Talaria XXX - Das ärgste Moped?
Kann die Elektro-Supermoto der L1e-Klasse alles biegen?
Die Motorräder bzw. Bikes von Talaria kennen wir bereits. Im Sommer haben wir die zwei Offroad-Varianten der Talaria Sting getestet, mit und ohne Straßenzulassung. Nun ist gegen Ende des Sommers das neue klappbare AM-Bike Talaria XXX zu uns gekommen. Die Triple-X ist anders als die Sting mehr für die Straße ausgelegt, dafür sprechen vor allem die 17-Zoll-Speichenfelgen mit CST-Reifen (Type Urban Travel) und klassischem Straßenprofil, ganz ohne Stollen. Wie sich schlägt, lest ihr hier.
Die XXX ist keine Sting
Bereits auf den ersten Blick erkennt man, dass die Sting und die XXX nicht gleich oder ähnlich sind. Der größte Unterschied: Die XXX hat 500 Watt weniger Leistung (2500 statt 3000 Watt wie bei der Sting) und um an die Batterie zu kommen, kann man die Schwinge nach unten wegklappen. Das funktioniert über einen Schnellverschluss am unteren Ende des Federbeins im Heck, welcher sich lösen lässt, um dann den rund 13 Kilogramm schweren Akku aus dem Hauptrahmen nach hinten rausziehen zu können. Bei der Sting geht der Akkutausch erheblich leichter und die Batterie wiegt auch gleich viel. Warum die XXX daher 500 Watt weniger spendiert bekommen hat, erschließt sich uns nicht ganz. Der nächste große Unterschied zur Offroadvariante Sting: das Gewicht. Die XXX wiegt nur 58 Kilogramm, mit Akku und komplett fahrfertig. Daher stellt sich im Sattel auch nie echtes Motorradfeeling ein, man glaubt eher auf einem etwas schwererem Fahrrad zu sitzen. Das passt gut zu den Fahrwerkskomponenten, eine hydraulische, verstellbare Fahrradgabel und entsprechenden Scheiben-Fahrradbremsen vorne und hinten. Das Federbein entstammt auch dem Fahrradsektor, luftgedämpft und lässt sich ebenfalls mehrfach verstellen. Ähnlich zur Sting, lässt die XXX zwei Fahrmodi zu: Eco und Sport. Talaria-Bikes sind grundsätzlich gedrosselt, lassen sich aber sehr leicht entdrosseln, es muss nur ein Kabel abgezwickt werden und eine Bedienkombination eingegeben werden. Unsere Test-XXX war gedrosselt, wir haben keine Entdrosselung vorgenommen. Ebenfalls bekannt von der Sting und auch in der XXX im Einsatz: die vierstufige Verstellung der Rekuperation.
Motor und Batterie im Detail
Schauen wir uns den Antrieb der Talaria XXX im Detail an. Verbaut ist ein Mittelmotor (Permanent Magnet Motor) im geschmiedeten Aluminiumrahmen. Die Nenndauerleistung beträgt 2,5 kW, die Maximalleistung liegt bei 3,5 kW (Peak). Die Batterie besteht aus LG Brand 21700 Zellen, und liefert 60 Volt bei 40 Ah. Wer sich die Talaria XXX kauft, bekommt ein Schnellladegerät dazu, mit dem das Bike in rund drei bis vier Stunden vollgeladen ist. Das Gewicht der Batterie liegt laut Werksangabe bei exakt 12,85 Kilogramm. Unser gedrosseltes Textexemplar lief mit einem 80 Kilogramm schweren Fahrer auf ebener Strecke im Eco-Modus 36 km/h und im Sport-Modus 61 km/h. Ungedrosselt soll sie im Eco-Modus knapp 50 km/h Topspeed erreichen und im Sportmodus 70 km/h. Was diese Werte leider gar nicht aussagen, ist das irre Anfahrtsdrehmoment der Talaria XXX. Damit zieht man jedes 50-Kubik-Moped sowas von dermaßen ab, dass man im ersten Moment glaubt, man sitzt auf einer deutlich stärkeren Maschine. Wer kräftig am Lenker zieht und Vollgas gibt, der bekommt die Talaria XXX aus dem Stand locker aufs Hinterrad. Auf losem Untergrund bei niedrigen Geschwindigkeiten braucht es daher im rechten Handgelenk schon etwas Übung im Sportmodus, denn Traktionskontrolle gibt es keine, aber wer forsch einschenkt, der lässt das Hinterrad locker durchdrehen.
King of quer
Wenn man das erste Mal auf einer Talaria sitzt, muss man sich als Motorradfahrer erst zurechtfinden. Gashahn rechts, Vorderradbremse rechts, soweit, so bekannt. Die Hinterradbremse ist links am 76 Zentimeter breiten Lenker. Fußhebel gibt es keine. Dann blickt man noch auf ein sehr schönes, buntes TFT-Display, welches sogar noch einen USB-C-Ausgang für eigene Devices bietet. Gestartet wird die XXX übrigens mit einem NFC-Chip. Vor der Sitzbank muss man einen Knopf drücken, damit wir der NCF-Reader darunter aktiviert. Dann den Chip hinhalten und die Talaria fährt hoch. Rechts beim Gashahn sitzt noch ein kleiner Startknopf, dann ist die XXX bereit für die große Fahrt. Was nach den ersten Metern gleich auffällt: die komfortable Dämpfung, die auch für Treppen und mittleres Gelände ausreichen sollte. Ein bretthartes Straßenfahrwerk ist das definitiv nicht. Wer damit sehr sportlich auf Asphalt unterwegs sein möchte, sollte das Fahrwerk vorne wie hinten deutlich strammer stellen. Denn bremst man vorne stärker, taucht die Gabel zwar stets gedämpft aber doch spürbar stark ein. Da man den hydraulischen Widerstand gut spürt, fühlt es sich nicht schlecht an, aber trotzdem leicht unterdämpft. Zumal die Vorderradbremse ruhig etwas kräftiger, bissiger zupacken könnte. Aber Achtung: Unser Testbike war fabrikneu, die Bremsbeläge (und Scheibe) noch nicht eingebremst. Gut möglich, dass nach den ersten 100 Kilometern die Bremse etwas besser beißt, aber von einer sehr sportlichen Bremse vorne sind wir weit entfernt. Ganz anders die Hinterradbremse, die richtig stramm zupackt und das Hinterrad der Talaria XXX jederzeit ratzfatz zum Blockieren bringt. Damit sind Anbremsdrifts zur Ampel oder zum Abbiegen mein ständiger Begleiter geworden. Der CST-Reifen wimmert und heult daher sehr oft. Das ist durchaus etwas prollig aber da die Talaria XXX so leicht ist, kann man sie vergleichsweise schräg anstellen und das macht richtig Laune im Sattel. Denn bei niedrigen Geschwindigkeiten hat man auch die Kraft, um sie durch die Beschleunig wieder gerade zu ziehen. Aber: Wie bei der Talaria Sting lässt auch die XXX es nicht zu, dass man Bremse und Gas gleichzeitig bedient. Steht man auf der Bremse, kann man nicht Gas bzw. Strom geben. Das haben wir bereits bei den Geländeversion im Video etwas kritisiert, weil man das Bike dadurch nicht vorspannen kann, was in manchen Fahrsituationen zu min. mehr Spaß machen würde.
Richtig flink, aber kein Dauerläufer
Fetzt man mit der federleichten Talaria XXX durch den Stadtverkehr, merkt man erst, wie schwer Vespa und Co. im Vergleich dazu sind. Und bis ca. 40 Kilometer pro Stunde merkt man überhaupt nicht, dass man nur auf einem Moped sitzt. Im Sportmodus fährt man bis 50 km/h locker mit dem Verkehr mit, selbst in der gedrosselten Version. Man beginnt wie von selbst mit ihr zu spielen, will beim Abbiegen immer noch etwas schräger ums Eck, stellt dabei den Fuß raus und zieht die Hinterradbremse etwas zu doll, um mit einem leichten Quietscher einzubiegen. Herrlich! Das macht Laune, richtig Laune. Doch alles hat seinen Preis, auch das ungetrübte Auswinden eines Elektromopeds. Am kontraststarken Display zieht man förmlich die Akkukapazität schwinden. Von Vollgasdreh zu Vollgasdreh purzelt die Restladung. Talaria selbst gibt die Maximalreichweite mit rund 60 Kilometern bei 40 km/h an. Während die Offroadschwester Sting beim Bergabfahren im Gelände immer Zeit hat, um etwas Energie durch die Rekuperation zurückzugewinnen und Topspeed im Gelände kaum relevant ist, leidet die XXX als Straßenmotorrad unter der Mehrbelastung durch den normalen Straßenverkehr. Um im Verkehr sicher mitzuschwimmen, ist man fast ausschließlich im Sportmodus unterwegs und da werden 60 Kilometer nicht möglich sein. Wir halten rund 30 Kilometer bei zügiger Fahrweise für realistisch, 40 Kilometer, wenn es vielleicht nicht ganz zu eilig hat. Alles darüber geht mit Schneckentempo einher, dass keinen Spaß mehr macht. Und da der Akkuwechsel leider weit nicht so flockig geht wie in der Sting, nutzt eine, der Zweitakku recht wenig, die XXX muss dann wieder an die Steckdose bzw. ans Schnellladegerät. Das geht dafür extra einfach, denn auf der Seite linken Motorseite sitzt der Ladeanschluss.
Thema Verarbeitung
Die Fahrleistungen stimmen, die XXX durch die Stadt zu jagen macht Spaß. Aber wie steht es um die Wertigkeit des flinken E-Mopeds? Nun, die Bikes kommen aus China, was in dem Fall ein Vorteil ist, denn mit rund 4000 Euro ist das Bike doch eher preiswert angesetzt. Und die wichtigsten Komponenten sind entsprechend gut. Man hat nie den Verdacht, auf einem billigen Chinakracher zu sitzen. Das Display ist eine Pracht, die Verarbeitung sehr solide oder sogar darüber angesiedelt. Feine Details wie der geschmiedete Alurahmen, die hübsche Voll-LED-Beleuchtung ein paar kleine Designkniffe stimmen sehr versöhnlich. Einziges echtes Manko: die Rückspiegel. Die Dinger sind leider kaum zu gebrauchen. Hier empfehlen wir die Lenkerendspiegel der Sting-Straßenversion. Warum die es nicht ins Paket der XXX geschafft haben? Wir wissen es nicht. Aber im Zubehörhandel gibt es genug attraktive Lösungen dafür. Beim Thema Bremsen und Fahrwerk gibt es zwei Sichtweisen: Einerseits reichen die Komponenten allemal, da die meisten Kunden der XXX sie vermutlich hinten am Wohnmobil drauf haben oder nur flink von A nach B in der Stadt oder im nahen Pendelverkehr unterwegs sein werden. Möchte man aber das sportliche Potenzial der Talaria XXX wirklich auskosten, ist die Vorderradbremse etwas zu schwach und das Fahrwerk doch zu weich. Die maximale Zuladung liegt übrigens bei 100 Kilogramm, es gibt keine Soziusrasten, sie ist als Einsitzer konzipiert. In Summe passen Verarbeitung, Komponenten und Preis aber. Die Sitzhöhe von 810 Millimeter mag vielleicht kurz abschrecken, aber nachdem der Schrittboden ungefähr so schmal wie von einem E-Fahrrad ist, kommen auch Fahrer mit kurzen Beinen locker zu einem festen Stand.
PHILIPP
Weitere Berichte
Fazit: Talaria XXX 2023
Die Talaria XXX zieht jedes Verbrenner-50-Kubik-Moped komplett ab. Sie ist flink, leicht, sehr wendig und hat ein irre starkes Anfahrtsdrehmoment. Die realistische Reichweite liegt bei 30-40 Kilometer im Alltagsbetrieb. Die Lösung mit dem Klappmechanismus um zum Akku zu kommen ist zwar pfiffig, aber im Alltag leider äußerst unpraktisch, da man das alleine nicht bewerkstelligen kann. Das Preis-Leistungsverhältnis ist schwer einzuordnen. Einerseits stimmen Fahrleistungen und Verarbeitung, anderseits gibt es um das gleiche Geld schon fast 125er-Verbrenner-Motorräder, mit denen man dann auch ganz legal mehr als 45 km/h fahren darf. Daher muss jeder für sich selbst entscheiden, ob man bereit ist, rund 4000 Euro für dieses E-Gaudigurkel zu bezahlen oder ob man weiterhin in der Verbrennerwelt bleiben möchte. Wir hatten jedenfalls Spaß im Sattel der Talaria XXX.- hohes Anfahrtsdrehmoment
- sehr leicht (58 kg)
- gute Verarbeitung
- stimmige Optik
- sehr wenig und leicht zu fahren
- Voll-LED-Beleuchtung
- schönes Display
- NFC-Schlüssel, damit nahezu Keyless-Go
- gedrosselt im Eco-Modus zu langsam und im Sport-Modus zu schnell (für die AM-Klasse)
- unpraktischer Klappmechanismus, um zum Akku zu kommen
- Rückspiegel nicht zu gebrauchen
- realistische Reichweite 30-40 km im Alltag
- maximale Zuladung nur 100 kg
- nur Einsitzer, keine Chance auf Sozius-Mitnahme
Bericht vom 14.10.2023 | 28.913 Aufrufe