Indian Super Chief 2021 im Test 1200km Reise durch die Alpen
Spitzkehren mit einem Cruiser - kann das Spaß machen?
Die neue Indian Super Chief Limited ist prachtvoll anzusehen. Bekanntermaßen ist jedoch nicht alles fahrerisches Gold, was glänzt. Zeit für einen Reisetest!
Da stand sie nun vor mir in ihrer ganzen Pracht, die Indian Super Chief Limited. Den hübschen Cruiser hatten wir uns rechtzeitig zum Club of Newchurch, dem jährlich stattfindenden Event in Neukirchen am Großvenediger in den Fuhrpark geholt. Doch durch Corona kam wieder einmal alles anders. Das Festival fiel flach, stattdessen organisierte Indian eine Ausfahrt von Neukirchen aus auf die Großglockner Hochalpenstraße. Zum einen war ich erleichtert, dass ich dadurch meinen Reisetest durchziehen konnte, zum anderen skeptisch, da ich diese altehrwürdige Straße mit ihren 36 Kehren bisher nur mit Naked Bikes und Reiseenduros bezwungen hatte.
Indian Super Chief Limited - V2 in Reinkultur
Schon beim ersten Anwerfen zaubert einem der 1890 Kubik große 116er V2-Motor ein Grinsen ins Gesicht. Schön bassig aber nicht aufdringlich massiert er einem Geist und Hintern. 162 Nm Drehmoment bei 3.200 U/Min das ist alles was man zu diesem riesigen Chrom-Aggregat wissen muss, eine Maximalleistung gibt Indian auf der Homepage gar nicht erst an und diesen Bericht könnte ich auch wunderbar ohne das Wissen, dass der Motor 90 PS leistet schreiben. Ab 1.500 Touren ist einfach immer Kraft im Überfluss da und man surft auf einer herrlichen Drehmomentwelle. Für einen Motor dieser Größe ist der Zweizylinder durchaus drehfreudig und kann insofern auch sportlicher bewegt werden. Diese Beobachtung stimmte mich positiv für mein anstehendes Glockner-Abenteuer.
Ein rundes Farb-TFT Display mit Touchfunktion und wenig Elektronik - wie passt das zusammen?
Wer im Sattel der Super Chief Platz nimmt blickt auf eine minimalistische Tachoeinheit, die mittig am breiten Lenker positioniert ist. Per Knopfdruck erwacht das TFT-Rundinstrument mit einer schicken Animation zum Leben. Der Spagat zwischen dezenter Optik und mannigfacher Information gelingt wirklich gut. Der Touchscreen ist einfach zu bedienen und kommt mit sehr wenig Latenzzeit aus. Ein feines Feature ist die Kartenansicht, die wahlweise in 2D oder 3D erfolgt. Ist man mit der Indian Ride Command App verbunden, lässt sich auch eine Pfeilnavigation abbilden. Das Smartphone lässt sich über den mittig hinten am Lenkkopf etwas versteckt positionierten USB-Anschluss laden und mit dem Display verbinden. Dann können Audio-Files über das Motorrad gesteuert werden und Navigationsanweisungen gelangen über ein verbundenes Headset ins Ohr. Features die auf jeder Reise gut ankommen.
Ebenfalls über das Touch-Display - und leider nur darüber - lassen sich die 3 Fahrmodi der Super Chief verstellen. Vom gemütlichen Tourmodus, den ich hauptsächlich bei Regen und kurzzeitig im Soziusbetrieb genutzt habe, geht es über den Standard-Modus der auf der Reise meistens der passende war, hin zum Sportmodus. Im Ansprechverhalten sind dabei deutliche Unterschiede auszumachen, der Sportmodus ist für diese Fahrzeugklasse wirklich radikal geraten und macht verdammt viel Spaß.
Hier will die Indian richtig vehement vorwärts, mit vernünftiger Hand kann man es damit schon einmal krachen lassen. Doch Vorsicht, eine Traktionskontrolle bietet die Super Chief nämlich nicht. ABS, Ride-by-Wire und Tempomat hingegen sind serienmäßig an Board. Besonders letzterer ist auf einem Motorrad, mit dem man gerne weitere Strecken fährt Gold wert. Ansonsten passt der Verzicht auf elektronische Spielereien gut zum klassischen Charakter der großen Indian.
Spitzkehren mit der Indian Super Chief: Fahreindrücke in den Alpen
Am Samstagvormittag war es soweit, 40 Indian-Besitzer machten sich im Rahmen der Ausfahrt der Indian Motorcycles Riders Group in Gruppen aufgeteilt auf den Weg. Nach einer landschaftlich traumhaften aber fahrerisch eher uninteressanten Etappe, beginnt in Bruck an der Großglocknerstraße das 48 km lange Asphaltband, das die Herzen aller Motorradfahrer höher schlagen lässt.
Nach dem ich mich auf der Hinfahrt bereits mit dem Handling der Maschine vertraut gemacht hatte, war ich gespannt, wie sie sich im engen Geläuf schlagen wird. Also Sportmodus aktivieren und rein ins Vergnügen. Erste Überraschung: Die Schräglagenfreiheit ist trotz Trittbrettern absolut ok, man muss die Super Chief also keineswegs durch die Kurve tragen. Der breite Lenker erleichtert das Dirigieren durch enge Radien zusätzlich. Punch von unten, den die Indian ja zur Genüge bietet ist zudem Trumpf am Serpentinenausgang und so schlängle ich mich in einem Tempo Richtung Passhöhe, die einem auch als Naked Bike Fahrer nicht unangenehm sein müsste.
Nach einer Pause an der Fuscher Lacke, die wir für die Fotos der weinroten Schönheit vor herrlicher Kulisse umliegender 3000er nutzten, durchstachen wir am Hochtor auf 2506 Meter Seehöhe die Grenze nach Kärnten. Ab hier geht es über mehr als 1200 Höhenmeter teils steil bergab bis man im beschaulichen Ort Heiligenblut ankommt. Die Strecke ist eine Herausforderung für Mensch und Maschine und wurde ihren Befahrern nicht erst einmal zum Verhängnis. Hier muss man auf der Super Chief Zugeständnisse an die klassische Optik machen. Die cleane Seitenansicht auf die prächtigen Speichenfelgen erkauft sie sich nämlich durch den Verzicht auf eine zweite Bremsscheibe am Vorderrad. Schon ohne Fahrer, Sozius oder Gepäck schieben 337 Kilogramm (vollgetankt, gemessen auf der 1000PS-Waage) den Berg hinunter. Eine wahre Mammutaufgabe für die 300 mm Einzelscheibe vorne.
Entschärft wird die Situation durch zwei Umstände: Erstens ist die Wirkung der Motorbremse bei so einem massiven V2 eine Wucht und zweitens bringt das Mitbremsen mit der Hinterradbremse (ebenfalls eine 300 mm Scheibe!) in dieser Fahrzeugklasse tatsächlich einiges an Bremsleistung. Hat man sich also auf die Umstände eingestellt, macht auch der Weg den Berg hinab echt Laune.
Ergonomie, Reisetauglichkeit und Soziuskomfort - Stärken und Schwächen des Cruisers
Bei der Hin- und Rückreise nach Salzburg ließ sich eine jeweils rund 200 km lange Autobahn-Etappe aus zeitlichen Gründen nicht vermeiden. Bei Geschwindigkeiten um die 140 km/h sitzt man gänzlich entspannt im 662 mm hohen Sattel der Super Chief und wird durch den massiven Windschild bestens vor Witterungseinflüssen geschützt. Speziell bei meiner Rückfahrt in der Dämmerung hat er mich davor bewahrt, selbst zum Insektenfriedhof zu werden. Am Morgen der Glockner-Ausfahrt jedoch war ich, ob der hochsommerlichen Temperaturen froh, dass sich die Scheibe nach Lösen zweier Sicherheitsschrauben in kurzer Zeit und mit wenigen Handgriffen entfernen lässt. Einerseits gefällt mir die Indian so noch besser, andererseits trifft den Oberkörper dank der bauart-typischen Sitzhaltung nun ein kühlender Luftstrom - Cruisen par excellence.
Auf so einer Reise machen sich natürlich auch die serienmäßigen Satteltaschen an der Super Chief Limited echt gut. Diese sind wasserdicht und bieten eine klassische Leder-Optik, aber etwas weniger Platz im Inneren, als man ihnen von außen zutrauen würde. Für einen Wochenendtrip ohne sperriges Gut, ist jedenfalls genug Platz, auch zu zweit.
Apropos zu zweit: Auf der Super Chief findet auch eine größere Sozia gut Platz, der Sitz ist bequem gepolstert, der Kniewinkel angenehm. Der Fahrer bekommt davon aufgrund der großzügigen Dimensionen der Sitzbänke quasi nichts mit, die Indian zieht stoisch ihre Bahnen, gleich ob im Solo-Betrieb oder zu zweit. Nach sehr langen Etappen am Stück - die Superchief kommt mit ihrem 15 Liter Tank durch den verhältnismäßig niedrigen Verbrauch deutlich über 250 Kilometer weit - sitzt man den sofa-artig weichen Sitz allerdings durch, Das Indian-Original-Zubehör bietet hier einige weitere Optionen.
Das Fahrwerk der Super Chief Limited ist in Ordnung. Hohe Erwartungen werden angesichts der geringen Federwege nicht geweckt. Auf sehr schlechten Straßen bekommt man den ein oder anderen Rumpler unweigerlich mit. Die Aufgaben für die dieses Motorrad gebaut ist, erledigt das Fahrwerk allerdings gut: Stabilität und Laufruhe sind wirklich zur Genüge vorhanden, dabei wird das 16 Zoll Vorderrad durch den Radstand von nicht weniger als 1626 mm ausgeglichen. Trotzdem geht die Indian, wie oben bereits erwähnt nicht unwillig in die Kurve.
Mit der Super Chief Großglockner bezwungen und gut zu Hause angekommen
Wenn ich an die Tage mit der Indian Super Chief Limited in Neukirchen zurückdenke, habe ich ein wirklich gutes Gefühl. Sie ist einfach eine echte Good Vibrations-Maschine. Meine anfänglichen Bedenken hinsichtlich der Performance eines solchen Straßenkreuzers wurden zerstreut und mein Respekt vor dem großen und schweren Motorrad hat sich in Zuneigung gewandelt. Die Fahrzeugklasse Cruiser, für die die Super Chief Limited als Paradebeispiel gelten kann, zeigt einem neue Ansätze beim Thema Motorradfahren auf. Statt dem hektischen höher, schneller, weiter steht hier die Entspannung und der Genuss im Vordergrund. Im Sattel eines großen V2 vor herrlicher Kulisse die Seele baumeln zu lassen, ist eine Erfahrung, die ich jedem Motorradfahrer unabhängig der persönlichen Vorlieben wärmstens empfehlen kann!
POKY
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Fazit: Indian Super Chief Limited 2021
Ein US-amerikanischer V2 wie er im Buche steht, gegossen in eine wunderschöne Hülle - die Indian Super Chief Limited ist ein echter Leckerbissen. Cruisen in Reinkultur mit klassischer Optik und klassischen Tugenden. Wer sich Bremsweg-, High Speed- oder Schräglagenrekorde erwartet, ist natürlich am falschen Dampfer. Alle anderen werden Glücksmomente im Sattel erleben. Das Windschild und die Seitentaschen machen sie zu einem echten Reisegerät, das im Handumdrehen auch zu einem minimalistischen Cruiser werden lässt. Der Preis ist angemessen, ein Schnäppchen ist die Super Chief deshalb aber noch nicht.- wertige Verarbeitung
- gewaltiges Drehmoment
- gut abgestufte Modi
- entfernbares Windschild und Satteltaschen serienmäßig
- geringer Verbrauch
- entspannte Sitzposition
- genug Platz und Power für den Zweipersonenbetrieb
- Vorderradbremse unterdimensioniert
- wenig Dämpfung hinten
- stolzer Preis
Bericht vom 01.07.2021 | 36.146 Aufrufe