Honda Crosstourer Test

Technologiebündel mit V4, C-ABS und Traction Control. Mit DCT wird auch das Schalten überflüssig.
 

Honda Crosstourer VFR1200X

Wenn sehr gut droht, zu gut zu werden. Honda setzt den Tech-Standard, an den wir uns gewöhnen werden müssen.

 

Es gibt Tage, da haut einfach alles hin. Der richtige Fuß steht zuerst auf, the Hair is good - not bad - so wie auch Laune und Kaffee, und jedes Rädchen greift ins andere. Emails? Check. Flughafen? Check. Stewardess? Check. 4* Hotel? Check-In! Man macht eben seinen Job, und alle anderen scheinbar auch. Das hat Seltenheitswert, aber es passiert dennoch hin und wieder. Der von Skepsis geprägte Mensch traut diesem idealen Alltag natürlich nicht und so kann es sein, dass etwas, das sich nahtlos in dieses Netz aus Pflichten und Notwendigkeiten eingliedert und eigentlich nicht auffällt, weil es keine Unregelmäßigkeiten aufweist, als Fehler in der Matrix identifiziert wird, weil es zu perfekt ist. Gewiss, ein Paradoxon, denn wir alle Streben in dem, was wir tun und machen, nach Vollkommenheit. O.K., die meisten….viele…manche halt. Honda gehört gewiss dazu.

   

CBR1000RR Fireblade? Der Name ist ein Gebet, für mich der beste Supersportler, egal, was die Stoppuhren sagen. Hornet 600? Nakedbike Legende. CBR600RR? Sein erstes Mal vergisst man nie. Goldwing? Fahrende Festung. Untouchable. Honda will nicht, dass seine Motorräder die erstbesten sind, sondern die ersten und die besten. Für die neu gegründete Crossover-Familie gilt derselbe Maßstab. Derzeit zählt diese drei Mitglieder. Das Nesthäkchen NC700X, den Halbwüchsigen Crossrunner und das Familienoberhaupt Crosstourer. Der kleine Clan soll in naher Zukunft noch wachsen. Neben Crossover, Crossrunner und Crosstourer hat sich der Zweiradriese noch ein paar andere Neusprech-Begriffe einfallen lassen.


Digital total. ABS, TCS, DCT, Drive-by-Wire.


All-Road Gran Turismo und Adventure Sports Touring. Diese Litanei soll Charakter und Einsatzspektrum des Crosstourers beschreiben. Wir leben schließlich in der Zukunft, gestern hätten wir noch Reiseenduro dazu gesagt. Verkompliziert wird das ganze noch durch Kürzel wie ABS, TCS und DCT. Willkommen in der digitalen Welt. Die einfacheren Leute unter uns wird es freuen, dass der Crosstourer bei aller Technik von einem Verbrennungsmotor angetrieben wird, in einer seltenen 76 Grad V4-Ausführung. Was wir auch noch ansatzweise verstehen, sind die Leistungsangaben von 125 PS bei 7.750 U/min. und 126 Nm bei 6.500 U/min., weil wir seine Auswirkungen kennen und lieben.

275 Kilo vollgetankt und 285 mit optionalem Doppelkupplungsgetriebe würden wir so schlicht, wie wir sind, als viel bezeichnen, da sind auch 1.235 Kubik kein Argument. Bei 850 mm Sitzhöhe beginnt es, intim zu werden, weil wir uns das zwischen unseren Beinen vorstellen müssen. 180 mm Bodenfreiheit für Randstein statt für Stock und Stein, denn fürs Gelände ist sie uns zu schön und die 43 mm Upside-Down-Gabel wird ihre 165 mm Federweg auf Asphalt wohl nur selten ganz verschlucken. Alles irgendwie anders, doch sofort wieder vertraut. Denn wer sich auf eine Honda setzt, der sucht nicht, der findet. Ein ABS, hier in der zeitgemäßen das bedeutet wenn schon-denn schon- Ausführung, ist jetzt bei Honda sowieso immer mit an Board.


C-ABS wird dankend angenommen. TCS weniger.


Der Crosstourer lässt dich aber nicht nur beim Bremsen nicht allein, sondern auch, wenn beim Beschleunigen der Reibungsfaden reißt. TCS bedeutet Traction Control System und das verhindert, dass der Reifen völlig durchdreht. Je nach Griplevel nimmt der Microchip Gas weg oder dreht die Zufuhr völlig ab. Während ich das fein regelnde C-ABS als Rettungsfallschirm im Fall der Fälle mittlerweile nicht nur akzeptiere, sondern dankend annehme, leuchtet bei mir die meiste Zeit ein kleines Warnlämpchen am Tacho, das anzeigt, dass jemand die Traktionskontrolle unschädlich gemacht hat.


Gas geben kann ich selbst.


Denn außer bei wirklich schwierigen Verhältnissen, wie schwerem Regen oder extrem schwerem Regen, kommuniziere ich lieber ohne elektronisches Mittelsmännchen mit dem Hinterreifen und ich glaube behaupten zu können, dass ich ziemlich immer weiß, was ich ihm in welcher Situation zumuten kann. (Ich nehme mir auch die Freiheit, selbst zu entscheiden, welcher Verkehrslage ich welche Geschwindigkeit zumuten kann.) Solange die Entscheidungsfreiheit bestehen bleibt, ein System zu nutzen oder nicht, werde ich mich aber sicher nicht beschweren... Fast wäre ich jetzt das kleine Teil zwischen Gasgriff und Reifen übergangen, den Motor.

Das liegt vielleicht daran, dass er so unauffällig arbeitet, so leise und ruhig. Dabei sollte es doch er sein, der dem Crosstourer eine ganz besondere Alleinstellung am Markt sichert. (Diese haben allerdings auch Kawasaki mit dem Vierzylinder in der Versys 1000 und BMW mit dem Boxer in der GS.) Von räudiger Heiserkeit keine Spur mehr, dabei braucht ein Adventurebike leichte Verhaltens-auffälligkeiten in Laufkultur und Auspuffsound wie Reinhold Messner seinen Vollbart. (Ohne würde er sogar am Semmering im Spätherbst außerhalb des Zeltes sofort erfrieren.) In der VFR1200F war da noch deutlich mehr zu vernehmen, die hatte nur leider anfangs ein anderes Problem. Denn auch wenn ein U in Drehmomentkurve steckt, sollte das nicht unbedingt für den Graphen selbst gelten.


Kein Drehmomentloch mehr.


Die VFR hatte im unteren Drehzahlbereich noch ein Loch so groß wie eine Schottergrube. Die konnte Honda bis oben hin zuschütten und jetzt leistet sich der 1200er keinen Durchhänger mehr. Ist nicht schlimm, nur die Realität. Jede technische Innovation muss aus einem langwierigen Entwicklungsprozess entstehen. Dass dieser Prozess bei Verkaufsstart nicht immer abgeschlossen ist, ist nicht des Erstkäufers größte Freude. Ein Teil dieses Prozesses zu sein, verlangt oft etwas Geduld und manchmal sogar Leidensfähigkeit von all jenen, die bereit sind, neue technische Lösungen und modernes, zukunftsorientiertes Design anzunehmen. Der Crosstourer ließ auf den ersten Blick in dieser Richtung allerdings keine Schwächen erkennen.

Selbst das Doppelkupplungsgetriebe, ein automatisches Schaltgetriebe mit drei Fahrmodi, funktioniert so, dass man sich nicht aufregen kann, selbst wenn man das möchte. Da Kupplungs- und Schalthebel völlig fehlen, wird entweder mit zwei Knöpchen wie auf der Playstation manuell geschaltet, oder vollautomatisch im Drive (Automat schaltet früher, erste Wahl für den Alltagsbetrieb) oder Sport Modus (Ausdrehen der Gänge, sportliche Gangwechsel und wahl). Zudem kann man über die beiden + und - Knöpfe immer selbst in das Schaltschema eingreifen.


Sensation Schaltautomat.


Der Überhammer aber ist ein für wenig Geld nachrüstbarer Schalthebel, mit dem die Gänge zwar konventionell mit dem Fuß selektiert werden, nur diesmal ohne die Kupplung ziehen zu müssen. Ein vollautomatischer Schaltassistent also. Da war plötzlich doch was, das die Honda ganz deutlich von allen anderen Unterschied. Herrlichkeit auf Erden, das war eine Offenbarung! Nicht nur Rennsportlegende Christian Zwedorn hatte damit seine Freude.

 

Weil all die Technik zwar aus modernen, aber nicht hypermodernen Weltraummaterialien besteht, die leichter als Luft sind, hat das Ganze wie bereits erwähnt auch sein Gewicht. Erstmals muss man darüber nachdenken, wo und wie man seine Bigenduro abstellt, ohne sie peinlicherweise mit fremder Hilfe wieder aus einer leichten Senke am Parkplatz ziehen zu müssen. 275 bzw. 285 (TCS Ausstattung) Kilo sind ein fester Brocken. Agilität ist immer mit etwas Anstrengung verbunden, die Videoaufnahmen täuschen nicht. Mit sündteurem Kofferset (günstigere Alternative von Hecpo & Becker), Hauptständer (leider nicht Serie) und Sturzbügeln mit Nebelscheinwerfern hat man schnell einmal 300 Kilo in der Hand. Als nervös kann man den Crosstourer wahrlich nicht bezeichnen.

 
 

Insgesamt ist trotzdem alles gut, fast zu gut, zu glatt. Schließlich findet ein Deutscher doch noch ein Haar in der Suppe. Sir, I have a technical problem! ruft er lautstark über den Parkplatz, während er die Hand in die Luft reißt, als stünde er mitten in der Startaufstellung eines Superbike-WM Rennens und würde Gefahr laufen, von 20 anderen  überfahren zu werden. Dabei waren wir einfach gerade dabei, eine gewöhnliche Rauchpause zu beenden, völlig harmlos. Motorradfahrer sind bekanntlich geradezu moralisch dazu verpflichtet, einem Kollegen in Not zu helfen und so waren sofort drei Leute zur Stelle, um dem technischen Problem auf den Grund zu gehen und den Handlungsunfähigen aus der Gefahrenzone zu holen.


Technical Problem!


Der Motor ließe sich nicht mehr starten, gab er etwas aufgelöst zu verstehen. Und das war auch gut so, denn mit ausgeklapptem Seitenständer wäre das Verlassen des Parkplatzes tatsächlich zum Problem geworden. Klapp, klick, Rrrrrrrrr…und der V4 surrte wieder. Zwedi, der wie eine Wildkatze auf der Suche nach dem schwächsten Tier der Herde aus dem Hinterhalt hervorgesprungen und angesichts der versuchten Besudelung seines Glaubensbekenntnisses leicht angepisst war, winkte vor finsterer Miene mit seinem Zeigefinger wie ein Messer hin und her Na, na. No technical Problem... In seinen Augen war zu lesen, dass dieser Satz noch nicht zu Ende war. Dieser Test allerdings schon.

Mit neuen Modellvariationen und hochentwickelter Technik macht Honda deutlich, dass man keine Lust hat, auf die Zukunft zu warten - man macht sie selbst, heute. Der Crosstourer bündelt Innovationen und Entwicklungen wie ein Raumschiff und strahlt daher auch eher den arroganten Charme einer Businesslimousine aus, als den eines raubeinigen Abenteuerbikes. Über Qualität und  Funktionalität gibt es aber auch diesmal kein schlechtes Wort zu verlieren.


Bildergalerie Crosstourer Action Bildergalerie Crosstourer Details

Technische Daten Honda Crosstourer (VFR1200X)

Bauart Flüssigkeitsgekühlter V4-Viertaktmotor, Zylinderwinkel 76°, Vierventil-UNICAM-Zylinderköpfe
Bohrung x Hub in mm
Hubraum in cm3 81 x 60 / 1237
Verdichtung 12 : 1
Gemischaufbereitung PGM-FI Elektronische Kraftstoffeinspritzung
Max. Leistung, kW (PS) bei 1/min gemessen nach 95/1/EC 95 (129) / 7.750
Max. Drehmoment, Nm bei 1/min 126 / 6.500
Zündung Computergesteuerte digitale Transistorzündung mit elektronischer Frühverstellung
Starter Elektrostarter

Länge in mm 2.285
Breite in mm 915
Höhe in mm 1.335
Radstand in mm 1.595
Lenkkopfwinkel 28°
Nachlauf in mm 107
Sitzhöhe in mm 850
Bodenfreiheit in mm 180
Tankinhalt in Liter 21,5

Felgen
Felgen vorne 19M/C x MT2.50
Felgen hinten 17M/C x MT4.00
Bereifung
Bereifung vorne 110/80-R19
Bereifung hinten 150/70-R17
Radaufhängung
Radaufhängung vorne 43 mm Upside-Down-Gabel, Federvorspannung und Zugstufendämpfung einstellbar
Radaufhängung hinten Pro-Link Aufhängung, Gasdruck-Stoßdämpfer, Federvorspannung stufenlos über Handdrehrad einstellbar, Zugstufen-Dämpfung einstellbar
Federweg in mm vorne/hinten k.A.
Bremsen
Bremsen vorne Combined-ABS, 310-mm-Doppelscheibenbremse
Bremsen hinten Combined-ABS, 276-mm-Scheibenbremse

Gewicht vollgetankt 275 (Version mit DCT: 285)

Farben
- Digital Silver Metallic
- Pearl Sunbeam White
- Pearl Cosmic Black
- Candy Prominence Red



 

Fotos: Honda

Fazit: Honda VFR1200X Crosstourer 2012

Mit neuen Modellvariationen und hochentwickelter Technik macht Honda deutlich, dass man keine Lust hat, auf die Zukunft zu warten - man macht sie selbst, heute. Der Crosstourer bündelt Innovationen und Entwicklungen wie ein Raumschiff und strahlt daher auch eher den arroganten Charme einer Businesslimousine aus, als den eines raubeinigen Abenteuerbikes.


  • ABS
  • leiser, ruhiger, starker Motor
  • automatisches Schaltgetriebe.
  • Sehr hohes Gesamtgewicht.

Bericht vom 28.02.2012 | 50.653 Aufrufe

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