Bilder: Honda Gold Wing Test 2018
17 Jahre durfte die dicke Vorgängerin mit weit über 400 Kilo Eigengewicht regieren, bis Honda sich entschloß, eine Nachfolgerin der Gold Wing zu präsentieren. Immerhin ist eine Gold Wing kein schnelllebiger Marketing-Schmäh, der nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwinden dürfte, wenn das Publikum nicht mehr darauf anspricht. Umso überraschender und beachtlicher, dass Honda bei der neuen Gold Wing und der Gold Wing Tour kaum einen Stein auf dem anderen gelassen hat: Neues Chassis, neue Aufhängung, vorne sogar eine völlig neue Radführung, stark überarbeiteter Motor, neues Design und so viel Elektronik, dass die neue Wing als Hightech-Tourer bezeichnet werden darf.
Die allseits als Reisedampfer bekannte Honda Gold Wing wird neben ihren ausgeprägten Touring-Qualitäten nun auch noch zum Technologieträger!
Eine Honda Gold Wing ist nicht nur einfach ein Motorrad, sie ist eine Legende, eine Ikone und für viele der Inbegriff des Touren-Motorrads.
. Die brandneue Gold Wing und vor allem die Gold Wing Tour bewahrt zwar diese Werte weiterhin, mutiert aber gleichfalls zum Hightech-Aushängeschild.
Die neue Gold Wing nun (fast) alles besser, es gibt wenige Dinge, die ohnehin nur die eingefleischten Fans der alten Gold Wing-Generation stören dürften.
Beginnen wir beim Design: Fast schon schlank sieht die neue Gold Wing aus, vor allem wenn sie neben der alten steht, die mit ihrer übermächtigen und breiten Verkleidung eher wie ein schmales Cabrio wirkt.
Die neue baut hingegen viel eleganter und zierlicher, der sportlich gestaltete LED-Scheinwerfer dominiert die Front und das Windschild baut eher hoch als breit - also ebenfalls ganz anders als die alte.
Dennoch muss man keineswegs auf guten Windschutz verzichten, meine Befürchtung, dass die alte Gold Wing mit ihrer Panoramascheibe das besser könnte, war unbegründet.
Denn sogar Temperaturen von nur 8 Grad Celsius konnten uns bei den Testfahrten im sonst so milden Texas in den USA nicht zum Zittern bringen, die Verkleidung und die Scheibe leiten den Fahrtwind perfekt um den Fahrer und lassen in der obersten Position des Windschilds keinen unangenehmen Zug spüren.
Und ich hätte es bestimmt gespürt, war ich doch so übermütig und fuhr zunächst die voll ausgestattete Gold Wing Tour lediglich mit einem Jet-Helm.
Aber mein Urvertrauen in die Wing wurde nicht enttäuscht, einfach das Schild elektrisch in die höchste Position und schon herrscht völlige Windstille hinter der glatten Scheibe, die völlig ohne Kanten und Verzerrungen eine klare Durchsicht erlaubt.
Ebenso gut ist die Verkleidung für den Rest des Körpers, denn obwohl die Sitzposition weitaus aktiver wurde, ist man bestens vor Wind und Wetter geschützt.
Zusätzlich bewaffnet mit jeweils fünffach verstellbarer Sitz- und Griffheizung sind selbst Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt kein Problem, die Gold Wing ohne Topcase muss aber auf die Sitzheizung verzichten.
Dafür wurde durch die neue Verkleidung die Aerodynamik stark verbessert, sozusagen statt Einbauküche nur eine schlanke Vitrine, was sich zusätzlich in einem niedrigeren Verbrauch niederschlägt.
Knapp über sechs Liter schluckte die Gold Wing bei gemischtem Fahrbetrieb - das bedeutet bei mir alles ausprobieren, teilweise ohne Rücksicht auf Effizienz. Fährt man hingegen ganz normal, gehen sich Werte unter 6 Litern bestimmt aus.
Nicht schlecht für einen Boxer-Sechszylinder mit 1833 Kubik Hubraum, 126 PS bei 5500 Umdrehungen und gewaltigen 170 Newtonmeter Drehmoment bei 4500 Touren.
Damit liegen die Werte zwar nur knapp über jenen der Vorgängerin, erlauben dank erheblich gesenktem Gewicht aber doch deutlich mehr Dynamik - die neue wiegt in der Version ohne Topcase 365 Kilo, als Gold Wing Tour mit Topcase 379 Kilo und als Topmodell Gold Wing Tour DCT, samt Doppelkupplungsgetriebe 383 Kilo.
Die gesteigerte Dynamik liegt also gar nicht so sehr am Triebwerk, das nach wie vor voll und ganz auf Souveränität ausgelegt ist.
Leise surrend setzt sich die Gold Wing in Bewegung, sanft schnurrt der Sechsender, röhrt nur bei höheren Drehzahlen dumpf und fällt lediglich durch erhöhte Ansauggeräusche auf.
Ansonsten sorgt eher das neue Chassis und die viel aktivere Aufhängung für eine weitaus sportlichere Fahrweise.
Dabei wurde das Vorderrad mit der neuartigen Doppel-Querlenkeraufnahme noch mehr entkoppelt als bei der konventionellen Telegabel der Vorgängerin.
Die Sitzposition, so bequem und entspannt sie auch ist, scheint der Schlüssel zum Erfolg zu sein, rückt sie doch knapp 40 Millimeter näher an das Vorderrad und erlaubt direktere Impulse.
Möglich wurde das zum einen durch die neue vordere Aufhängung, die dafür sorgt, dass das Vorderrad nur direkt nach oben federt anstatt schräg oben, wie es bei herkömmlichen Federgabeln nun mal üblich ist.
Zum anderen durch die kompaktere Bauweise des Motors, dessen Starter mit der Lichtmaschine kombiniert wurde, was klarerweise in weniger Volumen resultiert.
Apropos Volumen, eine Sache kann die alte Gold Wing tatsächlich besser: Der Stauraum in den Koffern und im Topcase ist bei der neuen ein wenig geschrumpft, insgesamt stehen 110 Liter Laderaum zur Verfügung, die beiden Seitenkoffer je 30 Liter, das Topcase der Tour-Version 50 Liter.
Fast 20 Jahre Unterschied zur alten Gold Wing spürt man auch bei der Bremsanlage, die neue Wing vertraut auf 320er-Doppelscheiben und radial montierte Sechskolbenzangen vorne, sowie eine 316er-Scheibe mit Dreikolbenzange hinten, die als kombinertes System D-CBS (Dual-Combined Braking System) brachial zupacken.
Es reicht sogar im Normalfall die hintere Bremse zu betätigen, da durch die Kombination mit der vorderen Anlage auch die Scheiben an der Front gefühlvoll gepackt werden und somit ausreichend verzögern.
Gesteuert durch ein Ride-by-Wire-System erlaubt die neue Gold Wing die Wahl aus vier verschiedenen Fahrmodi, die wiederum das Ansprechverhalten des Triebwerks, der Traktionskontrolle und des elektronisch verstellbaren Fahrwerks ändern.
Der Modus Tour ist stets voreingestellt, schaltet man also seine Gold Wing aus, startet sie beim nächsten Mal wieder mit Tour.
Etwas seltsam, wenn man bedenkt, dass sich sogar das Windschild die vorherige Position merkt, beim Ausschalten in die unterste Position fährt und bei der nächsten Fahrt ab 5 km/h das Schild wie von Geisterhand wieder in die letzte Stellung bringt.
Das Umschalten der Fahrmodi geht aber so einfach per Druckknopf für den rechten Zeigefinger (per Daumen auf der einfachen Gold Wing), dass es nicht weiter schlimm ist, den gewünschten Modus wieder einzustellen.
Mit den Armaturen hat das riesige Display nichts zu tun, Tacho und Drehzahlmesser bleiben jeweils links und rechts vom Display analog, kleine Anzeigen darunter und dameben informieren über alle wichtigen Daten. Der Bildschirm dient allerdings sehr gut dem, in allen Versionen integrierten Navigationssystem, das auf dem riesigen Display natürlich ausgezeichnet dargestellt wird.
Die Gold Wing (ohne Topcase) ist der Einstieg in die Gold Wing-Welt, sozusagen die neue F6B und daher auch optisch ganz im Bagger-Stil.
Sie wird nur mit Sechsgang-Schaltgetriebe und einer niedrigeren Scheibe geliefert, besitzt kein elektronisches Fahrwerk, keine Traktionskontrolle(!) und keine Sitzheizung, dafür aber einen mechanischen Rückwärtsgang so wie bei der alten Gold Wing.
Das Topcase kann übrigens nachträglich montiert werden, die Aufnahme dafür ist also auch auf der Gold Wing vorhanden.
Die Gold Wing Tour verwöhnt zusätzlich serienmäßig mit dem 50 Liter-Topcase samt zwei Musikboxen, Sitzheizung, Traktionskontrolle, Hauptständer und einem elektronisch verstellbaren Fahrwerk samt elektrisch verstellbarer Federvorspannung.
fast alle Innovationen, die in der neuen Gold Wing stecken, finden sich bereits in diesem Modell.
Beim Topmodell bekommt man zusätzlich zur ohnehin schon umfangreichst ausgestatteten Gold Wing Tour das herrliche Honda-DCT dazu, ein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe, das sowohl manuell als auch automatisiert funktioniert samt Kriechgang vor- und rückwärts - perfekt zum rangieren und reversieren.
Zusätzlich noch den einzigen Airbag, den es serienmäßig auf einem Motorrad gibt und auf den man eigentlich nur verzichten möchte, solange man ihn nicht braucht. Jetzt geht wirklich nicht mehr mehr.
Galerie von: 1000PS Internet GmbH
hochgeladen am 24.01.2018