Schon heute die Technik von morgen erleben
Das durfte ich, MEX hautnah im Bosch Prüfzentrum Boxberg
Ganz gewaltig welche Technologien da auf uns zukommen, soviel sei schon mal verraten. Die Bosch Mannschaft stellte uns äußerst interessante Entwicklungen in Hard- und Software vor ... und das Ganze nicht nur am Papier, sondern bereits zur realen Probefahrt am Bike.
Vernetztes Fahren - es kommt!
Natürlich gibt es viele puristische Motorradfans, welche bei jeglicher Neuigkeit in Sachen Assistenzysteme und elektronischer Helferlein die Hände überm Kopf zusammenschlagen, aber es gibt kein Halten. Die Technik macht Fortschritte und wir Motorradfahren müssen - oder besser gesagt - dürfen mit. ABS und Traktionskontrolle sind heute bereits omnipräsente Begleiter im Motorradalltag. Selbst in der Einsteigerklasse sind die Technologien angekommen und werden bereits für die breite Masse verbaut. Seit Jahresbeginn ist ABS bei Straßen-Motorrädern über 125 ccm übrigens Pflicht. Ähnlich wird es uns mit den nachfolgenden technologischen Errungenschaften im Bericht gehen. Einiges davon wird bereits in aktuellen Modellgenerationen verbaut anderes kommt in Kürze.
Unübersichtliche Kreuzungen mit viel Verkehr? Kein Problem!
Die Vision von Bosch ist es, einen globalen Signalstandard zu kreieren, mit welchem die verschiedensten Fahrzeugklassen, vom Elektrofahrrad bis hin zum LKW, miteinander kommunizieren. Auf Basis von Navigationsdaten und GPS Signalen tauschen Fahrzeuge im Umkreis von mehreren hundert Metern ständig Informationen zu Fahrzeugtyp, Geschwindigkeit, Position und Fahrtrichtung aus. Lange bevor ein Motorrad dann beispielsweise auf einer unübersichtlichen Kreuzung für den Auto- oder LKW-Fahrer in Sicht kommt, weiß derjenige dank dieser Technologie: Achtung, ein Motorrad nähert sich. Dies ermöglicht ein verbessertes, vorausschauenderes und vor allem auch sichereres Fahren für alle Beteiligten. So können aktiv Unfälle verhindert werden. Für den Biker würde eine akustische Warnung, beispielsweise mittels Bluetooth-Audio direkt in den Helm übertragen, noch eine optimale Ergänzung darstellen. Denn gerade am Motorrad hat man oft wenig Gelegenheit sich den Informationen am Display zu widmen.
Achtung - Sie fahren mit 120 auf eine Kurve zu, welche selbst Rossi nur mit 80 nehmen würde!
Nicht ganz so, aber sehr ähnlich sprach der heiser krächzende Prototyp in meinen Helm, als ich über die "Connected Horizon" Strecke heizte. Diese Technologie ermöglicht es dem Motorradfahrer quasi um die Ecke zu schauen um so rechtzeitig auf mögliche Gefahrenstellen reagieren zu können. Daten aus dem Internet liefern Echtzeit-Informationen zu Geschwindigkeitsbegrenzungen, empfohlener Kurvengeschwindigkeit, Gefahrenpunkten sowie eine Vorausschau auf Stauenden, Bau- und Unfallstellen. Dieser digital unterstützt Weitblick erhöht die Sicherheit und den Komfort beim Motorradfahren enorm. Bleibt dem ehrgeizigen Hausstreckenheizer nur zu hoffen, dass dann - neben all den positiven Aspekten - nicht auch der Komfort der Rennleitung enorm gesteigert wird.
Emergency Call, Breakdown Call und Information Call
Kollege Zonko probierte es bereits aus, nachdem er die BMW K 1600 GT in Almeria zur Seite legte und ihn eine freundliche Stimme aus dem Cockpit frage "Sind Sie gestürzt, brauchen Sie Hilfe?. Auf Basis intelligenter Crash Algorithmen erkennt der eCall wenn der Motorradfahrer in einen Unfall verwickelt wurde und setzt - sofern der Fahrer nichts "dagegen" unternimmt - automatisch einen Notruf ab. Dabei werden die notwendigen Fahrzeugdaten sowie die aktuelle Position direkt an die Notrufzentrale übermittelt.
Vielleicht noch nicht ganz so bekannt aber dennoch extrem hilfreich sind die beiden weiteren Punkte Breakdown Call und Information Call. Mit dem bCall nimmt das Motorrad bei einer Panne selbstständig Kontakt mit der Werkstatt auf und sendet die nötigen Daten. Der iCall ist ein hilfreicher Assistent auf allen Straßen. Er ermöglicht den Zugriff auf Service-Informationen wie zum Beispiel dem Standort der nächsten Tankstelle per Knopfdruck.
MSC - mehr Sicherheit in jedem Fahrzustand
Die Motorrad-Stabilitätskontrolle, kurz MSC, ist eine Art ESP (kennt man aus dem Auto) für Motorräder. Ein paar Zeilen Theorie: Das System erkennt auf Basis der Daten von Vorderrad- und Hinterraddrehzahl sowie einer Sensorbox, welche für mehrachsige Schräglage- und Beschleunigungs-Messungen zuständig ist, den aktuellen Fahrzustand des Zweirads. So können sämtliche elektronischen Regeleingriffe, sei es beim Bremsen oder Gasgeben, blitzschnell der momentanen Situation angepasst werden. Dadurch verhindert das System beispielsweise aktiv den oft gefürchteten Highsider beim Herausbeschleunigen aus Kurven.
Noch interessanter für mich aber die Leistung der Elektronik beim Bremsen in Schräglage. Am Stammtisch wird die Technologie gerne als Kurven ABS bezeichnet. Vermieden werden dabei bestmöglich zwei Dinge: Das Wegrutschen übers Vorderrad und das ungewollte Aufstellen des Motorrads beim Bremsen in Schräglage. Davon durften wir uns auf einer Kreisbahn mit verschiedensten Bikes der aktuellen Generation, welche alle bereits über dieses Bosch System verfügten, überzeugen. Aprilia Tuono V4 1100 RR, KTM 1290 Super Duke R, Kawasaki ZX-10R, Suzuki V-Strom 1000, Ducati 1299 Panigale ... um nur eine Handvoll davon zu nennen.
Assistenzsysteme: Mittlerweile unglaublich gut aber noch nicht perfekt.
Das musste ich feststellen, als ich mich gerade von einem Sturz auf der Kreisbahn aufrappelte. Aber keine Sorge, schuld ist im Endeffekt immer noch der Fahrer selbst und nicht die Technik.
Echt arg wenn man genau das tut, was man bisher als "Old-School-Biker" immer versuchte zu vermeiden: In voller Schräglage den Anker zu werfen. Kostet bei den ersten Versuchen Überwindung, soviel kann ich bestätigen. Dennoch es funktioniert: Butterweich dosiert die MSC über das ABS genau so viel Bremskraft an das Vorderrad, wie es verträgt um den Biker selbst aus größter Schräglage sicher zum Stehen zu bekommen. Linksherum, Rechtsherum, 3, 4, 5 Mal - ich wurde immer mutiger - der Schräglagewinkel immer größer - die Bremsmanöver immer härter. Da geht richtig viel! Ein tolles System, welches im Ernstfall als Lebensretter fungiert.
Trotzdem schaffte ich es, mich mit der feschen Super Duke vor versammelter Fachpresse und staunender Bosch Mannschaft hinzulegen. Versagen der Technik? Nein. Warum? Ursachenforschung! Ist der Schräglagewinkel so hoch, dass das Motorrad ohnehin kurz vor dem Wegrutschen ist, kann der noch so kleinste Bremsimpuls eben das Zünglein an der Waage sein. Ähnliches gilt natürlich auch für Fahrbahnverschmutzungen oder nasse Straßen. Das Kurven ABS kann tatsächlich enorm viel, der gesunde Hausverstand des Fahrers sollte dennoch bei jeder Fahrt mit an Bord sein.
Vehicle Hold Control
Das Handling von schweren Maschinen erleichtert Bosch mit dem Fahrzeughalteassistenten genannt "Vehicle Hold Control" oder kurz VHC. Dabei handelt es sich um eine ABS-Zusatzfunktion, die mittels intelligenter Algorithmen in das ABS-Steuergerät einprogrammiert wird. Kommt das Motorrad an einer Steigung oder Abfahrt zum Stehen, verhindert die Vehicle Hold Control ein Wegrollen des Fahrzeugs, ohne dass der Fahrer Hand- oder Fußbremse permanent betätigen muss.
Testen durften wir das Ganze an einer Ducati Multistrada 1200 Enduro, wo diese Technik bereits Serienmäßig verbaut ist. Aktiviert wird das System nach dem Halten mittels kräftigem Druck bzw. Zug an einem der beiden Bremshebel. Im Anschluss berechnet und adaptiert das System je nach Fahrzeugstatus den Druck auf das hintere Bremssystem über die Pumpe und die Ventile der ABS-Steuereinheit und hält somit für exakt 9 Sekunden das Fahrzeug am Platz. Angezeigt wir die Funktionalität über ein Symbol im Display. Verstreichen die 9 Sekunden ohne Abfahrt oder erneute Aktivierung des Systems löst sich der Bremsdruck schrittweise von selbst. Persönlich würde ich dieses Feature nicht als Must-have bezeichnen, dennoch ist es eine tolle Möglichkeit um dem Fahrer das Anfahren leichter zu machen, da sich dieser dann ganz auf Gas und Kupplung konzentrieren kann.
Action mit dem Elektroscooter
Die Fahrt mit einem Elektro Fahrzeug, angefangen beim Tesla über die leistungsstarken Zero Bikes bis hin zum kleinen Roller von NIU ist immer etwas besonderes für mich. Der Reiz des mächtigen Drehmoments quasi vom Stand weg ist immer noch faszinierend. Letztgenannte NIU Roller der neusten Generation durften wir auch im Rahmen des Events testen. Den integrierten Antrieb mit Radnabenmotor steuert nämlich Bosch bei. Da das System zum größten Teil aus bereits entwickelten Automotive-Komponenten besteht, entstehen weit geringe Entwicklungsaufwendungen. Das macht Elektromobilität für Unternehmen wirtschaftlich und für Endkunden bezahlbar. Bosch bietet dabei auf Wunsch für jeden Hersteller das komplette Elektronikpaket. Dieses besteht aus: Motor und Steuereinheit (DriveSystem), Batterie, Ladegerät, Display und einer App - also ein aufeinander abgestimmte, skalierbares Antriebssystem.
Apps, Apps, Apps...
Wie schon mal erwähnt, bin ich persönlich bin kein besonderer Fan von Smartphone-Konnektivität am Motorrad. Anrufe, Nachrichten, Wetterdaten und Ähnliches bleiben bei mir besser in der Hosentasche. Nur Informationen welche unmittelbar zur Fahrsicherheit beitragen, sind auf meinem Display willkommen. Dennoch möchte ich hier, für alle Connectivity-Cracks, einen kleinen Eindruck zu den Neuigkeiten von Bosch und deren Software-Partnern vermitteln.
Als Basis für die vorgestellten Apps diente immer die Smartphone-Integrationslösung von mySPIN für den Einsatz bei Zweirädern. (Der ein oder andere kennt es vielleicht bereits aus dem Automobilsektor.) Die Anwendung ermöglicht Motorradfahrern, ihr Smartphone mit dem Bike zu verbinden. So können durch entsprechende Apps beispielsweise Staus umfahren, Touren mit anderen Bikern geplant oder Musikstreams aus dem Internet gehört werden. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir dabei die App von Rever. Ein Motorrad Tourenplaner, der die besten Straßen markiert, für den Motorradfahrer relevante Einträge entlang der Route anzeigt und ebenfalls eine Community Funktion integriert hat, mit welcher der Biker seine Routen teilen kann. Nettes Detail bei dieser Anwendung sind die regionalen Challenges: In verschiedenen Kategorien, wie beispielsweise "meiste Kilometer", meiste Ausfahrten" oder "passierte Checkpoints" gibt es Rankings und Wertungen welche mit kleinen Preisen belohnt werden.
Da kommt noch vieles auf uns zu...
...und das ist gut so! Die innovativen Damen und Herren bei Bosch haben noch einige tolle Pläne und Technologien in der Schublade, welche uns Motorradfahrern in den kommenden Jahren den Alltag erleichtern werden. Oberste Prämisse wird dabei zum Glück nach wie vor unser Fahrspaß und unsere Sicherheit bleiben.
Bericht vom 09.06.2017 | 21.848 Aufrufe