MV Agusta Brutale 800 RR - Test 2020

140 PS aus 800 Kubik - zu viel für die Landstraße?

Unter den Naked Bikes bis 800 Kubik gibt es wohl kaum ein radikaleres Motorrad. Ideal für alle, für die es etwas mehr sein aber auch kosten darf.

Edles Design und schnelle Motorräder - dafür steht die italienische Traditionsmarke MV Augusta wie kaum ein anderer Motorradhersteller. Die aktuelle Brutale RR macht hier keine Ausnahme. Ich durfte Zonkos Dauertester für die Saison 2020 über die heimischen Landstraßen scheuchen.

MV Agusta Brutale 800 RR - Motor und Fahrwerk

Der 798 Kubik große Dreizylinder entwickelt 140 PS bei 12.300 U/Min und ein maximales Drehmoment von 87 Nm bei 10.100 U/Min und ist damit der aktuell stärkste Serienmotor in der Klasse bis 800 Kubikzentimeter. Wie die Werte schon vermuten lassen will das Aggregat gedreht werden, um ein wirkliches Feuerwerk zu zünden, denn bis 5.000 Touren tut sich nicht viel. Zudem sind die unteren Gänge relativ lang übersetzt, was dazu führt, dass dort wo der Spaß im zweiten oder dritten Gang einsetzt der Führerschein bald weg ist - zumindest auf der Landstraße. Der Sound im Sattel ist betörend aggressiv und direkt süchtig machend, ohne das die Maschine im Vorbeifahren unangenehm laut wäre. Ein besonderes Lob hat sich der Quickshifter auf der 800er verdient, der in allen Drehzahlbereichen sehr zufriedenstellend arbeitet. Das automatisch einschießende Zwischengas beim Runterschalten lässt Renn-Feeling aufkommen.

Die voll einstellbare Marzocchini 43 mm Up-Side Down Gabel vorne und das ebenfalls voll einstellbare Sachs-Federbein sorgen für ein erstaunliches Maß an Stabilität auch in weiteren Radien. Das ist bei einem Radstand von lediglich 1400 mm keine Selbstverständlichkeit und spendet Vertrauen, auch wenn die Maschine ihr quirliges Naturell nicht ganz verbergen kann. Generell sucht die Transparenz, die die MV Agusta vermittelt in dieser Klasse ihres gleichen. Selbst der Lenkungsdämpfer ist über ein praktisches Drehrad mehrstufig nach den individuellen Vorlieben verstellbar. Durch die sehr Vorderrad-orientierte Sitzposition ist man stets perfekt über die Vorgänge zwischen Mensch, Maschine und Straße informiert.Diese kompromisslose Härte geht natürlich etwas zu Lasten des Komforts, wenngleich das hauptsächlich in niedrigen Geschwindigkeitsbereichen spürbar ist, je schneller man fährt desto besser funktioniert das Fahrwerk. In dieses Bild passend fügt sich die knallharte Sitzbank ein, Zonkos Chiropraktiker reibt sich wohl bereits die Hände.

MV Agusta Brutale 800 RR - Bremsen und Bereifung

Die an der Brutale verbaute Brembo-Bremsanlage mit 320 mm Doppelscheibe und radial aufgenommenen Vierkolben-Bremssätteln vorn und einer 220 mm Einzelscheibe hinten, hat genug Bremsdruck ohne zu scharf zu sein, erfordert aber mehr Handkraft als die ganz feine Ware der Konkurrenz. Das mehrstufig einstellbare ABS war bei unserer Landstraßenpartie, die bei nahezu perfekten Bedingungen stattfand, nicht in den Regelbereich zu bringen. Als Erstausrüstung dienen der MV Agusta Pirelli Supercorsa SP, der hypersportliche Reifen fügt sich perfekt ins Gesamtbild des radikalen Naked Bikes und machte seine Sache ganz ausgezeichnet - kein Rutscher!

MV Agusta Brutale 800 RR - Fahrverhalten auf der Landstraße

Bei allen Vorzügen, die die Brutale auszeichnen, muss man eines klar sagen: Das ist kein Einsteiger-Motorrad. Allen Fahrhilfen zum Trotz, ist der Pilot hier deutlich mehr gefordert als bei der Konkurrenz, die mittlerweile unfassbar zugänglich geworden ist. Eine kundige Hand ist gefragt, um hier eine präzise Linie in den Asphalt zu brennen. Im niedrigen Geschwindigkeitsbereich verlangt das Motorrad doch einiges an Kraft und Arbeit im Sattel, hier ist die Konkurrenz handlicher. Ist man allerdings in der Lage die Maschine zu beherrschen, sind die Glücksmomente im Sattel ständiger Begleiter. Die Präzision mit der Impulse, egal ob über den breiten Lenker oder durch Gewichtsverlagerung ausgelöst von diesem Kraftpaket umgesetzt werden, ist fantastisch. Die sportliche vorderradorientierte Sitzposition ist der Feind jeglicher Gemütlichkeit im Sattel, belohnt aber andererseits durch absolut direktes Feedback. Die Brutale 800RR ist eindeutig ein Gerät zum Heizen nicht zum Gleiten.

MV Agusta Brutale 800 RR - Elektronik und Display

Die Traktionskontrolle ist in acht Stufen einstellbar und an die Wheelie-Kontrolle gekoppelt (niedrige Stufe der Traktionskontrolle = hoher Wheelie) und arbeitet absolut feinfühlig und zuverlässig. Die vier verschiedenen Mappings - Sport, Normal, Rain und Custom - lassen sich über etwas antiquierte und nicht wirklich zu einem Motorrad dieser Preis(-Klasse) passende Soft-Knöpfe verstellen. Die Bedienung gibt zwar keine Rätsel auf, ist in Summe aber holpriger als man es mittlerweile gewohnt ist. Daran nicht ganz unschuldig ist das etwas überladene und mäßig ablesbare LC-Display in Monochrom-Design. Im Jahr 2020 ist eine Informationsdarstellung auf dem Niveau des ersten Game-Boys einfach nicht mehr zeitgemäß, zudem die Brutale RR nicht gerade als Schnäppchen bezeichnet werden kann.

MV Agusta Brutale 800 RR - Optik

Last, but definitley not least zur Optik der MV Agusta Brutale 800 RR. Hier möchte ich das Pferd oder eigentlich die 140 Pferde von hinten aufzäumen. Beginnend bei der herrlichen 5-Speichenfelge an der eleganten Einarmschwinge schweift der Blick weiter entlang am traumhaften 3-flutigen Endschalldämpfer hinauf zu der einzigartigen Ausnehmung unter dem formvollendet schwebenden Sattel. Und dann? Dann ist den Designern in Varese leider, wie man im Wienerischen sagt, der Schmäh ausgegangen. Der extrem breite Tank, lässt nicht nur den Wendekreis der MV auf ein nahezu lächerlich großes Maß anwachsen, er verleiht der Maschine auch etwas Plumpes und lenkt vom, für sich genommen, eleganten Gitterrohrrahmen ab. Auch mit der tropfenförmigen Lichtmaske konnte ich mich nicht 100%ig anfreunden, hier wäre ein klassischer Rundscheinwerfer meiner Ansicht nach die bessere Wahl gewesen. Aber Geschmäcker sind ja glücklicherweise verschieden und ich muss fast hoffen, dass MV Agusta keine Brutale 800 Rush nachschiebt, sonst ist mein Sparbuch in ernster Gefahr.

Fazit: MV Agusta Brutale 800 RR 2020

Ein Allerwelts-Motorrad, das ist die MV Agusta Brutale 800RR sicherlich nicht. Toll, das so etwas noch gebaut wird! Wer sich vom hohen Preis nicht abschrecken lässt, bekommt ein präzises Naked Bike, das den Vergleich zur Konkurrenz aus dynamischer Sicht keineswegs scheuen muss. Der betörende Klang den dieser Drei-Zylinder entwickelt ist das Sahnehäubchen auf diesem einzigartigen Gesamtpaket. In kundigen Händen auf der Landstraße bewegt ist die MV Agusta definitiv schwer zu schlagen. Natürlich hat der Paradisvogel auch die ein oder andere Schwäche, die man ihm aber angesichts seiner Einzigartigkeit gerne verzeiht.


  • stärkstes Motorrad bis 800 Kubik am Markt
  • Optik einzigartig
  • tolles Fahrwerk
  • Quickshifter butterweich, mit Zwischengas-Feuerwerk
  • Elektronikpaket stimmig
  • zu lange Übersetzung für die Landstraße
  • LC-Display veraltet und schlecht ablesbar
  • nicht sehr zugänglich
  • Sitzbank zu hart

Bericht vom 03.07.2020 | 77.767 Aufrufe

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