Arai Tour-X5 im Test & Einblick in die Helm Herstellung in Japan
Arai hat in Japan die Türen für 1000PS geöffnet
Eine Einladung die man nicht ausschlagen kann! Redakteur Mex folgte dem Ruf nach Japan und durfte einen Blick in die Produktion des Traditionsherstellers Arai werfen. Ein anspruchsvoller Prozess, der unfassbar viel Präzision und Handwerkskunst voraussetzt. Hier im Bericht beleuchten wir einige Schritte in der Herstellung des neuen Adventure-Helms und liefern auch direkt einen Schwenk aus der ersten Praxiserfahrung, die mit dem Tour-X5 auf den japanischen Straßen gesammelt werden konnte.
Die Einladung nach Japan verdeutlicht, wie wichtig Arai der neue Tour-X5 ist. Der Markt für Reiseenduros ist weiterhin ein stark wachsender. Auch eine Vielzahl an Veranstaltungen bereichert zwischenzeitlich die Adventure Community. Große Offroad-Events wie die Bosnia Rally, die Seeker Raid oder das Pothole Rodeo haben sich längst etabliert. Ebenso erfreuen sich die Routen von TET und ACT zunehmender Beliebtheit. Man will sich nach der zähen Pandemiezeit, mit all ihren Einschränkungen, mehr denn je als Abenteurer fühlen, Freiheit genießen und neue Wege beschreiten. Genau dafür hat Arai ab 2024 den richtigen Helm im Sortiment. Der neue Tour-X5 tritt in die großen Fußstapfen des beliebten Tour-X4. Ob er auch wirklich alles besser kann? Wir haben natürlich nicht nur die Fertigung in Japan besichtigt, im Land der aufgehenden Sonne wurde auch Motorradgefahren! So konnte ich mir direkt in der Praxis einen umfangreichen Eindruck vom neuen Adventurehelm verschaffen.
Vor dem Test-Eindruck zum neuen Tour-X5, ein kurzer Einblick in die wichtigsten Schritte in der Helmfertigung bei Arai. Vielleicht ging es nur mir so, aber bei Japan denke ich augenblicklich an viel Hightech, akribisch agierende Roboterarme und automatisierte Fertigungsprozesse. Schon nach den ersten Metern, in einer der Fertigungsstätten in Saitama - einer Vorstadt von Tokyo - wurde mir klar, wie sehr ich mich in meiner Annahme geirrt hatte. Handarbeit soweit das Auge reicht. Viele eifrig zupackende Hände die mit Hingabe und einer unfassbaren Perfektion jeden noch so kleinen Schritt in der Herstellung dieser High-End Helme begleiten. Jetzt aber der Reihe nach...
Materialauswahl bei Arai: jede noch so kleine Faser ist "Made in Japan"
Arai verwendet generell für alle Bestandteile des Helms ausschließlich Produkte "Made in Japan". Vieles davon wird direkt selbst hergestellt, einige wenige Bestandteile lässt man von Spezialisten zuliefern. Die äußere Schale der Helme besteht aus einer speziellen, zweilagigen Glasfaser-Mischung namens "Super Fiber", diese ist eine besonders dünne und widerstandsfähige Faser, welche nach eigenen Spezifikationen hergestellt wird. Sie vereint optimal die zwei Faktoren: Festigkeit und Leichtigkeit. Zwischen die beiden Lagen des feinen Super Fiber Geflechts kommen noch bereichsspezifische Verstärkungen, welche eine optimale Festigkeit gewährleisten. Auf besagte Festigkeit der äußeren Hülle legt man bei Arai besonderen Wert, die robuste Helmschale ist Teil des Arai Sicherheits-Konzepts, in welchem vordergründig das perfekte Abgleiten bei einem Aufprall steht. Daher auch die sehr runde Form aller Arai Produkte.
Erscheint logisch, alles was an Energie im Vorfeld durch abgleiten abgeleitet werden kann - und somit gar nicht erst ins Innere des Helms kommt - muss auch nicht vom weiteren Materialaufbau absorbiert werden. Und wo keine scharfen Kanten im Design vorhanden sind, kann sich im Sturzfall auch nichts am Untergrund oder etwaigen Hindernissen fangen. Gerade bei einem Adventure-Helm mit Schild kommt vielleicht die Frage auf, was damit im Fall der Fälle passiert? Die Antwort von Arai kurz und knapp: Alles was nicht zur eigentlichen Helmschale gehört, wurde so designt, dass es bei einem Aufprall einfach abfliegt und so die runden Eigenschaften der Grundkonstruktion nicht stört. Mittlerweile eine Selbstverständlichkeit im Premium-Segment: Bei allen Helmen werden diese Schalen in mehreren, verschiedenen Größen hergestellt, um stets optimale Passform und Sicherheit zu gewährleisten.
Arai Tour-X5 - Handarbeit und Präzision essentiell im Herstellungsprozess
In einer anfänglichen Euphorie dachte ich, dass das Zählen der einzelnen Schritte bis zum fertigen Produkt eine gute Zahl für meinen Bericht abliefert. Doch ganz offen muss an dieser Stelle gesagt sein, dass ich bei 100 meine Bemühungen beendet hatte. Letztendlich sind es wohl noch deutlich mehr, bis der Helm in seinem Karton verpackt dem Besitzer übergeben wird.
Alleine 15 Arbeitsschritte nimmt beispielsweise der Lackierprozess ein. Ein ständiger Wechsel aus Lack, anfangs als Grundierung, mit wiederholtem Abschleifen und Überprüfen. Später wieder Lack, die Basisfarbe. Dann erneut schleifen und polieren - alles von Hand versteht sich. Im Anschluss wird mit Pinzetten, Spachtel und viel Fingerspitzengefühl das jeweilige Dekor aufgebracht, mehrheitlich von Frauen - wohl der besseren Geduld des weiblichen Geschlechts geschuldet - bevor wieder Lack kommt, jetzt eine Klarlackschicht. Abschließend nochmals polieren bis zur peniblen Endkontrolle unter Tageslicht-Lampen.
Jede Helmschale unterliegt sowohl zum Abschluss aber auch zwischen den einzelnen Fertigungsschritten immer wieder rigorosen Qualitätskontrollen. Diese beinhalten die mehrfache die Prüfung der Schalenstärke und der Oberflächengüte. Neben einer umfassenden Sichtprüfung wird auch mit speziellen Messgeräten zu Werke gegangen, um sicherzustellen, dass stets volle 100% geliefert werden.
Arai EPS-Schaumstoff - ein gut gehütetes Geheimnis
Ein Schwenk zur Innenausstattung der Helme: Wir haben zwischenzeitlich gelernt, dass anders als bei vielen anderen Herstellern am Markt, die Arai Schale ausgesprochen hart und robust gebaut wird. Sie ist für das Abgleiten und den Durchdringungsschutz verantwortlich, nicht aber für eine optimale Dämpfung. Letztere übernimmt die Innenausstattung des Helms, welche aus mehreren Schichten EPS-Schaumstoff besteht. Ja genau, es geht um den Teil des Innenlebens, der zwischen Futter und Schale steckt und welcher am Stammtisch oftmals kurzerhand als "Styropor" abgetan wird. Im ganzen Besichtigungsprozess hat sich Arai hier am bedecktesten gehalten. Uns wurde mitgeteilt, dass man der einzige Helm Hersteller weltweit sei, der das EPS mit verschiedenen Dichten in einem Stück pressen kann. Das heißt, es werden keine einzelnen Lagen ineinander gelegt oder aufeinander geklebt. Das ganze Teil wird tatsächlich in fünf verschiedenen Dichten aus einem Stück produziert. Die unterschiedliche Festigkeit ist bei beherztem Druck auf den EPS Layer direkt fühlbar und wird von Arai je nach Aufprallzone unterschiedlich entlang der Schale eingesetzt.
Tour-X5 Innenfutter, Passform und Komfort
Mit einem Blick auf so manchen Marktbegleiter darf das Innenfutter von Arai, und im Speziellen das des neuen Tour-X5, schon für sich betrachtet als kleines Kunstwerk bezeichnet werden. Mehr als 30 unterschiedliche Materialien schmiegen sich zu einem komfortablem Gesamten zusammen, welches den Kopf des Fahrers weich gebettet und dennoch solide sitzend in sich aufnimmt. Für perfekte Passform und Komfort ermöglichen spezielle Polster, beispielsweise im Bereich der Wangen und des Hinterkopfs, eine einfache Anpassung. Wenn zusätzlicher Raum benötigt wird, kann eine 5 mm dicke, abnehmbare Schicht einfach aus der Polsterung entfernt werden. Arai hat für deren Anpassungsmöglichkeiten auch einen übergreifenden Namen: "Facial Contour System" (FCS).
Als extra Komfort-Feature bringt der Tour-X5, wie auch einige andere Arai Modelle, einen herausziehbaren Kinnspoiler mit. Dieser rund einen Zentimeter absenkbare Spoiler an der Unterkante der Kinnpartie sorgt für etwas weniger Windgeräusche und beeinflusst auch den Luftaustausch im Gesichtsbereich.
Arai Tour X4 vs. Tour X5 - was genau ist neu?
Das Auffälligste zuerst: Der gesamte Helm wirkt etwas runder als sein Vorgänger, was ganz im Sinne der zuvor erwähnte Abgleiteigenschaften gemacht wurde, um die Sicherheit weiter zu steigern. Speziell im Kinnbereich ist das gut wahrnehmbar, dieser ist am Tour-X5 mitsamt struktureller Veränderungen der Schale an den Seiten, breiter ausgeführt. Auch das Visier spitzt sich nicht mehr so stark zu, wie es noch beim Tour-X4 der Fall war, was wiederum die Aerodynamik verbessert wenn der Fahrer den Kopf im Fahrbetrieb nach links oder rechts dreht und die Verwendung von Pinlock-Scheiben wir dadurch ebenfalls vereinfacht.
Ein neuer Kevlar Gurt in der Schale, welcher entlang der Stirn als Verstärkung eingebaut wird, ermöglicht bei gleichbleibender Schalen-Stabilität einige konstruktive Neuerung. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass eine Ventilationsöffnung im Stirnbereich Einzug gehalten hat. Diese befindet sich unterhalb des erhabenen Arai Logos, welches an der Oberseite einen Schieber zur Öffnung hat. Damit wird bei Bedarf über zwei Bohrungen in der Schale massig Luft ins Innere des Helms gebracht. Größer und effektiver wurde auch die Ventilations-Öffnung am Kinn des Tour-X5. Auf die zuvor eingesetzten, etwas fummeligen "Eyebrow-Vents" im Visier kann bei all der neuen Frischluftzufuhr nun verzichtet werden. Gleichsam wurde der gesamte Visierbereich um 2mm nach oben und unten vergrößert, was ein weiteres Sichtfeld ergibt. Wird der Tour-X5 für ernste Offroad-Einsätze verwendet, vereinfacht sich mit der größer gewordenen Visier-Öffnung auch der Einsatz von MX-Brillen.
Der Visier- und Schildwechsel funktioniert am Tour-X5 nicht nur ohne Werkzeug, die gesamte Mechanik wurde simpler gestaltet. Dadurch klappt es mit dem Aus- und Einbau, beispielsweise für die Reinigung, wesentlich schneller als noch beim Vorgänger. Davon durfte ich mich selbst überzeugen, als ich das hübsche verspiegelte Visier an meinem Helm Exemplar, im Design Cosmic Red, installierte. Der Schild wird mit zwei kleinen Knöpfen an der Seite gelöst und schon lässt sich die Konstruktion mit Leichtigkeit abnehmen - in weniger als einer Minute ist alles erledigt.
Arai Tour-X5 Gewicht: 1700 Gramm
Mitgedacht hat man bei Arai auch hinsichtlich der Integration von Intercom Lösungen. Die Wangenpolster und Ohr-Teile wurden hierzu bereits vorbereitet. Im Bereich der Lauscher hat man im Tour-X5 Pads mit Klettverschluss angebracht, so können gängige Kommunikationssysteme einfach integriert werden. Kommt bei all der neuen Ausstattung die Frage nach dem Gewicht, muss man sagen, dass der Vorgänger mit 1.680 Gramm auf der Waage nicht besonders glänzen konnten. Der Tour X5, mit seinen zusätzlichen Ausstattungsmerkmalen, wurde leider nicht leichter aber auch nicht wirklich nennenswert schwerer. Er schlägt hier in eine ähnliche Kerbe - Arai gibt 1.700 Gramm für den neuen Adventure Helm an.
Wo bleibt die Sonnenblende beim Arai Tour-X5?
Wer beim Tour-X5 auf eine Sonnenblende gewartet hat wird enttäuscht. Eine innenliegende Sonnenblende, die je nach Bedarf absenkbar ist, wird bei vielen Motorradfahrern heutzutage als geschätztes Komfort-Feature gesehen. Für einige Anwender sogar als Entscheidungskriterium für oder gegen ein gewisses Helmmodell. Arai sieht genau darin aber ein essentielles Sicherheitsrisiko, in einem obendrein gefährdeten Bereich. Denn im Falle eines Frontalaufpralls wird jeder Millimeter an dämpfendem Material gebraucht um bestmöglich Energie abzubauen. Genau da müsste man aber Material einsparen um die Sonnenblende samt Mechanik unterzubringen. Eine Sachverhalt, der für die Arai Philosophie, welche nach kompromissloser Performance und maximaler Sicherheit strebt, schlichtweg nicht vertretbar ist.
Arai Tour-X5 Testeindruck auf den japanischen Straßen
Auf der Fahrt durch das Hinterland, Richtung Nikko National Park in Norden von Tokio, durfte ich mir nicht nur von der saftig grünen und gebirgigen Landschaft von Japans Hauptinsel Honschu einen Eindruck machen, auch der Helm wurde ausführlich unter die Lupe genommen. Der Fuhrpark, den man bei Arai für die Journalisten organisiert hatte, bestand mehrheitlich aus Honda Transalp Modellen. Doch auch einige spannende Exoten, wie beispielsweise die Honda Hawk 11 oder auch die Honda CB1300 Bol dOr SP, welche beide in Europa nicht angeboten werden, waren auf unserer Tour mit dabei.
Im Fahrbetrieb merkt man das Gewicht des Tour-X5 kaum, der Helm sitzt perfekt ausbalanciert am Kopf und verhält sich unabhängig des Tempos sehr neutral im Wind. Auch Versuche bei höherer Geschwindigkeit, wo bewusst das Schild in den Windstrom gehalten wurde, welcher über die Verkleidung der Honda XL750 Transalp den Kopf des Fahrers trifft, verhielt sich der neue Tour-X5 unauffällig. Die vergleichsweise runde Formgebung macht sich beim Blick über die Schulter positiv bemerkbar - ohne Kraftaufwand oder gar unangenehmem Gezerre im Nacken lässt sich auch bei Autobahntempo der Kopf nach links und rechts drehen.
Die Geräuschkulisse, welche sich im Inneren des Tour-X5 bei 100 bis 140 km/h Reisegeschwindigkeit bildet, würde ich als "gut" einstufen. Der Helm ist nicht flüsterleise aber auch nicht nennenswert laut. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die wahrgenommene Lautstärke ein stark subjektiver Faktor ist, der auch damit zu tun hat, wie der eigene Kopf die Form bzw. Schale des Helms ausfüllt. Ohne unmittelbaren Vergleich sind genauere Aussagen dazu schwierig. Was aber in jedem Fall noch angemerkt werden kann, ist die Tatsache, dass ein Öffnen der Kinn- oder Stirn-Ventilation die Lautstärke nicht beeinflusst hat. Die gute Aerodynamik sorgt auch unabhängig von der Kopfhaltung für ein gleichbleibendes "Klangbild" im Inneren des Tour-X5 - was definitiv positiv zu bewerten ist.
Der Sitz des Helms generell ist als komfortabel zu bewerten. Über des gesamten Kopfbereich ergibt sich ein sattes Kontaktgefühl. Arai typisch umschließt die Polsterung auch sehr angenehm den Kieferknochen und baut keinen unangenehmen Druck im Bereich der Backen auf. Das verwendete Innenfutter am Tour-X5 liegt auch über einen langen, intensiven Tag im Sattel hinweg wohlig und hochwertig auf der Haut. Zudem fällt positiv auf, dass die konstruktive Verbreiterung der Schale im seitlichen Kinnbereich - im Vergleich zum Vorgänger - ein etwas einfacheres Auf- und Absetzen des Helms ermöglicht.
Eine Portion Nässe und Regen konnte ich auf der Tour durch die Berge genießen. Davon ließ sich der Helm ebenso wenig, wie meine wasserfeste Rukka Kombi beeindrucken. Das Pinlock-System verhindert, trotz der großen Visierfläche am Tour-X5, zuverlässig ein Beschlagen. Sogar ohne den aufgesteckten Atemabweiser im Nasenbereich, den ich kurzerhand demontiert hatte, um für meinen länglich ovalen Kopf samt großem Riecher, Platz zu schaffen. Nach einigen Kilometern bei Regen wurde bei der dankenswert eingeschobenen Kaffeepause auch direkt alles auf Trockenheit überprüft. Kein Wasser im Inneren des Tour-X5, so wie es bei einem Premium-Adventure Helm auch sein soll.
Arai Tour X5 Fazit
Die Reise ins Land der aufgehenden Sonne war eindrucksvoll. Der Blick in die Fertigung und das Veranschaulichen der Arai Philosophie sorgte auch nach vielen Jahren in der Branche für einige Aha-Erlebnisse. Arai löst viele Dinge bewusst anders. Das beginnt damit, dass jede Faser des Helms ist nicht nur "Made in Japan" ist, sondern tatsächlich auch ein Stück Handwerkskunst. Egal wie aufwändig oder teuer so mancher Arbeitsschritt sein mag, alles was ein "µ" mehr Sicherheit bringt, wird konsequent umgesetzt. Daraus resultieren zwei Dinge: Die Helme sind nicht nur edel und schön anzusehen, sie sind auch in Sachen Sicherheit in der absoluten Top-Kategorie angesiedelt. Gut zu wissen, wenn ich das nächste Mal für ein Motorrad-Abenteuer in mein Helm-Regal greife.
Weitere Infos rund um den neuen Arai Tour-X5 und alle Designs im Überblick finden sich auf der Produktseite von Arai.
Bericht vom 03.12.2023 | 19.001 Aufrufe