Honda X-ADV 2017 Test

Transgender Transporter

Identitätskrise in der Zweiradbranche. Was kommt raus, wenn Motorrad, Roller und Offroader in ein Bett steigen? Ein X-ADV. Nicht schlecht, das neue Geschlecht.

Was war eigentlich der erste SUV? Ganz alte Damen und Herren und Altauto-Experten werden sich noch an den Willys Wagon erinnern, den angeblichen Urgroßvater aller SUVs, andere mögen die Zeitschreibung aufgrund der Spannweite bis in die Gegenwart erst mit dem Range Rover beginnen. Und Menschen meines Alters dürften sich an ihre ersten Erfahrungen mit Toyota RAV4 und Honda H-RV Mitte der Neunziger erinnern - wobei es sich bei mir um einen luciden Gedanken an eine besondere Erfahrung IM RAV4 handelt, mit einer sehr attraktiven, flüchtigen Bekanntschaft.

Was ist der Honda X-ADV. Und ist das überhaupt wichtig?

Wie dem auch sei, jede Geschichte hat ihren Anfang und warum sollte der X-ADV nicht die Hauptfigur des ersten Kapitels sein? Mc-SUV war da zu hören, also ein Motorcycle-Sports-Utility-Vehicle, ein Fahrzeug also für vielerlei Einsatzzwecke, das sich weder in die eine, noch in die andere Kategorie pressen lässt. Honda selbst allerdings verfolgte zwei Ansätze. Ein Designentwurf orientierte sich an der Gattung Motorrad, ein anderer an jener des Rollers. Zweiterer sollte schließlich den Zuschlag für die Weiterentwicklung und schließlich die Umsetzung erhalten. So gesehen also doch ein Scooter, anders gesehen aber wurscht. Ein motorisiertes Zweirad mit hohem Nutz- und Spaßfaktor, Punkt.

Der X-ADV, oder Cross-Adventure, basiert auf dem Integra aus der NC-Reihe, was für New Concept steht und bereits andeutet, dass Honda hier neue Wege beschreitet. Das ist Grund genug, sich beim größten Motorradhersteller für seine mutigen Innovationen und kreativen Neuentwicklungen zu bedanken. Im Falle des DCT, des Doppelkupplungsgetriebes, riskierten die Japaner goldrichtig und leisteten damit eine Zukunftsinvestition, zu der noch kein anderer Hersteller imstande war. Damit definieren sie gegenwärtig den technischen Fortschritt und verkörpern den Begriff "state-of-the-art" in der Motorradwelt.

Das DCT kann Gedanken lesen

Bei der letzten Modellüberarbeitung wurde das DCT softwaretechnisch neu abgestimmt, für den X-ADV hat man das System nun schon wieder verbessert. Es stehen zwar noch immer 5 Fahmodi zur Verfügung, also der manuelle Gangwechsel per Knopfdruck, der D-Modus (Drive) und drei S-Modi (Sport), die Gangwechsel erfolgen im D-Modus aber jetzt erst bei um je 500 U/min. höheren Drehzahlen als zuvor. Auch die Sport-Modi wurden schärfer abgestimmt und das Getriebe ab dem zweiten Gang aufwärts kürzer übersetzt. Nun schaltet das System bald so, als könne es Gedanken lesen, gespenstisch genau wird vor der Kurve runtergeschaltet, auf der Geraden durchbeschleunigt, bergab laufen gelassen...es hat einfach alles gepasst. Ich musste diesmal ein einziges Mal selbst vom zweiten in den dritten Gang wechseln, weil der Rechner für mein Gefühl zu lange zögerte, der Rest war verdammt nah an der Perfektion.

Ich war während der gesamten Testfahrt im S2-Modus unterwegs, also im zweitsportlichsten. Das ist alles andere als eine Empfehlung. Ein Kollege beispielsweise meinte, er hält den S-Modus wegen der höheren Drehzahlen grundsätzlich nicht aus und fährt deshalb ausschließlich im D-Modus, der wiederum mir überhaupt nicht entspricht. Man kriegt aber sehr schnell ein Gefühl dafür, welche Abstimmung zum eigenen Fahrertyp passt.

Stabilster Roller am Markt?

Angetrieben wird der X-ADV vom bekannten 745 cc-Parallel-Twin mit 270° Kurbelwelle und zwei Ausgleichswellen, der 55 leistet und ein Drehmoment von 68 Nm entwickelt. Er sitzt in einem Winkel von 62° tief im Rahmen, was für ein spielerisches wie harmonisches Handling sorgt, während der Radstand von 1588 mm viel Stabilität bietet. Der X-ADV ist vielleicht der stabilste Roller in diesem Segment, oder der stabilste überhaupt, wenn wir ihn jetzt in dieser Kategorie vergleichen. Sensationell, wie gelassen und souverän er mit 150 dahinzieht und schnelle Radien zieht. Auch bei starken Bremsmanövern, die mangels Kupplungshebel mit zwei Händen ausgeführt werden können - das Bremssystem ist nicht integral - , bleibt er stoisch. Die 41 USD-Gabel, in Vorspannung und Zugstufe einstellbar und das 10-fach in der Vorspannung einstellbare Federbein an der wunderschönen Aluminium-Schwinge halten die Bridgestone Trail Wings in 120/70-17 vorne und 160/60-15 hinten sicher und exakt auf Spur.

Ein echter Genuss, damit über die Landstraßen zu gleiten, was ihn auch für weite Reisen zum idealen Begleiter macht. Der Durchschnittsverbrauch von 3.7 l (laut Honda) sollte mit dem 13.1 l Tank eine theoretische Reichweite von 350 km möglich machen. Unser Testverbrauch lag bei flotter Gangart bei 4.4 l, unter 4 l zu bleiben ist demnach überhaupt kein Problem.

Bremsen der Africa Twin, Smart-Key, Full-LED

Man muss zwar nicht ins Detail gehen, um die hohe (Ausstattungs-)Qualität und Verarbeitungsgüte des X-ADV verständlich zu machen, trotzdem: Die Bremsen stammen von der Africa Twin, mit Vierkolben-Bremssätteln und 296 mm Scheiben vorne, Scheinwerfer, Rücklicht und Blinker sind LEDs, Lenker und Gabel sind gold eloxiert (bei den Versionen im Africa Twin-Design), Speichenfelgen sind sogar bei einer GS ein Extra und verriegelt und gestartet wird per Smart-Key, der in der Jackentasche steckt. Sitzbank und Tankdeckel werden elektronische geöffnet, im Kofferraum findet ein Integralhelm Platz oder 21 Liter Bier ohne Gebinde. Eine 12 V-Steckdose steht ebenfalls zur Verfügung. Keine elektrische Hilfe erhält man beim Verstellen des Windschilds, das sich in 5 Positionen über eine Höhe von 136 mm und in einem Winkel von 11° verstellen lässt.

3. Fußrastenpaar aus dem Zubehör für Offroader

Ein Geheimnis des ausbalancierten Handlings des X-ADV ist seine Gewichtsverteilung von 51% vorne und 49% hinten. Im Offroad-Betrieb ergibt sich aber ein Problem. Die Trittbretter, die sogar meinen 46ern genügend Platz boten, sind nicht für das Fahren im Stehen gemacht, zumal man viel zu weit vorne am Fahrzeug positioniert ist und man wenig Kontrolle über das Hinterrad hat. Deshalb bietet Honda eigene Fußrasten aus dem Zubehör an, die zwischen Trittbrettern und den einklappbaren Beifahrerfußrasten befestigt werden. Die von Rizoma gefertigten Aluminiumteile sind super edel, sicher nicht billig aber für jeden unverzichtbar, der abseits befestigter Straßen sicher Spaß haben möchte.

X-ADV ein Enduroroller? Leider nicht.

Wenn ich von Gelände rede, dann meine ich übrigens geschmeidige Sandstraßen zu einer verborgenen Bucht, oder einen sanften Waldweg zu einer geheimen Grotte, oder eine weiche Wiese am Baggersee. Denn für Offroad im eigentlichen, ernsten Sinne ist der X-ADV nicht gemacht. Bei unseren übermotivierten Kamerafahrten durch den Wald holten wir das Maximum aus den 154 und 150 mm Federwegen des Fahrwerks raus und mussten uns auch mit den frühen Grenzen des nicht abschaltbaren ABS abfinden. Wünschenswert wäre ein sportlicher abgestimmtes System, abschaltbar oder zumindest mit zwei wählbaren Stufen.

Hindernis Sitzhöhe?

Die Bodenfreiheit von 162 mm erlaubt sportliche Schräglagen, nur die eigens montierten Angstnippel am Hauptständer kratzen irgendwann am Asphalt; und die schönen Rizoma-Fußrasten, wenn man sie für den Straßenbetrieb nicht einklappt. Was die Dynamik im Gelände noch ein wenig erschwert ist die breite Taille, denn der recht straff gepolsterte Sitz ist Roller-typisch großzügig dimensioniert, wodurch man den bauchigen Körper unter sich schwerlich zwischen die Knie klemmen kann. Man sollte deshalb auch die Sitzhöhe von 820 mm nicht unterschätzen, der Schrittbogen ist aufgrund der Breite recht groß. Man kann sich übrigens nicht damit helfen, indem man an der Ampel einfach nach vor rutscht, denn auf Höhe der Trittbretter ist das Fahrzeug am breitesten und selbst mit 1.80 m kann man kaum richtig stehen.

Roller - X-ADV - Motorrad?

Der Honda X-ADV ist ein einzigartiges Konzept im Schnittpunkt von Roller und Motorrad mit einem breiten Einsatzspektrum. Zwar ist er kein echtes Offroad-Fahrzeug, macht aber auf schlechtem Asphalt ebenso viel Spaß wie auf geglätteten Waldwegen, gekämmten Schotterpisten und gebürsteten Wiesen. Die Offroad-Fußrasten sind auf jeden Fall zu empfehlen, wenn man es sportlicher angehen möchte. Grundsätzlich aber ist der X-ADV ein erfrischender Begleiter in fast allen Lebenslagen, gerne auch mit Sozia, Gepäck und für die weite Reise. Seine größten Vorzüge sind seine Stabilität und die völlig unbeschwerte Bedienung und sein größter Nachteil wahrscheinlich sein Image bei Motorradfahrern. Die Italiener haben schon lange kein Problem damit, sich mit Großrollern auf südtiroler Pässe zu wagen und den Roller schlicht als das zu sehen, was er ist: Ein Motorrad. Dafür beneide ich sie. Vielleicht schafft es Honda mit dem X-ADV auch bei uns, diese Brücke zu schlagen. Er brächte jedenfalls alles dafür mit.

Fazit: Honda X-ADV 2017

Der Honda X-ADV ist ein einzigartiges Konzept im Schnittpunkt von Roller und Motorrad mit einem breiten Einsatzspektrum. Zwar ist er kein echtes Offroad-Fahrzeug, macht aber auf schlechtem Asphalt ebenso viel Spaß wie auf geglätteten Waldwegen, gekämmten Schotterpisten und gebürsteten Wiesen. Die Offroad-Fußrasten sind zu empfehlen, wenn man es sportlicher angehen möchte. Grundsätzlich aber ist der X-ADV ein erfrischender Begleiter in fast allen Lebenslagen, gerne auch mit Sozia, Gepäck und für die weite Reise. Seine größten Vorzüge sind seine Stabilität und die völlig unbeschwerte Bedienung.


  • hochwertige Verarbeitung und Ausstattung
  • einzigartiges DCT
  • Keyless-Go
  • offroadtauglich
  • Stabilität
  • Bedienbarkeit
  • kein Enduro-Roller
  • Offroad-Fußrasten als Extra
  • Image

Bericht vom 27.02.2017 | 90.231 Aufrufe

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