattung wie die Pan Am Special, plötzlich sogar um einige Kilo schwerer wird.

Große Namen bei den Komponenten der neuen Pan America 1250 Special

Bei vielen Komponenten vertraut die neue Pan Am Special schlauerweise auf bekannte und rennomierte Namen. Das elektronisch verstellbare (und auch richtig gute) Fahrwerk etwa stammt von Showa, die Bremsanlage vom italienischen Paradebremser Brembo. Doch genau da kommt die Überraschung - ich hätte anhand der technischen Daten (320er-Doppelscheibe an der Front mit radial montierten Vierkolben-Monoblocksätteln) felsenfest angenommen, dass diese Anlage genauso sportlich und gleichzeitig gut dosierbar ist, wie bei der Konkurrenz, wenn sie auch auf Brembo vertraut. Allerdings haben die Harley-Techniker eine zwar sehr gute und auch tadellos dosierbare Bremse daraus gemacht, die diesen festen Biss ab dem ersten Antipser aber vermissen lässt. Schlecht ist die Anlage dadurch natürlich nicht und sie wird bestimmt den einen oder anderen Anfänger, Wiedereinsteiger oder eben Harley-Umsteiger nicht ganz so arg erschrecken, wie es diese präzise aber doch heftig zupackenden Anlagen vieler anderer moderner Reiseenduros tun.

Die neue Harley Pan Am ist nicht perfekt, aber weit entfernt von einer Fehlkonstruktion

Bleiben also noch die tatsächlichen Mängel an der neuen Pan Am 1250, die mir gleich bei der ersten Testfahrt aufgefallen sind und daher doch in die Kaufplanung miteinfließen könnten. Zwei Dinge lasse ich tatsächlich als vertretbare Schrulligkeiten durchgehen, zum einen das Windschild, das in der obersten Position plötzlich völlig wabbelig um mehrere Zentimeter nach vorne und hinten bewegt werden kann. Da es aber in der vorletzten, genauso hohen Position tadellos hält, kann man ja ganz einfach auf die letzte Stufe verzichten. Zum anderen wundere ich mich darüber, dass Harley nach wie vor zwar winzige, praktische Schlüssel (für den Tankverschluss) verwendet, man den Sender für das Keyless-System allerdings extra mitnehmen muss, es ist also nicht so, wie bei nahezu allen anderen Herstellern im Schlüssel integriert. Okay, das ist auch noch vertretbar.

Die Harley-Davidson Pan America 1250 Special ist hochmodern - warum fehlt dann der Schaltassistent?

Am schwersten wiegt für mich persönlich die Tatsache, dass kein Quickshifter, auch nicht für Geld oder nette Worte, auf der Pan Am zu haben ist. Abgesehen davon, dass ich solch einen Schaltassistenten ohne Ausnahme auf jedem Motorrad gut finde, tut es mir besonders auf der herrlich sportlich fahrbaren Harley in der Seele weh, dass dieses Feature fehlt. Wen allerdings dies und die beiden Punkte davor nicht stört, der wird mit der neuen Harley-Davidson Pan America 1250 bestimmt glücklich. Vor allem hört Harley gezwungenermaßen noch ganz genau zu, was wir Tester uns wünschen, denn die Verkaufszahlen der Vorgängerin gibt es klarerweise noch nicht. Daher freut es mich, dass die Harley-Verantwortlichen, die uns bei der Präsentation betreut haben, durchaus offen für diese Kritik waren und glaubwürdig eingelenkt haben, dass dies tatsächlich ein sinnvolles und für so manchen Interessenten vielleicht auch kaufentscheidendes Feature ist. Denn die Erklärung, dass Amerikaner so etwas nicht wollen oder brauchen, lasse ich nicht gelten, die Absätze auf den restlichen Märkten können Harley-Davidson in der derzeitigen Situation nicht völlig egal sein. Wer allerdings kein Problem damit hat, die sechs Gänge in klassischer Weise durchrepetieren zu müssen, wird in der Pan Am eine großartige Partnerin finden.

Die neue Pan Am 1250 kann sogar Offroad sehr gut

Selbst in einem Punkt, der Harley-Davidson bisher eigentlich völlig fremd ist, kann die Pan America 1250 Special voll und ganz überzeugen - im Gelände abseits befestigter Wege. Denn die Erfahrungen bei Flat Track-Rennen nützen bei einer vergleichsweise schweren Reiseenduro herzlich wenig. Umso mehr freut es, dass sowohl die Stehposition, als auch das Handling, das Offroad-ABS und die Offroad-Traktionskontrolle äußerst gut harmonieren. Da verwundert es schon gar nicht mehr, dass auch der Offroad-Modus für das Triebwerk sehr geschmeidig und somit keineswegs kräfteraubend agiert.

Die Optik der neuen Pan Am ist völlig anders - und das ist gut so!

Ach ja, die Optik habe ich noch gar nicht angesprochen, die ist aber wie immer sehr subjektiv. Ich kann allerdings felsenfest behaupten, dass sich Harley mit dieser völlig ungewöhnlichen Optik sehr elegant und schlau aus der Affäre zieht, den anderen etwas nachgemacht zu haben. Denn die Tatsache, dass sich die Amerikaner vom Rest der Adventure Bikes inspirieren ließ, steht außer Frage - der erste Wurf der Amis wäre sonst nämlich niemals so gut geworden!

Fazit: Harley-Davidson Pan America 1250 Special 2021

Die Pan America 1250 ist Harley-Davidsons erster Versuch im Segment der großen Reiseenduros - und es ist ein durchaus gelungener Wurf! Abgesehen von wenigen, tatsächlich vernachlässigbaren Mängeln ist die Pan America 1250 Special ein rundum gutes Adventure Bike, das sogar Offroad gefällt. Wichtiger ist aber, dass sie auf befestigten Wegen ihren durchaus sportlichen Charakter zeigt und sich ziemlich gut in die Liga der üblichen Verdächtigen in dieser Klasse einordnet. Mit innovativen Features wie dem Adaptive Ride Height System könnten es die Amerikaner sogar schaffen, eine größere Zahl an Neukunden zu akquirieren, denen die üblichen Verdächtigen allesamt zu hoch sind.


  • Sportliches Triebwerk
  • bequeme Sitzposition
  • umfangreiche Elektronik
  • eigenständige Optik
  • Kurven-ABS Serie, Kurven-TC Serie
  • optionale Sitzabsenkung im Stand
  • gute Offroad-Eigenschaften
  • Quickshifter nicht erhältlich

Bericht vom 14.04.2021 | 45.426 Aufrufe

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