Power Naked Bike Vergleich 2022 - BMW S 1000 R

Die Harmonische vs. Ducati, Suzuki und Yamaha

Ohne Verkleidung, ohne Windschutz – aber mit dem richtigen Maß an Power für die Landstraße. 1000PS verglich vier nackte Kanonen inklusive einheitlicher Pirelli Rosso IV Bereifung und jeder Menge Elektronik. Bildete die BMW S 1000 R im letztjährigen, temperamentvollen Hyper-Naked-Testfeld mit ihren 165 PS noch das Schlusslicht, vermochte sie dieses Mal neben ihrer hohen Ausgewogenheit auch mit den Leistungswerten zu überzeugen.

War die BMW S 1000 R mit ihren 165 PS in unserem brachialen Hyper-Naked-Vergleich zumindest am Papier mit Respektabstand die Schwächste, so fühlte sie sich in der "vernünftigeren" Klasse der Power-Nakeds deutlich wohler. Nicht nur, dass sie mit 114 Newtonmeter bei niedrigen 8.500 U/min das höchste Drehmoment des Quartetts ablieferte, brachte sie vollgetankt mit 201,5 kg auch das geringste Gewicht auf die unbestechliche 1000PS Waage. Die Krone für das beste Leistungsgewicht ging damit schon mal an die Bayrische.

Vergleichstest mit Pirelli Diablo Rosso IV Einheitsbereifung

Um die Unterschiede der einzelnen Nakeds besser herauszutesten, verpassten wir allen Protagonisten eine Einheitsbereifung von Pirelli. Unsere Wahl fiel dabei auf den 2021 vorgestellten Diablo Rosso IV, welcher vorne in 120/70-17 und hinten in 190/55-17 zur Anwendung kam. Einzige Ausnahme war die Streetfighter, die am Hinterrad auf die etwas agilere 180/60-17 Dimension vertraute, darüber hinaus aber ab Werk ohnehin traditionell den Rosso IV aufgezogen hatte.

Der komplett neu entwickelte italienische Sportreifen vereint modernste Technologien bei Laufflächenmischung, Karkasse und Kontur und bietet ein Top-Niveau in Sachen Grip, Feedback und Fahrzeugkontrolle - sowohl im Trockenen als auch bei Nässe.

Zwar ist der neue Rosso IV keineswegs das sportliche Topmodell der Italiener (vgl. hierzu den Rosso IV Corsa), bietet jedoch ein vernünftiges Maß an Laufleistung und lässt eine insgesamt sehr flotte und sichere Fahrweise zu. Das zeigte sich bereits nach den ersten Kilometern, als spätestens beim ersten Fotostopp die Angststreifen Geschichte waren.

BMW gut, mit Komplettausstattung besser

Nachdem die S 1000 R erst letztes Jahr ein großes Update erfahren hatte, blieb sie aus technischer Sicht für das aktuelle Modelljahr unverändert. Trotzdem gilt: "Eine BMW ist immer nur so gut wie die Summe der gewählten Ausstattungspakete." An dieser Stelle können wir aber gleich Entwarnung geben, denn unser Testbike kam genauso voll ausgestattet daher wie die beiden Bikes im 2021er Einzeltest und im Hyper-Naked-Vergleich. Das heißt, alle damals getätigten Aussagen haben auch für diesen Test Gültigkeit, weshalb ich die schier endlos lange Liste der Sonderausstattungen nur kurz für euch überfliegen möchte.

Die lange Liste der Sonderausstattungen (auszugsweise)

Mit an Board hatte die S 1000 R erneut das Dynamikpaket mit dem semiaktiven DDC-Fahrwerk (Dynamic Damping Control), den Pro Fahrmodi, dem Schaltassistent Pro und diversen elektronischen Gadgets. Selbstverständlich durfte auch das rassige M-Paket mit leichten Schmiederädern sowie der Extraportion Blingbling nicht fehlen. Komfort- und Sicherheitsfeatures, wie beispielsweise das Keyless Ride Light, ein Tempomat, Heizgriffe und das Headlight Pro mit adaptivem Kurvenlicht rundeten die Gesamtkomposition in alle Richtungen ab.

Harmonische Kraftentfaltung über das ganze Drehzahlband

Ich durfte der BMW ja schon letztes Jahr am Pannoniaring und im mit Schlaglöchern übersäten ungarischen Hinterland die Sporen geben, weshalb ich mich sehr auf einen würdevollen Landstraßentest in der Buckligen Welt freute. Mein Eindruck blieb der gleiche: Leicht, kraftvoll, unaufgeregt, exzellent dosierbar und überlegen beim Handling - sprich: absolut top. Obwohl die BMW im direkten Vergleich zu den drei anderen Protagonisten im Drehzahlkeller subjektiv ein wenig an Bumms vermissen ließ, gab es an ihrer Leistungsentfaltung rein gar nichts auszusetzen. Ab 2.000 Touren ging es geschmeidig voran, bis dann das meiste Schmalz ab der Mitte zur Verfügung stand und sich die BMW vehement und wunderbar bis zum Begrenzer auswinden ließ. In Zahlen sprechen wir von 80 Nm ab 3.000 Umdrehungen und über 90-114 Nm im Bereich von 5.500 bis 12.000 Umdrehungen. Kein Bemmerl.

BMW S 1000 R
Je höher die BMW dreht, desto besser wird sie.

Zum Motorthema passend, ein Kritikpunkt, der bei fast jedem Test zur Sprache gebracht wird: die hochfrequenten Vibrationen am Lenker. Ja, trotz der geschmeidigen Kraftentfaltung sind neben der kernig-heiseren Soundkulisse aus dem Endtopf auch Vibrationen am Lenker zu vernehmen. Störend? Nein. Nervig? Weiß nicht. Vielleicht bin ich als Ein- und Zweizylinderfan schon etwas schmerzbefreit, oder BMW hat es zwischenzeitlich geschafft, die Vibrationen zu reduzieren. Ich würde diese Vibes als typische BMW-1000er-Charaktereigenschaft bezeichnen und mich darüber sogar ein wenig freuen, denn an "Ecken und Kanten" mangelt es der Bayrischen ohnehin.

Sportliches, aber bequemes Sitzen auf der BMW S 1000 R

Was die Geometrie und Ergonomie betrifft, so gelang es den Entwicklern von BMW erneut, den perfekten Sweetspot aus Sportlichkeit und Komfort zu finden. Verglichen mit dem Vorgänger wanderte der Lenker um 15 Millimeter nach vorne und der Popsch um 16 Millimeter nach oben, wodurch der Fahrer ein wenig näher zum Vorderrad rotiert wurde. In der Praxis überzeugte dieser Mix mit viel Druck am Vorderrad ohne schmerzende Handgelenke, einem guten Knieschluss an den Tankeinbuchtungen trotz eines moderaten Kniewinkels und einem direkten Handling im Winkelwerk. Auch die 830 Millimeter hohe Sitzbank passte wie angegossen und erlaubte zudem einen sicheren Stand an der Ampel, da sie im vorderen Bereich etwas schmäler geshaped war. Und da wir schon beim Thema Stadtverkehr sind, hier noch ein erwähnenswertes Detail: Die S 1000 R besitzt einen für ein Naked Bike ungewöhnlich hohen Lenkeinschlag, der sie in der City, am Parkplatz oder in engen U-Turns noch praxistauglicher macht.

Semiaktives Fahrwerk für Stadt, Land und die Rennstrecke

Ebenso souverän funktionierten auch Fahrwerk und Bremsen. Die Frage, ob es wirklich immer gleich das semiaktive Fahrwerk sein muss, sei an dieser Stelle einfach mal dahingestellt. Wer auf unterschiedlichen Untergründen zu Hause ist (Stadt, Land, Rennstrecke) oder abwechselnd alleine, zu zweit oder mit viel Gepäck durch die Weltgeschichte gondelt, kann mit ruhigem Gewissen sein Hakerl bei der semiaktiven Fahrwerksoption machen. Zwar steht beim elektronischen Fahrwerk eher die Stabilität als die Agilität im Fokus und selbstverständlich mag die Fahrt etwas unpräzise wirken, da die Federelemente permanent auf wechselnde Untergründe reagieren und nachregeln, jedoch funktionierte das aufpreispflichtige Feature im Großen und Ganzen richtig gut und erhöhte auf schlechten Straßen den Komfort ungemein. Wer allerdings genau weiß, was er will, oder aufgrund seines Körpergewichts sogar härtere oder weichere Federn braucht, der bleibt lieber beim günstigen Standardfahrwerk und verstellt sich die Klicks selbst.

BMW S 1000 R 2022
Mit den Zubehörpaketen ergibt sich ein sehr gut ausgestattetes Naked Bike.

BMW S 1000 R Elektronik & Alltagstauglichkeit

Als erstes sticht einem das bewährte, clever bedienbare und bestens ablesbare 6,5 Zoll Farb-TFT-Display ins Auge. Aber auch die inneren Werte stimmen bei der S 1000 R. So ermöglicht ein modernes 6-Achsen-IMU das Kurven-ABS (ABS Pro) und die schräglagenabhängige Traktionskontrolle DTC (Dynamic Traction Control). Hinzu gesellen sich drei verstellbare Fahrmodi (Rain, Road und Dynamic), die Berganfahrhilfe HSC (Hill Start Control) und viele aufpreispflichtige und teils recht coole Features. Erwähnenswert scheinen uns der Schaltassistent Pro, die Motorschleppmomentregelung MSR, das Headlight Pro mit adaptivem Kurvenlicht, HSC Pro, DBC (Dynamic Brake Control) und DBL (Dynamisches Bremslicht). Besonders wichtig für alle, die gerne mit Sozia oder Sozius unterwegs sind, ist das Soziuspaket. Ab Werk wird die S 1000 R nämlich mit einer Monoposto-Abdeckung ausgeliefert!

NoPains Meinung zur BMW S 1000 R vs. Ducati, Suzuki und Yamaha

Obwohl das Testfeld in puncto Leistung und Gewicht auf den ersten Blick sehr homogen wirkte, könnten die Fahreindrücke der einzelnen Bikes nicht unterschiedlicher sein. Die BMW erhielt von mir den Titel "Die Harmonische", da sie im Rahmen dieses Power-Naked-Quartetts das höchste Maß an Ausgewogenheit an den Tag legte. Und das war gleichermaßen gut wie auch etwas langweilig, denn obwohl sie den stärksten Motor und das geringste Gewicht ihr Eigen nannte, kam diese Überlegenheit auf der Straße nicht so wirklich rüber. Die Sitzposition war sportlich, aber doch irgendwie komfortabel, der Druck am Vorderrad gut, aber nicht überragend. Das Handling machte einen eher direkten Eindruck, wurde jedoch vom semiaktiven Fahrwerk zwischendurch immer wieder überdämpft und lag insgesamt mehr auf der stabilen Seite. Spürbar mehr Druck aus dem Keller förderte die Suzuki mit ihrem ehrfürchtigen 1000er Reihenvierzylinder aus der GSX-R zu Tage, so wie die BMW in puncto Agilität, Spritzigkeit und Sportlichkeit dem kompromissloseren Ducati Streetfighter V2 nichts vormachen konnte.

Power Naked Bike Vergleich 2022
Der große Power Naked Bike Vergleich 2022.

Aber es gab auch Widersprüche beim Design: die Optik geriet von vorne sehr böse und von der Seite eher edel bzw. gefällig. Darüber hinaus wurden - wohl dem Baukastensystem geschuldet - auf kleine, aber feine Details, wie zusammenpassende Farbtöne von Eloxal- oder Pulverbeschichtungen, wie so oft bei BMW, vergessen. Auch hier könnten sich die deutschen Designer mal die einen oder anderen Anleihen von den Italienern nehmen. Aber auch die Yamaha wirkte von vorne bis hinten wie aus einem Guss (abgesehen von der Hupe).

Aus rein technischer Sicht kann ich eigentlich nur eine kleine Kritik am Blipper üben, denn das aufpreispflichtige Helferlein fühlte sich vergleichsweise schwammig und schwergängig an. Im Endeffekt war das aber kein wirkliches Problem, denn man gewöhnte sich schnell daran, dass bei der BMW mit etwas mehr Nachdruck rauf- und runtergeschalten werden musste. Deutlich knackiger fühlten sich die Blipper der Kontrahenten an. Besonders das GSX-Getriebe gefiel mit seiner Leichtgängigkeit und Präzision.

Vaulis Senf zur BMW S 1000 R im Power Naked-Vergleich

Grundsätzlich ist die BMW S 1000 R für mich die Beste in diesem Vergleich. Gleichauf mit der ebenfalls bärenstarken Yamaha MT-10 (BMW 165 PS, Yamaha 166 PS), aber noch souveräner als die Suzuki GSX-S1000 und weniger speziell als die Ducati Streetfighter V2. Doch genau da liegt ihr Problem - sie ist ganz einfach nicht so aufregend wie die anderen und hat kaum Ecken und Kanten, an denen man sich reiben kann und manchmal auch will. Klingt paradox, denn die BMW ist alles andere als langweilig. Der Motor, aus dem Superbike S 1000 RR entlehnt, geht in allen Bereichen mächtig ans Gas, das aber so linear, dass es nicht so recht auffällt, wie flott man mit der Bayerin eigentlich ist. Wer sie ausdreht, bekommt dann aber auch einen infernalischen Sound geboten, den man tatsächlich nicht mehr als unspektakulär abtun könnte.

Bild von Vauli
Vauli

"Die BMW S 1000 R ist die ultimativ unscheinbare Naked-Rakete!"

Die Sitzposition ist eher auf der sportlichen Seite, allerdings auch nicht unbequem sondern durchaus langstreckentauglich. Die Bremse ist ebenfalls top und die Elektronik-Features sind bereits ab Werk umfangreich und auf neuestem Stand. Allerdings ist es für uns ein regelrechtes Luxus-Problem, dass wir BMW-Testmaschinen meist vollausgestattet bekommen, daher hat auch die S 1000 R sowohl das Komfort- als auch das Dynamik-Paket dabei. Und da offenbart sich ihr einziges echtes Problem, denn auf mir persönlich wirkt das (ohnehin aufpreispflichtige) elektronische ESA-Fahrwerk zu soft und kann nicht sonderlich viel verstellt werden. Da würde mir wohl das konventionelle Fahrwerk mehr zusagen. Insgesamt werte ich die BMW S 1000 R als die ultimativ unscheinbare Naked-Rakete!

BMW S 1000 R Test 2022
Vauli und die BMW S 1000 R - bereit zum Vollstrecken.

Horvaths Meinung zur BMW S 1000 R

Steril und langweilig - Adjektive die mir schon häufig zu dem bayrischen Naked Bike untergekommen sind. Umso größer war die Neugier bei meinem Prämierenritt auf dem 160 PS starken Motorrad. Mit Komfort- und Dynamikpaket waren die Voraussetzungen bereits sehr gut, denn so konnten wir aus mehr Fahrmodi und Einstellmöglichkeiten des ESA wählen. Dynamik war gewählt und los geht's. Und tatsächlich: Im Kurvengeschlängel fühlt sich die BMW schon sehr perfekt an. Zu perfekt?

Bild von Der Horvath
Der Horvath

"Die Stabilität der BMW S 1000 R begeistert in jeder Kurve!"

Meiner Meinung nach nein! Denn diese Perfektion gibt ihr Souveränität und Stabilität, die mir sonst kein Motorrad in diesem Vergleich gegeben hat. Präzise folgt die S 1000 R dem gewählten Strich und folgt dem Imput im Lenker ohne Zicken. Eine Eigenschaft, die viele Piloten bestimmt schätzen. Denn oft braucht es nicht Charakter oder Eigenheiten, um Spaß im Sattel zu vermitteln. Ein sicheres Gefühl, sowie irrsinnig hohe Kurvengeschwindigkeiten lassen ebenso ein Gefühl der absoluten Zufriedenheit entstehen!

Fahrendes Motorrad

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Fazit: BMW S 1000 R 2022

Die Sitzposition ist sportlich, aber keineswegs unbequem, die Bremse packt ordentlich zu und der Motor der S 1000 R zeigt sich von seiner besten Seite - vielleicht sogar einen Hauch zu homogen. Auch von Seiten der Fahrerei gibts es nichts zu bemängeln. Auf Basis der reinen Leistungsdaten sowie der verbauten Elektronikfeatures hat die BMW wohl auch das Zeug zur schnellsten Rundenzeit. Und das auf jeder Art von Untergrund, denn mit dem semiaktiven Fahrwerk lassen sich auch Kilometer um Kilometer auf schlechten, mit Schlaglöchern übersäten Straßen fressen. Leider wollte dieses Gefühl der Überlegenheit nie so richtig auf den Fahrer überschwappen. Wohl die Schattenseite einer zu großen Ausgewogenheit in sämtlichen Bereichen - zumindest in meinen italophilen Augen. Der BMW fehlte das gewisse Etwas, die Ausstrahlung oder das Charisma, das nur schwer erklärbar ist, aber echte Emotionen weckt.


  • souveräner, kräftiger Motor
  • starke Bremsen
  • bequeme Ergonomie
  • gute Serienausstattung
  • umfangreiches Zubehörprogramm
  • schwergängiger Schaltassistent
  • Optik nicht 100%ig stimmig

Bericht vom 28.05.2022 | 41.875 Aufrufe

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