KTM 1190 Adventure Testbericht
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KTM 1190 Adventure Test |
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Ein neues Zeitalter beginnt. KTM dreht den Hahn noch mehr auf und spült die Konkurrenz weg. | |
Noch keine Zeile über den KTM 1190 Adventure Test geschrieben und schon ein paar verbale Ohrfeigen über facebook und youtube kassiert. Quasi der Faul- und Unfähigkeit bezichtigt, weil der Onboard-Teaser samt 10-Zeiler als Testbericht begriffen wurde. Unpassender Fahrweise angeklagt, weil man auf einer Reiseenduro in der Kurve bitte nicht das Knie auf den Asphalt stellt. Und als girl in the red leather der Lächerlichkeit preisgegeben, weil ich der Fahrweise nach eigentlich ein Mädchen sein müsste. | |
Kritik noch vor der Kritik. | |
Zugegeben,
solcherart negative Kritik nagt bisweilen an Selbstvertrauen und
Substanz und könnte mich fast aus der Reserve locken, wäre da nicht das
Wissen um die Qualitäten des Motorrades und dessen großzügige
Gleichgültigkeit, dass so mit ihm gefahren wird. Wie gut ist die neue
Adventure und was kann sie? Das zu bewerten und zu beantworten bedarf es
der Errichtung neuer Skalen und der Bestimmung neuer Werte. Die Werte
einer KTM lassen sich ohnehin schwer mit der nüchternen
Schwarz-Weiß-Logik messwütiger Laborratten bestimmen. Denn was wir bei
25 Grad unter der Sonne Teneriffas erlebt haben, war weit abseits der
Norm. Die ganze Geschichte beginnt tatsächlich schon 10 Jahre vor der Markteinführung der ersten Adventure, damals 950, als zwei Studenten zwei LC4 Motoren zusammenschraubten und sie so zum LC8 vereinten. Beim Battle of Twins sollte dieser Motor in einem Prototypen seine erste Testphase bestehen. Nach gescheiterter Zusammenarbeit mit Rotax und Folan legte die interne Entwicklungsabteilung 1997 unter der Leitung von Wolfgang Felber ein eigenes Konzept vor. V2, off- und onroadtauglich, leicht und kompakt. Klingt bescheiden? Sagen sie das einem Techniker. |
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36 Entwicklungstechniker, 12 Monate. | |
Jetzt folgt
ein Zeitraffer, der Zielstrebigkeit, Motivation und Mut des mattighofener Motorradbauers in Verdichtung manifestiert. Mitte ´98 wird
die Idee in die Entwicklungsphase transportiert, 12 Monate später zündet
der erste Festkörper am Prüfstand. Wir sprechen 1998 von 36
Entwicklungstechnikern im Haus, heute sind es 260. Bevor das Motorrad im
Frühjahr 2003 beim Händler stand, schickte man erste Exemplare in die
Sandmeere von Dubai und Dakar. Affirmation durch den Sieg von Fabrizio
Meoni. KTM sprach damals etwas schüchtern von einem gewagten Unternehmen, für die 1190 darf es schon die größte Herausforderung in der Firmengeschichte sein. Noch nie mußten sich so viele Rädchen und Steine (um)drehen. 130.000 Stunden Entwicklungszeit flossen in die neue Adventure, das wären 80 Jahre Arbeitsleben für einen einzelnen Menschen. Der PR Manager spricht von einem 3-tägigen Seminar, um sämtliche Infos zum Produkt ansatzweise kommunizieren zu können. Wir haben nur 1,5 Stunden. Theorie. Bis zum Start der Testsession um 10 Uhr (WET) sollte die Temperatur bereits 20 Grad erreicht haben. Die Theorie wird auf- und mitgenommen und am lebenden Objekt verifiziert. Goldkelche für 10 Weltmeisterschaften und 10 Konstrukteurstitel konnte KTM 2012 mit nach Hause nehmen. Performance ist also kein Fremdwort, sondern die einzige Sprache, die man in Mattighofen spricht. |
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Einfachste Bedienung der elektronischen Helferlein. Der Bordcomputer informiert, von Aussentemperatur bis Reifendruck. | Endlich ein neuer Tacho! Very funktionsorientiert. Nüchtern but nice. |
Ergonomie und Komfort sind ein großes Thema bei der neuen Adventure. Verstellmöglichkeiten von Windschild, Lenker, Sitzbank und Fußrasten sowie der Hebel machen die KTM zu einer Reiseenduro nach Maß. | |
Na ja, nicht mehr nur. Man hat dazugelernt und verstanden, eine Rallymaschine wird nicht zwangsläufig ausschließlich in wüster Umgebung bewegt, sondern dann und wann oder überhaupt nur in der Stadt, wo es keine Seltenheit ist, daß Menschen nach der Schule asphaltierte Straßen und Wege bis zum Ableben nicht mehr verlassen. Also entschieden sich die Ingenieure für mehr. Mehr Leistung, mehr Elektronik, mehr Komfort, mehr Individualisierung, mehr Fahrbarkeit und somit mehr Bandbreite. So viel und so breit gibt es für so wenig Geld bei keinem anderen Hersteller, behauptet KTM. Über die 150 PS müssen sich die Konkurrentinnen von Yamaha, Honda, Kawasaki oder BMW keine Gedanken machen, sie sind weit davon entfernt. Die Triumph bläht zwar ihre 137 PS Brust, kann aber die 30 Kilo Übergewicht nicht verbergen. Nur der Ducati stehen die Schweißperlen auf der Stirn, denn sie liegt mit der KTM gleichauf. 196 ccm mehr Hubraum und 35 PS mehr an Leistung hat die Adventure zugelegt. Kann passieren, wenn man den Motor aus einem Superbike ins Chassis einer Reiseenduro schraubt, sorry. Die Muskelkur macht sich auf der Waage kaum bemerkbar, 212 Kilo trocken werden angegeben. Es gilt allerdings zu erwähnen, daß der Tank nun 23 statt 20 Liter faßt. |
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Hart oder zart. Gummieinlagen abnehmbar, die Rasten können versetzt werden. | |
Zentrum der Freude und Macht. Jetzt mehr gesellschaftsfähig. | |
Top 3 der besten Testfahrten aller Zeiten. Minimum. KTM hat das Ohr auf den Asphalt gelegt und gut zugehört, die Modelle Adventure und Adventure R deutlicher von einander getrennt. Bremsen, Getriebe und Traktion sind die Highlights, auch die Ergonomie, die Gabel könnte straffer sein. Performance wie die Superbikes vor nicht allzu langer Zeit. Trotzdem: Wo die Straße schlechter wird, ist die Adventure garantiert nicht zu biegen, völlig unmöglich. Mit Conti hat man für dieses Modell einen kongenialen Partner gefunden. Noch beim Abendessen zuckte das Adrenalin im Körper wie tausend frischgeschlüpfte Kaulquappen. |
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Komfort und Benutzerfreundlichkeit im Alltag sind eben jetzt ein Thema,
das zielgerecht interpretiert wurde. Das Federbein kennt 4 verschiedene Beladezustände, elektronisch steuerbar. Die Sitzbank, die angeblich für
eine klassenbeste Druckverteilung am Hintern sorgt, wurde von 880 mm auf
875 mm herabgestuft und kann im Handumdrehen und ohne Zuhilfenahme von
Werkzeug auf 860 mm versetz werden. Mit einstellbaren Fußrasten mit abnehmbaren Gummis,
einem höhenverstellbaren
Windschild (ebenfalls rein mechanisch und das ist gut so) und einem
justierbareren Lenker schließt KTM Frieden mit den mannigfaltigen
Ausprägungen von Figur und Statur des Menschen. Die Adventure passt uns
allen. Das Fahrwerk kommt von WP Suspension, die Bremsen von Brembo, beides keine Überraschung. Dass KTM ab sofort auch voll auf Antiblockiersystem und Traktionskontrolle setzt, schon. Aber keine Sorge, wir reden hier von KTM, alles ist gut. Das ABS System von Bosch taktet selbstverständlich extrem fein, läßt sich zwischen zwei Modi um- und auch abschalten. Im Onroad-Modus bremst das System besser als du (es sei denn, du bist Rennfahrer) und betätigt zur Stabilisierung auch die Hinterbremse. Im Offroad-Modus wird das Hinterrad nicht verzögert. Die Traktionskontrolle, die mit einem Schräglagensensor verbunden ist, ist gar in 3 Stufen einstellbar. Sport, für maximale Beschleunigung und gemäßigte Wheelie-Toleranz. Street für maximale Beschleunigung ohne Wheelies. Und Offroad mit viel Schlupf am Hinterrad. Über ein paar Knöpfe beim linken Daumen und ein Display werden die Systeme gesteuert. Mit Select werden Funktionen angewählt, mit Pfeilen selektiert. Mit dem Zurück-Button geht man aus den Menüs wieder heraus. Deppensicher, intuitiv. Nur die Griffheizung würden wir gerne über einen Extra-Knopf bedienen. |
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Traktionskontrolle mit Schräglagensensor. | |
In Verbindung mit den von Continental eigens für die Adventure entwickelten Reifen TrailAttack II (K) liegt die KTM so sicher und schnell in der Spur wie derzeit keine andere Reiseenduro am Markt. Das Motorrad wird in der Bremszone sogar in selbstverschuldeter Bedrängnis so beruhigt, daß man es völlig entspannt (neu) ausrichten und wieder auf Kurs bringen kann. Am Vordermann war das wunderschön zu beobachten. Das sieht von hinten so aus, als hätte der Fahrer mehr Gefühl in den Fingerkuppen als in der Cutis Glandis und bis zu einem gewissen Grad glaubt er das auch. Damit wären wir beim vielleicht wichtigsten Element dieser Gleichung. Auf der Adventure kommuniziert der Fahrer nicht mit
der Elektronik, er kommuniziert über die Elektronik. Stimmt natürlich
eigentlich nicht und gilt weder fürs Gasgeben noch fürs Bremsen. Der
Geist weiß ja Bescheid, doch das Gefühl sagt etwas Anderes. Man spürt
die Straße, nicht den Datenhighway. Man zieht am Kabel, nicht am Wire.
Es bleibt ein Dialog zwischen Mensch und Mechanik, auch wenn die
Elektronik diese Partnerschaft inzwischen durchdringt und umspannt. Ohne
wäre es wohl einfach kein Fortschritt. KTM hat jedenfalls den besten Kompromiss zwischen Controller und Copilot gefunden. |
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Sie hat gelernt, sich zu benehmen. | |
Ohne Zweifel wäre bei dieser engagierten Testfahrt die eine oder andere Fahrsituation nicht so verlaufen, wie geplant. 150 PS sind eine Tatsache, über die man nicht diskutieren kann, man muss sie beherrschen. Die Adventure drückt in den ersten 2 Gängen (subjektiv!) zwar nicht ganz so extrem wie eine Multistrada an, sich aber gewählter aus. Erstmals hatte man in der Stadt das Gefühl, keine KTM unter sich zu haben. Präzise Gangwechsel, kein Ruckeln, Schieben oder Stottern. Man bekommt an der ersten Ampel nicht gleich die Panik "Ich muss hier RAUS!", auch nicht nach der zehnten. Wesentlich dazu bei tragen sämtliche Bedienelemente, die sensibel und akkurat auf kleinste Impulse reagieren. Ein sanftes Berühren des Schalthebels reicht für eine Reaktion, die Kupplung läßt sich mit einem Finger bedienen und die Druckpunkte des Blinkers sind überhaupt nicht mehr vorhanden. Zudem setzt KTM wie schon erwähnt bei Sitzbank, Fußrasten und Windschild auf einfachste Mechanik. Wir haben ein neues Kapitel vor uns. Auch eine neue Königin? KTM legt mit der 1190 Adventure einen riesigen Meilenstein auf den Weg, an dem alle anderen erstmal vorbei müssen. Die Adventure ist immer noch ein Performance-Motorrad mit unglaublicher Fahrdynamik, mit dem man reisen kann. Doch sie meistert nun auch den Alltag mit Geduld und Benehmen. |
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KTM 1190 Adventure Details |
KTM 1190 Adventure Standaufnahmen |
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Text: 1000ps
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KOT
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Fazit: KTM 1190 Adventure 2013
KTM legt mit der 1190 Adventure einen riesigen Meilenstein auf den Weg, an dem alle anderen erstmal vorbei müssen. Die Adventure ist immer noch ein Performance-Motorrad mit unglaublicher Fahrdynamik, mit dem man reisen kann. Doch sie meistert nun auch den Alltag mit Geduld und Benehmen.- Viel Leistung
- Komfort geboten
- mehr Individualisierung
- positive Fahrbarkeit
- einfache Mechanik
- gute Verarbeitung.
- Tank geringer als beim Vorgänger.
Bericht vom 12.02.2013 | 29.489 Aufrufe