Großbritanniens grüner Außenposten - Motorradreise in Nordirland

Unterwegs im Konfliktgebiet zwischen England und Irland

Motorradtouristen sind in Nordirland beileibe keine Seltenheit, denn dieser grüne Fleck im Nordwesten Europas hat mit seiner vielfältigen Landschaft und den aufgeschlossenen Menschen jede Menge zu bieten – beispielsweise die spektakuläre Causeway Coastal Route.

Text+Fotos: Thilo Kozik

Zugegeben: Von den Siebziger bis Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts machte Nordirland weniger wegen seiner Schönheit als durch üble Nachrichten von Terroranschlägen und Repressionen weltweite Schlagzeilen. Aktuell rückt diese Enklave des britischen Königreichs durch die Brexit-Verhandlungen wieder in den politischen Fokus, geht es doch um das Wiedererrichten fester Grenzen, was wohl das Wiederaufflammen des jahrhundertealten Konflikts bedeuten würde eine Katastrophe für die Menschen hier und das Wirken der Politiker diesseits und jenseits des Ärmelkanals.

Dazu würde dies die Hürden erhöhen, die für einen Besuch Nordirlands übersprungen werden müssen. Dass diese Region politisch korrekt als Ulster bezeichnet wird, eine Provinz Großbritanniens, und sich von der Republik Irland deutlich unterscheidet, ist auch ohne verbarrikadierte Grenze auf den ersten Blick klar: Der Übertritt von der Republik Irland nach Ulster prägen die zahlreichen britischen Flaggen und roten Briefkästen, die das Straßenbild prägen.

Allgemeines zu Nordirland

In Gesamtirland herrscht Linksverkehr und es gilt die Greenwich Mean Time (GMT). Beim Übergang von der Republik Irland nach Ulster ändern sich die Entfernungs- und Geschwindigkeitsangaben von europäischen in britische Maßeinheiten. Der Tacho sollte auf Meilen eingestellt und der englische Dreipoladapter herausgeholt werden. Bezahlen kann man in der Regel mit beiden Währungen, also in Euro und Pfund. Doch egal, ob Nordirland oder Republik, wasserfeste Ausrüstung ist angesichts des extrem schnell wechselnden Wetters ja, es gibt auch bildschöne sonnige Abschnitte ein Muss.

Anreise nach Nordirland

Flugverbindungen gibt es viele nach Dublin oder Belfast. Alternativ ist eine längere Fährpassage mit dem eigenen Untersatz, entweder direkt von Cherbourg oder Roscoff in Frankreich nach Rosslare in Südirland (z.B. www.irlandfaehre.de) oder via England mit zahlreichen Fährverbindungen zu verschiedenen Punkten auch in Nordirland. Wer stattdessen ein Motorrad mieten möchte, wird bei Motorcycle Rental Ireland (www.motorental.ie), unter www.irishbike.com oder bei Phillip McCallen (www.motorcyclehireireland.com) in Belfast fündig.

Reisevorbereitung für Nordirland

Beste Informationen zur Reisevorbereitung und zahlreiche Broschüren über die gesamte Insel in Deutsch gibt es bei der Irland Information, Gutleutstraße 32, 60329 Frankfurt am Main, Tel. 069/66800950, (www. entdeckeirland.de). Empfehlenswert: Das Handbuch Causeway Coast & Glens, in dem besonders die Region der nördlichen Küstenstraße vorgestellt wird.

Armagh - der gespaltene Norden Irlands

Fährt man von der Hauptstadt Dublin nordwärts, passiert man die Grafschaft Armagh mit dem gleichnamigen Hauptort, dem wichtigsten religiösen Zentrum Irlands. Hier residieren die Bischöfe der beiden prägenden Religionen, der im Norden vorherrschenden anglikanischen Kirche und der in Rest-Irland dominanten römisch-katholischen. Interessanterweise sind beide Kathedralen dem gleichen Schutzpatron der Insel geweiht, nämlich dem Heiligen Sankt Patrick. Die beiden mächtigen Gotteshäuser liegen auf zwei Hügeln in Sichtweite gegenüber und machen sich nicht nur optisch Konkurrenz. Denn der Bürgerkrieg zwischen den freiheitsliebenden Iren und den Besatzern Nordirlands aus Großbritannien war immer auch eine Frage des Glaubens noch heute gibt es beispielsweise Sportvereine, die ausschließlich protestantische oder katholische Mitglieder aufnehmen. Doch glücklicherweise hat sich seit dem Friedensabkommen von 1998 eine Menge geändert im nord­irischen Alltag. Vor allem abseits der beiden großen Städte Londonderry und Belfast erinnert zumindest auf den ersten Blick nichts mehr an die düsteren Zeiten Mitte des letzten Jahrhunderts.

St. Patricks Cathedral in Armagh
St. Patricks Cathedral in Armagh

Von Armagh führt die Route westlich an Lough Neagh vorbei, der nicht nur der größte Binnensee der ganzen Insel, sondern durch die politische Zuordnung auch Großbritanniens ist. Durch die Gegend ziehen sich schier endlose Heckenlabyrinthe, es geht über schmale Sträßchen durch leuchtendes Grün, rechts und links Felder, Weiden und noch einmal Weiden. Wir passieren kleinste Dörfer, in denen sich bis auf den lokalen Pub keinerlei Anzeichen von Infrastruktur findet keine Tankstelle, keine Bank, erst recht keine Ampel. Unbemerkt haben wir die Sperrins erreicht, eine Hügelgegend, die von winzigen Weilern, grünen Torfmooren und unzähligen Flüsschen gekennzeichnet ist. Hier befinden sich die rätselhaften Beaghmore Stone Circles, sieben unterschiedlich große Steinkreise aus prähistorischer Zeit, die bei einsetzender Dämmerung noch geheimnisvoller wirken. Welchen Göttern hier gehuldigt wurde oder ob es sich gar um eine rituelle Opferstätte handelt, haben die Forscher bislang nicht eindeutig klären können. In wabernden Nebel machen diese jedoch einen geheimnisumwitterten Eindruck und lassen so manchen Schauer den Rücken runterlaufen.

Portrush - Badeort und Rennsport-Mekka

Solcherart eingestimmt geht es bis zum Einbruch der Dämmerung weiter ins Küstenstädtchen Portrush. In diesem unter Surfern, Belfaster Wochenendausflüglern und internationalen Sommergästen beliebten Strandort ist rund um den Hafen eine lebendige, gleichsam überschaubare Amüsiermeile entstanden, in der sich viele Gelegenheiten zum Tagesabschluss-Bier bieten. Und obwohl die Nächte für mitteleuropäische Verhältnisse eher kühl ausfallen, lässt es sich die Dorfjugend nicht nehmen, von der kleinen Brücke über den Yachthafen immer wieder mit artistischen Einlagen ins frische Wasser zu springen.

Pub in Portrush
Treffpunkt für Jung und Alt in Portrush

Weltweit ist Portrush aber weniger wegen seiner langen Sandstrände berühmt, sondern als Austragungsort eines der wichtigsten Motorradrennen der Insel, der Northwest 200. Jedes Jahr im Mai pilgern Tausende von Motorsportbegeisterten zu diesem spektakulären Dreieck-Straßenrennen zwischen Portrush, Portstewart und Coleraine über 8,97 Meilen, einem der schnellsten Straßenrennen der Welt. Sämtliche Hotels, Pensionen und B&Bs und Gästezimmer der Verwandten und Bekannten der Region sind schon Monate im Voraus ausgebucht. Besonders beliebt sind die Plätzchen in den Gärten direkt an der Rennstrecke, wenn die Zuschauer zwischen Teegebäck und Grill den dahinrasenden Wagemutigen applaudieren.

Die lokalen Helden - Die Rennsportbegeisterung der Iren

Iren wie Nordiren sind sich übrigens bei der Begeisterung für diese Art von Rennen einig. Wer auf diesen halsbrecherischen Straßenkursen antritt, wird mit größtem Respekt bedacht, wer hier sogar gewinnt, wird als Held verehrt. Wie ein gewisser William Joseph »Joey« Dunlop, der das Jubiläumsrennen 1979 gewinnen konnte. Jener Joey, der später als einer der erfolgreichsten Straßenrennfahrer der Geschichte mit unzähligen Siegen bei der Northwest, bei der Tourist Trophy auf der Isle of Man und vielen weiteren wichtigen Rennen zur Legende des Straßenrennsports wurde. Zum Road Racer wird man scheints geboren beziehungsweise bekommt die Genen dafür in die Wiege gelegt: Ähnlich erfolgreich und bekannt wie Joey ist sein jüngerer Bruder Robert und seine Neffen William und Michael. Doch der Straßenrennsport ist nicht nur riskant, sondern sogar lebensgefährlich. So hat das Schicksal Joey Dunlop im Alter von 48 Jahren bei einem unbedeutenden Rennen im estnischen Tallinn zugeschlagen, 2008 verunglückte Robert tödlich bei den Northwest 200.

Joey Dunlop Memorial
Joey Dunlop Memorial

Joey haben sie als berühmtestem Sohn des Ortes in Ballymoney, nur einen guten Gasstoß vom Dreieckskurs entfernt, mit einer lebensgroßen Bronzestatue in den Dunlop Memorial Gardens ein Denkmal gesetzt, neben einer in dunklen Granit gehauenen Liste seiner 200 Erfolge. Den Gipfel der Heldenverehrung erreicht man am Ende der Seymour Street. Am Bahnhofsvorplatz liegt Joeys Bar, gespickt mit Devotionalien des Helden, zu denen sogar eine der RC-45-Hondas gehört, die Dunlop pilotierte. Doch Joey Dunlop war nicht nur ein untadeliger irischer Sportsmann, sondern ebenfalls Initiator vieler Wohltätigkeitsveranstaltungen. Nicht zuletzt deshalb widmet ihm das Ulster Transport and Folk Museum in der Nähe von Belfast sogar eine eigene Sonderschau.

Unterkünfte in Nordirland

Fast überall finden sich Hotels und Motels, beliebt und empfehlenswert sind auf jeden Fall die Pensionen (Bed&Breakfast) mit Anschluss an einheimische in allen Kategorien. Lediglich Campingplätze sind rar gesäht.

The Giant's Causeway - Landschaftliches Highlight Irlands

Von Portrush führt eine herrliche Küstenstraße die Antrim Coast ostwärts, die Causeway Coastal Route. Wenn es bislang so etwas wie Hektik gegeben hat, hier verliert sich der turbulente Alltag in den unzähligen Kurven, über die der Atlantik in stetigen Böen hinein weht. Schon nach wenigen Kilometern auf diesem zwischen saftig-grünen Wiesen und der je nach Wetterlage hell- bis dunkelblauen Irischen See eingebetteten Asphaltband kommt man zu einem absoluten Muss nicht nur für Irlandreisende, dem Giants Causeway.

The Giant's Causeway in Nordirland
The Giant's Causeway in Nordirland

Dieses UNESCO-Weltnaturerbe wird von mehr als 38.000 sechseckigen Basaltsäulen gebildet, die wie Orgelpfeifen angeordnet sind. Geologisch handelt es sich um erkaltete Lava, doch diese erst im 17. Jahrhundert entdeckte Felsformation hat ihren Namen von der Legende des Riesen Finn McCool, der aus den Basaltsäulen eine Brücke hinüber nach Schottland baute, um seinem dortigen Widersacher Benandonner das Fell über die Ohren zu ziehen. Zu diesem Naturdenkmal gelangt man nur zu Fuß oder per Pendelbus über einen gut einen Kilometer langen Weg, doch dieser Abstecher ist die kleine Unannehmlichkeit allemal wert.

Essen & Trinken in Irland - Fisch & Bier zu günstigen Preisen

Anders als beim großen englischen Nachbarn braucht sich die irische Küche nicht mit geballten Vorurteilen auseinander zu setzen. Fast überall in Irland kann man gut und sogar vergleichsweise günstig essen, die meisten Pubs bieten mittags und abends gute Tagesmenüs zu akzeptablen Preisen. Gut sind überall die frischen Fisch- und Meeresfrüchte-Speisen, die hier oftmals wirklich aus dem umliegenden Meer kommen. Viel ist von der einstmals stolzen einheimischen Bierbraukunst zwar nicht mehr übrig, doch wo es ein local gibt, sollte man es probieren.

Whiskey und Idylle - Motorradtour durch Nordirland

Das nächste Highlight lässt nicht lange auf sich warten, im knapp zwei Meilen entfernten Bushmills steht schon der nächste Stopp an. Das kleine Städtchen beherbergt nämlich die gleichnamige Whiskey-Destillerie, die mit einer offiziellen Lizenz seit 1608 die älteste legale Whiskey-Brennerei der Welt ist. Den obligatorischen Rundgang beschließt eine Verkostung der verschiedenen Whiskey-Sorten, doch mit dem Zweirad muss eine intensivere Erprobung der hochwertigen Erzeugnisse auf den Abend verschoben werden.

Causeway Coastal Route Nordirland
Grüne Wiesen säumen die Causeway Coastal Route

Weiter führt die Causeway Coastal Route in sanften Bögen vorbei an schroffen Klippen, gegen die der Atlantik wütend branded, und durch immergrünes Weideland. Es bieten sich zahllose malerische Ausblicke über das vorgelagerte Rathlin-Island, und bei gutem Wetter sogar bis hinüber nach Schottland. Kleine Örtchen mit viel Charme wie Cushendun und Cushendall säumen den Weg und laden zum Verweilen ein. So abgeschieden und scheinbar rückständig die Ortschaften erscheinen, so gewaltig ist der Kontrast, den am Ende der Route Belfast darstellt, denn hier ist die beschauliche Abgeschiedenheit vorbei. Nach den Glens, wie die fjord­ähnlichen Täler hier heißen, kommt einem die nordirische Hauptstadt mit ihren nicht einmal 300.000 Einwohnern wie eine brodelnde Weltmetropole vor.

Mit dem Motorrad in Belfast - Auf den Spuren des Nordirland-Konflikts

Ihre bewegte Geschichte mit den noch sichtbaren Spuren wäre allein eine eigene Reise wert, so abwechslungsreich zugleich scheinbar gegensätzlich tickt diese Stadt. In einer Art moderner Zeitreise erinnert das Titanic Museum an das wohl bekannteste und für damalige Zeit luxuriöseste Schiff der Welt: Das Museum steht auf der Helling, in der das Linienschiff selbst vor über 100 Jahr gebaut wurde, und ist mit seiner schimmernden Aussenhülle dem Luxuskreuzer nachempfunden. Im Inneren warten in neun Galerien auf sechs Etagen, die der Höhe der Titanic entsprechen, interaktive Ausstellungen, ein Unterwasser-Kino und eine Achterbahnfahrt auf einem Portalkran. Wer sich für die tragische Geschichte interessiert, sollte auf jeden fall mehr als die durchschnittlichen drei Stunden einplanen, die Besucher hier verbringen.

Farbenfrohe Straßenecke in Belfast
Der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken ist immer noch Thema in Belfast

Auf der anderen Seite der Stadt taucht man in die düstere Zeit des Bürgerkriegs ein, die immer noch nicht ganz überwunden scheint. Ein bedrückendes, beängstigendes Gefühl macht sich breit beim Weg durch die Shankill und die Falls Road, in denen Murals an den Häuserwänden an die Ursprünge der Auseinandersetzungen und für Katholiken wie Protestanten bedeutsame Geschehnisse erinnern. In den streng voneinander getrennten Wohngebieten mit rein katholischen und rein protestantischen Straßenzüge standen sich damals die Parteien unversöhnlich gegenüber: Auf der Shankill Road die sich der britischen Krone zugehörig fühlenden Protestanten, auf der Falls Road die Katholiken, die für eine Vereinigung mit der Republik Irland kämpfen. Trennlinie war und ist der Peace Wall zwischen den Stadtteilen, Mauern mit Stacheldraht und Überwachungskameras und jetzt offenen Stahltoren, durch die man ungehindert mit den Motorrädern rollt. Das Ganze erinnert die Älteren an die Mauer in Berlin, auch das beklemmende Gefühl ist sehr ähnlich. Bleibt nur zu hoffen, dass die tiefen Gräben der Vergangenheit nicht durch die Entscheidungen der Politik von Heute wieder aufgerissen werden. Es wäre viel zu schade um ein Land, dessen freundliche Bewohner und faszinierende Gegenden jederzeit eine Fahrt ans nordwestlichste Ende Europas so lohnend machen.

Bericht vom 14.02.2021 | 7.687 Aufrufe

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