Das machen Fahrer auf der Rallye Dakar durch! - Rallye Dakar 2023
Deutscher Rally-Fahrer Mike Wiedemann im Interview
Heute geht mit dem Prolog die Rallye Dakar 2023 in Saudi Arabien los. Im Vorfeld haben wir mit Vorjahres-Finisher und Malle Moto-Starter Mike Wiedemann darüber gesprochen, welche Herausforderungen Fahrer auf dem Weg ins Ziel der härtesten Rallye der Welt überwinden müssen.
Das Spektakel der Rallye Dakar hält Anfang 2023 bereits zum vierten Mal auf der arabischen Halbinsel, dennoch soll nun alles anders werden. Statt im Kreis zu fahren, durchqueren die Piloten der unterschiedlichsten Fahrzeugkategorien diesmal die Wüste annähernd diagonal. Auch wird die Rallye mit mehr als 5.000 gewerteten Kilometern an 14 Fahrtagen so lange und intensiv, wie seit acht Jahren nicht mehr. Neben Stars wie Matthias Walkner, Nacho Cornejo, oder Sam Sunderland, die zweifellos wieder mit irren Fahrleistungen für Spannung sorgen werden, sind auch ganz viele semi-professionelle oder Hobby-Fahrer bei der Rallye Dakar mit am Start. Einer davon ist Mike Wiedemann, der 2022 als jüngster Deutscher aller Zeiten die Dakar beendete. Er erzählt von der härtesten Rallye der Welt aus der persönlichen Perspektive eines Fahrers.
Vorbereitung ist alles! - Der weite Weg von Deutschland in die Wüste
Nachdem sich Mike Wiedemann Anfang des Jahres seinen Traum, die Rallye Dakar zu fahren, erfüllt hat und nebenbei auch noch als damals 24-jähriger Rekorde gebrochen hat, scheint er nun Blut geleckt zu haben. Er nimmt 2023 wieder teil, diesmal jedoch in der Marathon-Wertung, der "Malle Moto"-Klasse. Hier sind nur die härtesten Piloten unterwegs, die die extremen Anstrengungen der Wüste ganz allein und ohne Service-Unterstützung bewältigen wollen. Auf so eine abenteuerliche Extrembelastung möchte man gut vorbereitet sein. Mike trainiert dafür schon seit Jahren mindestens zwei Stunden pro Tag. Krafttraining, Koordinationstraining, Joggen, Fahrradfahren, Schwimmen - das vielseitige Programm soll den Körper maximal gut vorbereiten. Mike konzentriert sich auch deshalb verstärkt auf seine körperliche Fitness, weil er in anderen Bereichen eingeschränkt ist.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist es ein echt weiter Weg von Deutschland bis in die Wüste. Generell ist Offroad-Fahren in Mitteleuropa nur sehr beschränkt möglich, was Mike die artgerechte Vorbereitung schwer macht. "Klar fahre ich viel Motocross und Enduro, aber das kann man mit den Bedingungen der Dakar gar nicht vergleichen", erzählt uns Mike im Interview. Vor allem offenere Landstriche, wo auch die hohen Geschwindigkeiten der Dakar trainiert werden können, sind kaum vorhanden. Als Antwort darauf trainiert Mike seinen Körper extra und fährt auch mehrmals im Jahr bei kleineren Rallyes mit. Ersetzen kann das ausführliches Wüstentraining, wie es die professionellen Rallye-Werksfahrer mehrmals jährlich praktizieren, aber nicht. "Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum es so wenige deutsche oder österreichische Rallye-Fahrer gibt, weil es einfach die Trainingsmöglichkeiten so nicht gibt." Auch die Navigation, schon seit immer ein essentieller Bestandteil der Rallye-Dakar, leidet durch den Mangel an echter Wildnis. Einen allzu großen Bestandteil des Trainingsprogramms von Mike macht die Navigation nicht aus, doch für etwas Übung sorgt der schwäbische Heimatort Königschaffhausen. "Ich hab angefangen dieses Jahr mit einem Kollegen für unser Heimatdorf ein Roadbook zu machen. Das ist natürlich weit weg vom echten Roadbook bei der Dakar, aber zumindest die Distanzen und Zeichen können wiederholt und geübt werden." Zusätzlich hat Mike heuer auch als Beifahrer bei Rallyes in Polen und Portugal teilgenommen und so die Navigation trainiert. Doch die weite Entfernung der Heimat vom Rallye-Sport macht es schwer, nicht nur aufgrund der räumlichen Distanz.
Ein Dakar-Ticket? Das macht 90.000 €! - Die Kosten der Rallye Dakar für Motorräder
Die geographische Entfernung Mitteleuropas ist sicher auch ein Grund dafür, warum der Rallye-Sport hierzulande viel weniger populär ist, als zum Beispiel in Frankreich, Italien oder Spanien. Das macht auch die Sponsorensuche und Finanzierung eines Dakar-Abenteuers für heimische Piloten schwierig. Und externe Investoren werden die meisten Teilnehmer brauchen, denn ein Startplatz bei der Dakar kostet richtig viel Geld. Mike nennt keine genauen Zahlen, doch um im Zuge eines Teams mitzufahren und von deren Service zu profitieren, rechnet er mit 90.000 € Kosten. Das inkludiert das Motorrad, Training, Qualifikation, An- und Abreise, Service vor Ort und das Startgeld bei der Dakar. Ein großer Batzen Geld also, den kaum wer privat wird stemmen können. "Das Sponsoren-suchen, sich vorstellen, präsentieren, Verträge unterschreiben, Website aufbauen und Rechnungen stellen ist dabei fast noch ein größerer Aufwand, als das restliche Training.", erzählt uns Mike. Spätestens nach seinem Erfolg und Rekord im letzten Jahr steht er nicht mehr so vor diesem Problem. Dennoch bleibt die Geldfrage ein essentieller Punkt des Vorhabens. Denn während die Teilnahme im Zuge eines Teams an der 100.000 €-Marke kratzt, kostet ein Start in der puristischen Malle Moto-Klasse gerade mal 16.000 €. Mit den zusätzlichen Spesen rechnet Mike mit 25.000 € Kosten für seinen zweiten Start in Saudi Arabien.
Seekrankheit in der Wüste - Die schwersten Gelände-Typen der Rallye Dakar
"Ich hab immer Rallye Dakar verfolgt, ich wusste das es schnell ist. Aber wenn man dann selber am Tag einen Schnitt fährt von 110 - 120 und zum Teil mit über 170 km/h unterwegs ist, und das für 20 oder 30 Minuten am Stück, das ist schon anfangs extrem schwierig." Hier findet Mike den größten Unterschied zu seinem Enduro-Training in der Vorbereitung, welches sich eher im zweistelligen Geschwindigkeitsbereich bewegt. Dennoch gewöhnt er sich recht schnell an die High-Speed-Passagen. Eine noch größere Herausforderung sind für ihn das wohl typischste Terrain der Wüste: Sanddünen. "Das ist etwas ganz anderes. Das hat auch nichts zu tun mit irgendwie Sandfahren, oder irgendwo auf der Motocross-Strecken zu fahren, das ist eher eine komplett andere Disziplin." Nicht nur fahrerisch, sondern auch mental fordern die Dünen. "Es sieht immer alles gleich aus, wie auf dem Meer draußen. Immer sieht man alles nur Gelb, du siehst zum Teil gar keine Unterschiede mehr auf dem Boden, weil alles gleich aussieht. Viele werden auch seekrank in den Dünen. Es macht extrem Spaß, ist aber auch extrem hart." Vor allem durch das vergleichsweise langsame Vorankommen können Dünen während ausgedehnten Etappen zur Probe an Geist und Körper werden. Durch das ständige Auf und Ab und Geschwindigkeiten von 20 bis 30 km/h kämpfen sich die Piloten der Rallye Dakar oft stundenlang durch ewig gleichbleibende Dünenfelder.
Die Tricks der Rallye-Dakar Fahrer
Hinzu kommen elendslange Verbindungsetappen bei teils Temperaturen um die 0 Grad, wenig Schlaf und anspruchsvolle Navigation. Und auch Einsamkeit kann für Solo-Starter wie Mike ein Problem sein, wie er zugibt: "Ich war quasi allein letztes Jahr, also ohne Family, ohne Kollegen, ich war komplett allein unten. Wenn du wirklich allein zwei, drei Wochen unten bist, dein Rennen fährst und nie jemanden hast, mit dem du darüber reden kannst, das war dann schon auch eine riesen Herausforderung." Wenig verwunderlich also, dass es bei der Rallye Dakar auch extreme mentale Stärke braucht. Darauf bereitet sich Mike mit einem mentalen Training vor und hat noch ein paar Ass im Ärmel. Er verrät einen viel genutzten Trick, um auf Verbindungsetappen wach zu bleiben. "Das macht eigentlich fast jeder, man hat Musik im Ohr. Also nur in einem Ohr, um am anderen Ohr den Verkehr zu hören, wobei Verkehr ist dort eigentlich keiner. Dafür erstelle ich mir dann eine Playlist übers Jahr, wo gute Laune Musik, Tanzmusik, alte Hits drauf sind. Take On Me von a-ha, zum Beispiel, oder Queen, oder andere alte Musik, die ist dann bei der Dakar echt hilfreich."
Malle Moto-Wertung der Rallye Dakar - Masochismus oder der echte Spirit der Rallye Dakar?
Enduro-Star Lyndon Poskitt erkennt in der Malle Moto-Klasse den ursprünglichen Geist der Dakar, andere wiederum nennen die knallharten Teilnehmer "Verrückte und Masochisten". Für uns Otto-Normal-Biker mögen diese Bezeichnungen ja nahe liegen, doch Mike sieht das eher unaufgeregt: "Solange ich nichts kaputt mache, also letztes Jahr bin ich nur einmal gestürzt und da ging nichts zu Bruch, dann sollte es gehen. Ich glaube am schlimmsten wird es, wenn du einmal was kaputt machst. Wenn du stürzt und dir wehtust, abends spät ins Ziel kommsz und danach noch schrauben musst, dann wird das die größte Herausforderung." Ums Bike selber macht sich Mike wenig sorgen. Seine 450er KTM-Rallye-Maschine vom letzten Jahr ist top vorbereitet und so robust, das jeden Tag nur wenige Arbeiten anstehen. Luftfilter- und Ölwechsel, Kettenspannen und Verschlussteile im Auge behalten, das war es - in der Theorie. "Abends im Ziel um 4, bis ich mich umgezogen und gegessen hab ist es 5, dann noch zwei, drei Stunden schrauben, da hast du dann eigentlich überhaupt keine Erholung." Die Fahrtage starten teilweise schon in den frühesten Morgenstunden, Malle-Moto-Teilnehmer haben selbst bei einem optimalen Verlauf kaum bis keine Freizeit. Sollte es hart auf hart kommen und die Zeit reicht nicht mehr für alle anstehenden Arbeiten, dann legt Mike die Priorität auf die eigene Verfassung. "Sobald es am Motorrad nichts schlimmes, essentielles ist, würde ich z.B. den Ölwechsel mal auslassen und gucken, dass ich mich körperlich erhole. Weil wenn du am nächsten Tag mit 130 unkonzentriert unterwegs bist und etwas übersiehst und absteigst, hast du gar nichts davon."
Mike Wiedemann - Der jüngste Malle Moto Finisher Deutschlands?
Heute startet Mike Wiedemann in den Prolog und macht damit den Anfang des nächsten möglichen Rekords. Bewältigt er alle 14 Fahrtage und über 5.000 Kilometer der Rallye Dakar 2023, dann ist er der jüngste Deutsche, der die Malle-Moto-Wertung je beendet hat. Mikes Hauptmotivation ist sein eigener Anspruch und der Wunsch, sich selbst zu beweisen, dass er die ultimative Rallye-Erfahrung meistern kann. Sollte er es schaffen, schreibt er nicht nur Sportgeschichte, sondern öffnet sich vielleicht auch weitere Türen in der Rallye-Welt. Den ganz großen Traum einer beendeten Rallye Dakar hat er sich 2022 ja schon erfüllt, in Zukunft würde er es gerne professionell angehen. "Was extrem cool wäre, wenn ich irgendwann in ein Team reinkomme, wo ich auch wirklich fünf, sechs Rallyes im Jahr fahren könnte. Um auch zu schauen, was sich erreichen lässt, wenn man sich da voll drauf konzentriert. So was wäre schon mal cool. Aber das ist natürlich sehr unwahrscheinlich, da muss ich extrem Gas geben [lacht]. Das muss nicht in Erfüllung gehen, aber sowas wäre der Traum."
Wir drücken Mike ganz fest die Daumen, dass dieser Traum auch in Erfüllung geht und die extreme Malle-Moto Dakar für ihn gut verläuft. Falls ihr mehr zur Dakar 2023 erfahren wollt, dann findet ihr unterhalb alle Berichte zu Rallye Dakar 2023.
Alle Berichte zur Rallye Dakar 2023
GREGOR
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