Kawasaki Versys 1000 S 2000 km Reisetest: Reiseenduro-Vergleich

Der Nippon-Reisebomber auf Härtetest in Slowenien & Kroatien

Mit dem ersten Blick erkennt man die Versys 1000 S als mächtige Reisemaschine. Doch für eine gelungene Reise braucht es mehr als Seitenkoffer und Co. Auch der Fahrspaß darf nicht zu kurz kommen! Schafft die Kawasaki diesen Spagat aus Komfort, Reisetauglichkeit und spaßigem Fahrverhalten?

Ein Motorrad ist wie eine Beziehung. Anfangs ist man ganz verliebt, die rosa-rote Brille trübt die Sicht und jedes Detail wird angehimmelt. Erst mit der Zeit lernt man aber alle Seiten und Facetten seines Schätzchens kennen. Bei zwischenmenschlichen Beziehungen offenbart oft der erste gemeinsame Urlaub auch die Kanten und Ecken des Anderen und beim Verhältnis von Mensch und Maschine verhält es sich nicht anders. Eine lange Reise zeigt erst wirklich alle Stärken und Schwächen des Motorrads auf. Genau das soll unser Reisetest bewirken. Die Kawasaki Versys 1000 S, KTM 890 Adventure und Triumph Tiger 900 GT Pro müssen sich auf 2000 Kilometern quer durch Slowenien und Kroatien beweisen.

Nippon-Vierling als Multitalent - Die Reisetauglichkeit des Versys-Motors

Die Versys 1000 ist Kawasakis größter Reisetourer und so überrascht es wohl keinen, dass ihr Motor absolut reisetauglich ist. Der 1043 cm³ Reihenvierzylinder liefert seine 120 PS derart weich und fein dosierbar an die Hand, dass die Fahrerei selbst am Ende eines langen Tages und nach hunderten Kilometern im Sattel immer noch mühelos gelingt. Bei Bedarf dreht der Motor zwar freudig hoch, mit 102 Nm Drehmoment bei 7.500 U/min besitzt er aber auch genug Druck aus den niedrigeren Drehzahlen, um sich ganz unaufgeregt und niedertourig bewegen zu lassen. Von der engsten Kehre bis zur exzessiven Autobahn-Etappe - Es gibt gefühlt keine Situation, bei der sich der japanische Vierling schwer tut.

Hinzu kommt auch noch das umfangreiche Elektronikpaket, mit dessen Hilfe das Maximum an Reisetauglichkeit aus dem Motor geholt wird. Die elektronische Drosselklappensteuerung optimiert die Gasannahme und Leistungsausbeute, die dreistufig verstellbare Traktionskontrolle zügelt das mächtige Drehmoment, Fahrmodi liefern das richtige Motormapping für jede Situation, mit dem Tempomaten gehen auch lange Autobahn-Etappen leicht von der Hand und die 6-Achsen-IMU macht Traktionskontrolle und ABS auch noch schräglagenabhängig. Die elektronische Ausstattung der Versys ist nicht nur umfangreich, sondern funktioniert auch fast einwandfrei. Neben kleinen Mankos, wie z.B. dass der Tempomat nach kurzem Zwischengas recht lange braucht, um wieder den eingestellten Speed zu erreichen, ist einzig der etwas unwillige Quickshifter aufgefallen. Vor allem beim Runterschalten will er oft nicht. Wie Kollege Schaaf treffend bemerkt, fühlt es sich an, als ob man in zähen Brotteig treten würde und nur mit viel Kraft wechselt die Kawa dann auch den Gang. Bei ambitionierter Gangart ist er aber trotzdem ein großes Plus und ballert freudig durch die Gänge.

Goldrichtig positioniert - Fahrwerk der Versys 1000 S

Im Gegensatz zu unserer Dauertesterin, der Versys 1000 SE, hat die S-Version kein elektronisches Fahrwerk verbaut. Aber auch wenn es die einfache Einstellungsmöglichkeit per Knopfdruck vermissen lässt, überzeugen die 43mm Upside-Down-Gabel und der horizontale Gasdruckstoßdämpfer mit einem breiten Wohlfühlbereich. Beides ist in Zugstufe und Federbasis einstellbar und schafft so einen beeindruckenden Spagat zwischen Komfort und Stabilität. Unbeeindruckt brettert die Versys über Unebenheiten, hält bei sportlichem Tempo trotzdem aber brav die Linie im Radius. Gerade die teils sehr welligen Landstraßen des slowenischen und kroatischen Hinterlandes sind ein guter Prüfstein für die Stabilität von Fahrwerken. Die sportliche KTM 890 Adventure fährt am präzisesten ums Eck, lässt aber auch am meisten Erschütterungen ans Rückgrat des Fahrers. Der Tiger von Triumph tendiert bei Bodenwellen in Schräglage zum Schaukelstuhl zu werden. Die Kawa positioniert sich genau in der Mitte und damit goldrichtig.

Zwischen Bus und Wohnzimmersofa - Wetterschutz, Ergonomie & Soziustauglichkeit der Versys 1000 S

In noch einem Feld sticht die Versys die Konkurrenz aus: Wind- und Wetterschutz. Sie ist ja wahrlich kein kleines Motorrad. So eine wuchtige Front und vor allem der verstellbare Windschild in Bus-Format schützen den Piloten im Sattel vor Wind und Regen wie auf wenigen Motorrädern. An unserem ersten Fahrtag entlang der istrischen Küste ergießen sich die Wolken kübelweise auf unsere Häupter. Zwar wird man auf der Versys auch nass, aber gerade bei höheren Geschwindigkeiten deutlich weniger als auf den anderen Reisemaschinen. Im Windschatten des breiten Vorbaus bleiben Beine und Körper von den Elementen Großteils verschont. Das ist bei Schlechtwetter ein großer Bonus, bei Hitze aber auch ein Nachteil. Das Wetter wandelt sich und statt 10 Grad und Regen brennt zwei Tage später die gnadenlose Sonne vom Himmel. Jeder geöffnete Belüftungsschlitz und Reißverschluss unserer Textilkombis sehnt sich nach einem lindernden Luftstoß, doch am Lenker der Versys erreichen nur wenige davon ihr Ziel. Der Windschutz der Versys ist einfach bemerkenswert, egal in welcher Situation.

Auf der Kawasaki Versys 1000 S mit Sozius
Auch in trauter Zweisamkeit wird es nicht ungemütlich auf der Versys.

Ergonomisch macht die Versys auch nichts falsch. Ein breiter Lenker schenkt ein gutes Gefühl und Kontrolle, die Sitzposition ist angenehm aufrecht, der Kniewinkel nicht zu spitz und die Sitzbank so breit und weich wie ein Wohnzimmersofa. Selbst ausladende Hinterteile werden auf der Versys reichlich Platz finden. Genauso bequem thront übrigens auch die Sozia hinten drauf. Selten ein Motorrad gesteht dem Beifahrer so viel Platz zu, wie die Versys. Die Breite der Sitzbank kann aber auch zur Herausforderung für kurze Beine werden. Mit einer Sitzhöhe von 840 mm ist sie kein hohes Ross, doch durch die breite Taille verliert man noch einmal ein paar Zentimeter. Und bei einem Gewicht von fast 260 kg kann rangieren auf Zehenspitzen schon zum heiklen Manöver werden.

Kein Fliegengewicht - Messung von Verbrauch, Reichweite & Gewicht

Apropos Gewicht. Herstellerangaben sind zwar schön und gut, allerdings teilweise schwer vergleichbar. Die einen geben das Gewicht leer, die anderen mit 90 % Sprit und andere wieder vollgetankt an. Um wirklich präzise vergleichen zu können, schieben wir unsere Reisemaschinen auf die 1000PS-Viehwaage. Randvoll mit Sprudel bringt die Versys 1000 S mächtige 259,5 kg auf die Waage. Mit Abstand die schwerste im Vergleich. Auch gemessen wurde von uns der Verbrauch. Brav schreiben wir bei jedem Tankstopp mit und ermitteln am Ende der Reise den durchschnittlichen Verbrauch unserer Bikes. Mit einem guten Verhältnis zwischen Autobahn-Fahrt, gemütlichem Gecruise durch Küstendörfer und sportlicher Andrückerei auf kurvigen Strecken ist unsere Reise realistisch aufgeteilt und der Verbrauch dürfte sehr nah an dem des durchschnittlichen Endverbrauchers sein. Hier schlägt sich die Versys mit 6,1 Liter auf 100 Kilometer zu Buche. Ebenfalls die Spitze in unserem Vergleich, was in Anbetracht des größten Hubraums und der höchsten Anzahl von Zylindern aber nicht weiter überraschend ist. Mit ihrem 21 Liter Tank schafft sie ca. 350 km am Stück.

Souverän auch bei sportlicher Gangart - Handling & Bremsen der Versys 1000 S

Die Reise setzt sich fort und nach unserem Tag in Istrien erkunden wir Mittelslowenien. Hier findet man endlose Kurvenketten mit neuem Straßenbelag und kaum Verkehr. Richtiges Kurvenheizer-Territorium! Es wird Zeit, dass die Reisebomber zeigen was sie draufhaben. Die Versys profitiert im Winkelwerk von ihrem bärenstarken Motor, dem stabilen Fahrwerk und ihren 17-Zoll-Rädern. Damit ist sie deutlich agiler als die Konkurrentinnen mit deren 19-Zoll Felgen am Vorderrad. Trotz des Gewichts lässt sich die Versys überraschend leicht von Radius zu Radius werfen. Mühelos kippt sie in Schräglage, bleibt dort stabil und beschleunigt unter jaulendem Vierzylinderkreischen aus der Kurve raus. Auch am Ende der Gerade braucht man sich nicht fürchten. Die 310 mm 4-Kolben Doppelscheibenbremse vorne und die 250 mm Einkolben Einscheibenbremse hinten sind potent genug, um auch die schwere Versys zügig und dosierbar zu entschleunigen.

Die Kawasaki Versys 1000 S bei sportlicher Fahrt
Selbst vor engen Radien und flotteren Kurven muss sich die Versys nicht fürchten - Sie ist überraschend sportlich wenn gewünscht!

Gepäck, SW-Motech

Um und Auf bei einer Reise auf dem Motorrad ist natürlich der Platz für Gepäck. Dank Kameraequipment, Drohne, Laptops, GoPros und mehr brauchen wir gefühlt Stauraum wie für eine Weltreise. Deshalb ist die Versys auch mit dem Tourer Plus-Paket von Kawasaki ausgestattet. Dieses Beinhaltet zwei 28 L Hartschalen-Seitenkoffer, ein Tankpad und Nebelscheinwerfer. Die Seitenkoffer sind aerodynamisch geformt und vermindern die Stabilität der Versys bei hohen Geschwindigkeiten keineswegs. Allerdings sind sie durch ihre besondere Form nicht gerade leicht zu beladen und voll auszunutzen. Irgendwie reichen aber keinem von uns die serienmäßigen Gepäcklösungen und so greifen wir noch extra zu Taschen von SW-Motech. Die wichtigen Sachen kommen in den Tankrucksack, denn gerade in Zeiten von Corona muss man die negativen Testergebnisse ständig herausholen. Hinten liegt am Soziussitz noch eine SW-Motech PRO Rackpack Hecktasche für zusätzlichen Stauraum. Per Schnellverschluss kann diese beliebig auf dem Motorrad montiert werden.

Pokys Meinung zur Versys 1000 S

Die Kawasaki Versys 1000 S ist ein unfassbar gutes Reisemotorrad. Ob Komfort, Fahrwerk, Soziustauglichkeit oder Wind- und Wetterschutz: überall bekommt die Versys verdienter Weise Bestnoten. Natürlich ist sie im Stand mit ihren 260 Kilo kein Leichtgewicht und den Schaltassistent bekommt man bei der Konkurrenz mittlerweile in noch höherer Güte spendiert. Dennoch macht Kawasaki sehr viel richtig und verbaut einen göttlichen Vierzylinder, der in Sachen Laufruhe und Drehfreudigkeit seines gleichen sucht.

Fazit: Kawasaki Versys 1000 S 2021

Möchte man die Kawasaki Versys 1000 S mit einem Wort beschreiben wäre das: Souverän! Sie ist ein Reisemotorrad durch und durch, kommt mit ihrem bärenstarken Motor in keiner Situation ins Schwitzen und bietet so viel Komfort, wie selten ein Zweirad. Aber sie als dicken Reisebomber ohne jegliche sportliche Ambition abzutun, wäre auch falsch. Im Winkelwerk mutiert sie vom Reiseschiff zur willigen Kurvenfresserin. Die 17-Zoll Räder und das goldrichtig ausbalancierte Fahrwerk lassen auch 260 kg agil durch die Radien wedeln. Wer mit ihrer Größe und dem Gewicht kein Problem hat, wird in der Versys 1000 S eine fähige und zuverlässige Reisemaschine mit überraschend sportlichem Potenzial finden.


  • Laufruhiger, doch bärenstarker Motor
  • Top Wind- und Wetterschutz
  • Umfangreiches Elektronik-Paket
  • Sehr komfortabel
  • Goldrichtig zwischen Komfort und Stabilität abgestimmtes Fahrwerk
  • Trotz hohem Gewicht überraschend agil und sportlich
  • Recht schwer
  • Quickshifter beim Runterschalten oft zickig
  • Serienkoffer haben eine etwas eigenwillige Form

Bericht vom 29.06.2021 | 44.875 Aufrufe

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