Moto Morini Calibro 2024 im Test - Cruiser mit Italoflair

Dieses Kaliber passt allen!

Nach über 4 Jahrzehnten baut Moto Morini wieder einen Cruiser! Ob das gut geht, zeigt der Erstkontakt! Kurztest!

Moto Morini lädt zum Launch des kleinen Cruisers ins Hauptquartier

Auch wenn Moto Morini 1937 in Bologna, im Herzen des norditalienischen Motor Valleys, wie die Emilia-Romagna, aufgrund ihrer immensen Bedeutung für die italienische und internationale Automobil- und Motorradindustrie auch genannt wird, gegründet wurde entschied man sich für den Launch der neuen Calibro für das Städtchen Trivolzio nahe Pavia in der Lombardei, das sein 2013 als Firmensitz dient.

Die Geschichte von Motor Morini - ein kurzer Abriss

Moto Morini, wurde 1937 von Alfonso Morini gegründet und etablierte sich schnell als eine feste Größe in der Motorradindustrie. Im Jahr 1969 verstirbt der Gründer und seine Tochter Gabriella übernimmt die Führung der Firma. 1986 wurde das Unternehmen von den Gebrüdern Castiglioni, die zu dem Zeitpunkt auch die Marken Ducati, Cagiva und Husqvarna innehatten, übernommen. Die Produktion von Moto Morini Bikes wurde jedoch 1991 eingestellt, was eine vorübergehende Pause in der Geschichte von Moto Morini bedeutete. Im Jahr 2001 erlebte das Unternehmen eine Wiedergeburt und präsentierte auf der EICMA 2004 die ersten neuen Modelle. Dieser Versuch war leider nicht von langer Dauer. Ein erneuter Konkurs im Jahr 2009 führte zu einer weiteren Unterbrechung. 2013 wurde die Produktion nach Trivolzio verlagert, nachdem zwei Mailänder Geschäftsleute die Firma übernommen hatten. Von 2013 bis 2018 wurden alle Motorräder in Trivolzio gefertigt, das auch heute noch den Firmensitz bildet. 2018 wechselte Moto Morini in chinesischen Besitz, wobei die Produktion schrittweise nach China verlagert wurde. Interessanterweise wurden keine Fertigungsmaschinen nach China überstellt, und am italienischen Standort in Trivolzio sind noch etwa 30 Mitarbeiter für Forschung, Entwicklung und Prototypenbau tätig.

Die Region um Pavia bietet Motorradfahrern eine Vielzahl von reizvollen Strecken, die durch die malerische Landschaft der Lombardei führen. Pavia selbst ist eine historische Stadt südlich von Mailand und liegt in der Nähe der Po-Ebene. Die Straßen rund um Pavia bieten eine Mischung aus kurvenreichen Landstraßen, ruhigen Dorfstraßen und Strecken entlang der Flüsse und Felder, die besonders im Frühling und Sommer wunderschön sind. Ideale Testbedingungen also für den neuen Cruiser. Unsere leider etwas zu kleine aber dennoch vielseitige Testrunde hat mir einen ersten Eindruck zur Calibro gegeben.

Moto Morini Calibro - das dritte Segment bekommt den Plattformantrieb

Die Moto Morini Calibro markiert den Einstieg des italienischen Herstellers in das Cruiser-Segment. Nach der Reiseenduro X-Cape 2021 und dem Scrambler-inspirierten Naked-Bike Sei Mezzo 2023 betritt Moto Morini nun mit der Calibro ein drittes Mal Neuland. Dabei teilen sich die drei Bikes als Herzstück den in Lizenzbauweise erzeugten, wohlbekannten Paralleltwin aus der Kawasaki Z650. Es ist das erste Mal seit den wilden (und schließlich auch erfolglosen) Versuchen mit dem Modell Excalibur in den Tagen der Gebrüder Castiglioni Mitte der 80er Jahre, dass Moto Morini wieder einen Cruiser im Programm hat.

Evolution statt Revolution: Motor und Leistung Moto Morini Calibro

Die Calibro nutzt motorisch zwar die gleiche Basis, holt durch klassisches Aufbohren auf 693 Kubik jedoch 69 PS bei 8.500/min, sowie 68 Nm bei 6.500/min aus dem Reihen-Zweizylindermotor aus Lizenzbau. Der Motor wurde für die Calibro überarbeitet, um angenehmes Ansprechverhalten und etwas weniger Vibrationen zu bieten und gleichzeitig einen sanften Lauf zu gewährleisten. Bis rund 5.500 U/Min ist das den Ingenieuren auch gelungen, darüber vibriert es im Sattel des Cruisers ordentlich, das Drehzahllimit ist klassenuntypisch erst bei 10.500 Umdrehungen erreicht. In Summe ist das Update eher als sanfte Evolution als als Revolution zu bezeichnen.

Die Motorenbasis stammt von Kawasaki, wurde von Moto Morini aber noch angepasst.
Die Motorenbasis stammt von Kawasaki, wurde von Moto Morini aber noch angepasst.

In der Praxis wird niemand das Fahrzeug so hochtourig bewegen und auch wenn man den nächsten Gang früher nachlegt, reicht der Vortrieb für entspanntes Cruisen aus. Das Ansprechverhalten ist gutmütig und das Fahrzeug stets berechenbar. Hier hat die Entwicklungsabteilung gute Arbeit geleistet und die Abstimmung mit dem wartungsfreien Riemenantrieb der Calibro optimal hinbekommen. Fahrmodi und Traktionskontrolle sind nicht an Board, werden aber auch zu keinem Zeitpunkt vermisst. Moto Morini hat neben der Standardversion auch eine A2-taugliche Variante mit 35 kW Leistung im Programm, wobei der Eingriff rein über die Elektronik erfolgt und daher einfach reversierbar ist.

Moto Morini Calibro: Design und Ausstattung, Verarbeitung und Haptik

Das Chassis der Calibro ist von Grund auf neu konstruiert und interpretiert die Rahmen alter Tage mit einer Prise Soft-Chopper-Look für die der hohe Tank sorgt. Die Calibro zeichnet sich durch ihr italienisches Design aus, wenngleich bei manchen Details (Gestaltung der Blinkereinheit) ebenfalls Anleihen an US-amerikanischen Fahrzeugen genommen wurde. Das Motorrad vereint dabei klassische und moderne Elemente, wie LED-Lichtelemente, einen 15-Liter-Tropfen-MetallTank und ein tiefes, langgezogenes Heck im Bagger-Stil. Auffällig ist auch die sportlich orientierte Lichtmaske mit dem Moto Morini Familien-Erkennungssymbol dem (extrem hellen) Tagfahrlicht-Ring.

Erfreuliche Abwechslung: (Fast) alles, was an der Calibro nach Metall aussieht, ist auch Metall. Wer an dieser Stelle fürchtet, dass das Gewicht ausufert, kann beruhigt sein: 214 Kilogramm fahrfertig und eine Zuladung von 185 kg lassen den Cruiser nicht zum Schwergewicht werden. Die Moto Morini ist hochwertig verarbeitet, die verwendeten Materialien machen einen guten Eindruck, hier wirkt nichts billig. Kleine Gimmicks, wie das seitlich rechts montierte Zündschloss oder der USB-Stecker samt praktischem kleinen Fach auf der anderen Fahrzeugseite unterhalb des Tanks, oder die eleganten Spiegel aus Aluminium sind Ausdruck der Bemühungen etwas Besonderes zu schaffen

Die Bedienung der Calibro gibt grundsätzlich keine Rätsel auf, etwas gewöhnungsbedürftig ist die Gestaltung und Funktion der zwei Blinkertasten, zumal sie keine selbstrückstellende Funktion bieten. Gimmicks wie einen Tempomat, Quickshifter oder Connectivity sucht man auf der Calibro vergeblich. Aufsteigen und losfahren ist angesagt.

Die Funktion der Blinkertasten fällt nicht sehr intuitiv aus.
Die Funktion der Blinkertasten fällt nicht sehr intuitiv aus.

Relaxen statt Rasen: Fahrwerk, Handling, Ergonomie

Die Calibro verfügt, dem Segment angemessen, über eine nicht einstellbare 41-mm-Teleskopgabel vorne und in der Vorspannung verstellbare Stereo-Federbeine hinten. Die Federwege betragen vorne 120 mm, während hinten für einen Cruiser ebenfalls leicht überdurchschnittliche 100 mm zur Verfügung stehen. Wunder darf man sich von den Stereofederbeinen jedoch nicht erwarten, die Straßen in mäßigem Zustand rund um die Moto Morini Hauptgeschäftsstelle stellt die Bandscheiben des Testers auf die Probe. Während längere Wellen (so lange man es mit dem Tempo nicht übertreibt) gut weggesteckt werden, sind kurze Stöße ziemlich direkt an den Piloten weitergegeben worden. Das Fahrwerks-Setup ist eindeutig eher fürs Cruisen als fürs Heizen gewählt!

Unspektakulär präsentieren sich die chinesischen Tim Sun-Reifen - ein 130/70er in 18 Zoll vorne und 16 Zoll hinten mit einem Verhältnis von 180/65 ist Standard. Die Dimension 180/70 ist aber ebenfalls homologiert, weil sie häufiger am europäischen Markt zu finden ist. Der kurze Radstand von 1.490 mm trägt zum agilen Handling der Calibro bei. Der Schwerpunkt ist angenehm niedrig und durch die geringe Sitzhöhe von 720 mm sind auch kurzbeinige Interessenten keinesfalls ausgeschlossen. Gleichzeitig schafft es Moto Morini, dass auch ausgewachsene MItteleuropäer auf der Calibro nicht wie Clowns aussehen. Der breite Lenker ist etwas Richtung Fahrer gekröpft und liegt gut in der Hand. Die Fußrastenanlage ist nach vorne verlegt, was für typischen Cruiser-Komfort sorgt. Sie lässt sich aber serienmäßig auch in einer zweiten - über 10(!) Zentimeter - weiter hinten gelegenen Stellung montieren. Vor dieser Stellung sollen (sehr) kleine oder unerfahrene Fahrer profitieren.

Die Bremsen der Calibro

Für die Verzögerung sorgen vorne eine 320-mm-Bremsscheibe mit Zweikolben-Schwimmsattel und hinten eine 255-mm-Scheibe mit Einkolben-Schwimmsattel. Das Bosch ABS ist nicht abschaltbar oder verstellbar, gehört jedoch, so wie es gesetzlich vorgeschrieben ist, zur Standardausstattung. Die Regelintervalle sind angenehm kurz und so ist der Blockierverhinderer ein unauffälliger Begleiter. Nur wenn man es provoziert und hinten mit voller Wucht auf die Bremse steigt, blockiert der Reifen (zumindest bei den von uns getesteten Vorserienmodellen) für den Bruchteil einer Sekunde. Die Leistung der Bremse ist dem Segment und dem Fahrzeug angemessen, keine Sportbremse, aber ein zufriedenstellender Alltags- und Reisebegleiter. Ein Manko für Personen mit kleineren Händen: Der Bremshebel (und auch der Kupplungshebel) ist nicht in der Distanz verstellbar.

Die Bremsperformance stellt zufrieden.
Die Bremsperformance stellt zufrieden.

Moto Morini Calibro - Ein Traum für Customizer?

Customizing ist aus Sicht von Moto Morini zentraler Bestandteil der Calibro-DNA. Zum einen ermöglichen die verstellbaren Fußrasten eine individuelle Anpassung der Sitzposition, zum anderen lässt sich der Soziussitz durch eine im Zubehör erhältliche Abdeckung ersetzen. So wird aus dem kleinen Cruiser ein Einsitzer und der Verlauf des hinteren Kotflügels wirkt optisch, als hätte es den Soziussitz nie gegeben, was der Calibro einen eleganteren Auftritt verleiht. Auch darüber hinaus wird Moto Morini eine breite Palette an Zubehör an, darunter Gepäcksets, Rückenlehnen und höhere und niedrigere Sitzbänke anbieten. So lässt sich der kleine Cruiser nach den jeweiligen individuellen Vorlieben bzw. nach dem persönlichen Einsatztweck optimieren.

Bagger mit Batwing als Option 2 der Calibro

Nicht nachrüstbar sind die Batwing-Verkleidung und die jeweils 19 Liter fassenden Seitenkoffer. Wer sich dafür interessiert, muss gleich zur Bagger-Variante greifen, die ausschließlich in Schwarz erhältlich sein wird. Mit ihr schielt Moto Morini auf jenes Publikum, das die Calibro für Wochenendtrips oder andere weitere Strecken einsetzen will.

Moto Morini Calibro: Konkurrenzeinordnung

Honda CMX500 Rebel

Optisch kommt dem Betrachter beim Anblick der Calibro vermutlich früher oder später Hondas CMX500 Rebel in den Sinn. Ähnliche Abmessungen (gleicher Radstand!) und ein niedrigerer Preis in Deutschland paaren sich mit vergleichbarer Sitzposition (auch wenn die Rebel deutlich zierlicher und für große Piloten nicht so gut geeignet ist) und einer Optik, die eine gewisse Inspiration der Moto Morini Designer vermuten lassen. Motorisch fehlen der beliebten Honda jedoch mehr als 200 Kubik und 20 PS auf die Calibro. Insbesondere Interessenten, die gerne auch einmal zu zweit unterwegs sind, sollten genau überlegen, wie viel Power sie brauchen.

Royal Enfield Super Meteor

Ebenfalls in der A2-Leistungsklasse wildert die 48PS starke Royal Enfield Super Meteor seit 2023. Preislich attraktiv und mit dem soliden 650er Zweizylinder bestückt, kommt sie der Moto Morini ins Gehege. Auf der Habenseite kann die Super Meteor die noch stärker aufs Cruisen ausgelegte Sitzposition und die großzügigeren Platzverhältnisse verbuchen. Auch die Verarbeitungs- und Materialqualität der Royal Enfield sucht in dieser Sache ihres gleichen. Der Preis für den indischen Cruiser liegt je nach Ausstattung ungefähr auf dem Niveau Moto Morini.

Benelli 502 C

Ein ebenfalls in China produzierter Außenseiter mit klingendem italienischen Markennamen und chinesischen Inhabern drängt sich in Form der Benelli 502 C ins Konkurrenzfeld. Mit niedrigen Preisen und einer auffälligen Optik kann die Italo-Chinesin punkten, es fehlen ihr allerdings ebenfalls mehr als 20 PS und zudem ein würdiger Soziusplatz, um der Calibro das Wasser zu reichen.

Kawasaki Vulcan S

Zu guter letzt fällt einem an dieser Stelle der Dauerbrenner, die Kawasaki Vulcan S ein. Motorisch ist sie, wenig verwunderlich, am nächsten an der Moto Morini dran. Doch während beim Leistungskapitel ein Kopf-an-Kopf Rennen angesagt ist, lässt die Calibro die Kawa alt aussehen, sobald man sich in den Sattel schwingt. Das moderene Rundinstrument der Moto Morini überzeugt durch eine zeitgemäße Darstellung, während das mausgraue LC-Display der Kawa lautstark nach einer Überarbeitung schreit. Preislich bewegen sich die beiden Bikes auf einem ähnlichen Niveau, wie ein Blick auf den 1000PS Marktplatz zu aktuellen Angeboten der Kawasaki Vulcan S verrät. Die schiere Anzahl an Offerten ist zudem ein Beleg für die Zuverlässigkeit der Japanerin, auch mit zehntausenden Kilometern am Buckel.

Moto Morini Calibro: Preise, Farben und Verfügbarkeit

Die Calibro soll im August 2024 in schwarz-rot oder schwarz-grau bei den Händlern stehen die Bagger-Version wird im September, wie erwähnt ausschließlich in Schwarz auf den europäischen Markt kommen. Die Preise starten in der Schweiz bei 7790 CHF für die Standard- bzw. 8190 CHF für die Baggervariante. Dabei handelt es sich jeweils um Einführungspreise inkl. aller Abgaben. Wir Österreicher dürfen - NoVA sei Dank - wieder einmal tiefer in die Tasche greifen - 8790 Euro für die normale und 9590 für die Bagger-Variante werden aufgerufen. In Deutschland geht es bei 7699 Euro inkl. Überführnungskosten und 8599 Euro für die Variante mit Windschild und Seitenkoffern los. Aktuelle Angebote in eurer Nähe zur Moto Morini Calibro findet ihr wie immer am 1000PS Marktplatz.

Fazit: Moto Morini Calibro 2024

Mit der Calibro steigt Moto Morini (wieder) in den Cruisermarkt ein. Der leicht erstarkte Motor sorgt trotz spürbarer Vibrationen für angemessene Fahrleistungen, die weder das simple Fahrwerk noch die Einscheiben-Bremsanlage in die Bredouille bringen. Ergonomisch schafft die Calibro durch einzigartige Anpassungsmöglichkeiten das Kunststück, einem wirklich breiten Spektrum an potentiellen Interessenten zu passen. Die Verarbeitung und die eingesetzten Materialien machen den Cruiser mit der schicken Optik zu einer interessanten Erweiterung des Segments.


  • erwachsener Auftritt
  • universelle Ergonomie
  • gemütliche Sitzposition
  • wartungsarmer Riemenantrieb
  • einsteigerfreundlich
  • gutes Ansprechverhalten
  • hochwertige Materialien und Verarbeitung
  • durchdachte Detaillösungen
  • Motor passt nicht perfekt in einen Cruiser
  • Federungskomfort hinten ausbaufähig
  • Motorlauf über 5.500 U/Min rau
  • Blinkerbedienkonzept überholt

Bericht vom 12.07.2024 | 12.110 Aufrufe