Triumph Tiger 900 Rally Pro – Intensivtest im Friaul

Diese Raubkatze fühlt sich überall wohl

Wo lässt sich eine Reiseenduro besser testen als auf einer Reise? Aus diesem Grund schnappte sich Wolf Anfang Oktober noch einmal unseren Dauertester Triumph Tiger 900 Rally Pro, um gemeinsam mit Nasty Nils auf Tour zu gehen. Schottererfahrungen inklusive! Es sollte der letzte Test 2020 für die fesche Reiseenduro werden.

Während Nasty Nils mit der Yamaha Tenere 700 unterwegs war, entschied sich Wolf für die britischen Raubkatze, um ein paar Tage einige seiner Schotter-Favoriten im nahen Friaul unter die Speichenräder zu nehmen.

Die Ausstattung der Pro-Modelle ist längst „Oberklasse“

Im Oktober kann es schon mal frisch werden, speziell in der Früh, erst recht in den Bergen. Mit der Tiger 900 Rally Pro kein Problem, sorgen doch serienmäßige Heizgriffe und Sitzheizung für Fahrer und Beifahrer vom Losfahren an für angenehme Betriebstemperaturen. Und werfen obendrein die Frage auf, wo Mittelklasse aufhört bzw. Oberklasse beginnt. Von der Kubatur und den Leistungsdaten ist die Triumph mit ihrem 888-ccm-Triple und 95 PS eindeutig in der Mittelklasse angesiedelt, punkto Serienausstattung lässt sie hingegen keinerlei Wünsche offen bzw. manch Bike der sogenannten Oberklasse verblassen. Das beginnt bei den modernsten Sicherheits-Features wie Kurven-ABS und schräglagenabhängiger Traktionskontrolle, setzt sich über ein 7-Zoll-TFT-Farbdisplay fort, bis hin zum Quickshifter mit Blipper-Funktion, Hauptständer oder Reifendruck-Kontrollsystem.

Starker „Lenker-Drall“ in Richtung Abseits der Straße

Letztere machte auf der Tour permanent auf einen zu geringen Luftdruck im Vorderreifen aufmerksam. Bewusst gewählt, weil eben vornehmlich Schotter auf der Speisekarte stand und da ein Absenken des Luftdrucks zweckmäßig ist das zu erkennen, hat die Elektronik noch nicht drauf. Was freilich nicht unbedingt schlecht ist, weil es einen auch daran erinnert, wieder Luft nachzufüllen, wenn man für längere Zeit auf der Straße unterwegs ist. Aber irgendwie zieht es den Lenker sowie immer automatisch in Richtung Offroad, wenn man auf diesem Motorrad sitzt: Das ausgezeichnet ansprechende, voll einstellbare Showa-Fahrwerk mit seinen üppigen Federwegen von 240 Millimeter vorne und 230 Millimeter hinten schluckt in Verbindung mit dem 21-Zoll-Vorderrad (hinten setzt Triumph wie beim Vorgänger-Modell 800 XCA weiter auf einen 17-Zöller) so ziemlich alles, was sich einen an Unebenheiten entgegen stemmt.

Nie vergessen: Schotterwege in den Bergen sind keine Cross-Strecken

Und davon findet man im Friaul noch genug, legal befahrbar. Damit dies so bleibt, sollte niemand darauf vergessen, dass es sich bei den Schotterwegen in den Bergen um keine abgesperrten Cross-Strecken handelt und stets mit Rücksicht auf andere unterwegs sein ob Wanderer, Rad-, Auto- oder Motorradfahrer. Von denen wir im Oktober und unter der Woche aber sowieso fast keine trafen und so die wunderbaren Bergpanoramen praktisch für uns alleine hatten.

Ob im Sitzen oder Stehen: Der Wohlfühlfaktor auf der Tiger ist immer hoch

Die Ergonomie auf der Tiger ist richtig gelungen, ob im Sitzen oder Stehen fühlte ich mich auf diesem Motorrad von Anfang an pudelwohl. Dazu kommt dieser harmonische Dreizylinder, der mit dem geänderten Hubzapfenversatz sowie einer neuen Zündreihenfolge nun von der Charakteristik einem Twin ähnlicher wurde, aber immer noch unverkennbar Triple ist der verzeiht dir schon mal die falsche Gangwahl, hat nichts gegen untertouriges Dahinrollen, aber zeigt sehrwohl die Krallen der Raubkatze, wenn man ihn auswindet bzw. hoch drehend vorpreschen lässt. In Verbindung mit einem Schaltautomaten, der mit zu den Besten am Markt zählt, ist der Fahrspaß allgegenwärtig. Wozu auch die hochwertigen Bremsen ihren Teil beitragen die Brembo Stylema verzögern das Motorrad punktgenau und trotzdem nicht zu bissig auf unbefestigten Wegen.

Hoher Sturzbügel wäre bei „artgerechter Haltung“ durchaus ratsam

Wobei die Tiger 900 Rally Pro natürlich auf der Straße genauso Spaß macht, sich agil durch Kurven jeglicher Radien dirigieren lässt auch davon gibt es südlich der österreichischen Grenze genug. Gleich sechs Fahrmodi stehen im Sattel der Triumph zur Wahl (Regen, Straße, Sport, Off-Road, Off-Road Pro und Fahrer-konfigurierbar), recht einfach über den Joystick anzuwählen. Als etwas mühsam empfand ich jedoch, dass man den Offroad-Pro-Modus, bei dem ABS und Traktionskontrolle vollständig deaktiviert sind, nach jedem Abschalten der Zündung neu anwählen muss. Das ist zwar in der EU-Vorschrift von verpflichtendem ABS begründet, dennoch wäre es in der Praxis besser, wenn das System dann z.B. in den Offroad-Modus (mit reduzierten Einstellung) und nicht gleich in den Straßen-Modus springen würde.

Aber das ist natürlich Meckern auf hohem Niveau, welches nur dann entsteht, wenn einem an einem Motorrad sonst nichts abgeht. Sieht man vielleicht von robusteren Handguards und zusätzlich zum serienmäßigen Motorschutz noch einem hohen Sturzbügel für Verkleidung/Tank ab, wie es ihn im Zubehör oder auch von Fremdanbietern gibt. Ein kurzes Hoppala am rutschigen Schotter des Passo Polentin zeigte mir auf der Tour, dass gerade bei artgerechter Haltung rasch ein paar (nicht nur dem Ego) schmerzende Kratzer entstehen können…

Fazit: Triumph Tiger 900 Rally Pro 2020

Beeindruckend, wie gut das Motorrad den Spagat zwischen On- und Offroad hinbekommt, genau das kann, was eine Reiseenduro können sollte bzw. was man mit einer Reiseenduro noch angehen will. Und dies mit einem Reifegrad, der für ein neues Modell geradezu verblüfft bzw. zeigt, dass man bei Triumph die Hausaufgaben gemacht und die ohnehin schon unterschätzte Tiger 800 sinnvoll weiter entwickelt hat. Auch wenn manch eingefleischtem Tiger-Fan das nun weniger ausgeprägte, typische Pfeifen des Dreizylinders fehlen mag. Die Frage, ob die Tiger 900 Rally Pro bereit für die Reise ist, kann ich nur mit einem „wann soll es denn wieder losgehen?“ beantworten!


  • charaktervoller Dreizylinder
  • deutlich verbesserte Offroadtauglichkeit
  • komfortable Federelemente
  • Quickshifter mit Blipper serienmäßig
  • üppige Serienausstattung, sogar Sitzheizung für Fahrer und Sozius
  • gute Ergonomie
  • guter Wind- und Wetterschutz
  • Langstreckentauglichkeit
  • Handguards für Offroad-Einsatz wenig robust
  • Schalterflut am linken Lenker

Bericht vom 26.10.2020 | 38.593 Aufrufe

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