Vier Alltagssportler im Rennstreckentest
Aprilia RS660 - Yamaha R7 - Honda CBR650R - Kawasaki Ninja 650
Mächtiger Vergleich beim 1000PS Trackday Saisonstart am Pannoniaring! Vier Straßensportler treten zum Rennstreckentest an. Wo liegen die Unterschiede? Welche kann sich durchsetzen?
Was für ein großartiger Saisonauftakt bei den 1000PS Bridgestone Trackdays am 20. und 21. April 2023! Nicht nur, dass sich zahlreiche begeisterte Motorradfahrerinnen und -fahrer am Pannoniaring einfanden, um ihr Schräglagenkönnen unter Beweis zu stellen und gemeinsam Spaß zu haben, auch das Wetter zeigte sich von seiner allerbesten Seite. Bei durchwegs sonnigen 17 Grad erfreuten sich unsere Gäste an dem sicheren Umfeld einer gesperrten Rennstrecke, während das 1000PS-Team im Rahmen eines großen Vergleichstests vier Alltagssportler im Serientrimm gegeneinander antreten ließ.
Aprilia RS660 vs. Yamaha R7 vs. Honda CBR650R vs. Kawasaki Ninja 650
Wenngleich das Duell der vier genannten Sportler auf den ersten Blick - zumindest in puncto Hubraum - relativ ausgewogen scheint, zeigt die nähere Betrachter der Ausstattung und Listenpreise, dass dem bei Weitem nicht so ist. So kostet die Aprilia RS660, die teuerste Maschine des Vergleichs, in Deutschland mit 11.599 Euro gleich um ein Drittel mehr als die Kawasaki Ninja 650, welche bereits um unverschämt günstige 8.595 Euro zu haben ist. Ziemlich genau in der Mitte reihen sich die Yamaha R7 um 10.249 Euro und die Honda CBR650R um 9.900 Euro mit ähnlichen Listenpreisen ein.
Aprilia RS660 | Yamaha R7 | Honda CBR650R | Kawasaki Ninja 650 | |
Listenpreis D* | € 11.599,00 | € 10.249,00 | € 9.900,00 | € 8.595,00 |
Listenpreis AT | € 13.350,00 | € 10.799,00 | € 10.490,00 | € 8.699,00/€ 8.799,00 |
Listenpreis CH | 12.795 CHF | 10.390 CHF | 10.590 CHF | 8.990 CHF |
*ohne Nebenkosten
Damit sollte eigentlich jedem klar sein, dass es bei diesem Vergleich schwierig bis nahezu unmöglich ist, einen klaren bzw. fairen Testsieger zu ermitteln. Vielmehr schildern euch unsere vier Redakteure Fabian Dresler (Motorrad-Redakteur und Rennfahrer), Klaus Grammer (Supersport-Experte und 1000PS Instruktor), Mex und NoPain ihre Eindrücke und nennen ihre persönlichen Favoriten. Schaut euch dazu unbedingt das Video "Vier Alltagssportler im Rennstreckentest" auf dem YouTube Kanal von 1000PS TV an.
Zahlen, Daten und harte Fakten gefällig? Dann bist du allerdings hier genau richtig.
Motoren, Leistung & Gewicht
Wie oberhalb erwähnt, weisen alle vier Kontrahenten ähnlich große Hubräume auf, jedoch sticht die Honda beim Motorkonzept mit ihrem Reihenvierzylinder hervor - die anderen drei verfügen jeweils über einen Reihenzweizylinder.
Vergleicht man die Leistungswerte untereinander, so steht die Aprilia dennoch mit 100 PS klar an der Spitze, dicht gefolgt von der Honda und mit einem Respektabstand zur Yamaha und der Kawasaki. Ein ähnliches Bild ergibt sich bezüglich des Drehmoments, wenngleich die Yamaha R7 in der Lage ist, ihre 67 Nm bei sensationell niedrigen 6.500 U/min abzuliefern. Das ist aber auch nicht weiter verwunderlich, da sie über den aus der MT07 bekannten, kräftigen CP2 Motor verfügt und erst im Modelljahr 2022 präsentiert wurde. Dementsprechend ist sie das jüngste bzw. modernste Bike des Tests, dicht gefolgt von der Aprilia (2021) und - bereits etwas abgeschlagen - der Honda (2019) sowie der Kawasaki (2018).
Aprilia RS660 | Yamaha R7 | Honda CBR650R | Kawasaki Ninja 650 | |
Motor | 2-Zylinder Reihe | 2- Zylinder Reihe | 4- Zylinder Reihe | 2- Zylinder Reihe |
Hubraum | 659 ccm | 689 ccm | 649 ccm | 649 ccm |
Leistung | 100 PS (10.500 U/min) | 73,4 PS (8.750 U/min) | 95 PS (12.000 U/min) | 68 PS (8.000 U/min) |
Drehmoment | 67 Nm (8.500 U/min) | 67 Nm (6.500 U/min) | 63 Nm (8.500 U/min) | 64 Nm (6.700 U/min) |
Gewicht (fahrbereit) | 183 kg | 188 kg | 206 kg | 193 kg |
Sound | Euro5 96 dB(A) | Euro5 88 dB(A) | Euro5 97 dB(A) | Euro5 90 dB(A) |
Tankinhalt | 15 l | 13 l | 15,4 l | 15 l |
Verbrauch | 4,9 l/100 km | 4,2 l/100 km | 4,9 l/100km | 4,5 l/100 km |
In der Praxis vermochte uns die RS660 leistungsmäßig am meisten zu begeistern, wenngleich sich die Honda mit 95 PS und trotz ihrer 206 kg Kampfgewicht nicht minder schlampig fahren ließ. Aber auch die Yamaha R7 konnte im dichten Kurvengeschlängel gut mithalten und musste die Konkurrenz erst auf der Start-Zielgeraden ziehen lassen. In der Tat fühlten sich ihre 73,4 PS nach deutlich mehr an - darüber waren sich alle einig. Das Schlusslicht bildete die Ninja 650, die wenigstens vom Sound her eine gute Figur abgab. Für sich betrachtet sind ihre Leistungswerte aber keineswegs schlecht und auch das maximale Drehmoment von 64 Nm liegt relativ tief an, weshalb wir davon ausgehen, dass sich die Kawasaki auf der Landstraße deutlich wohler fühlen muss.
Fahrwerk, Reifen & Bremsen
Das spitzenmäßige Handling der Aprilia ist einerseits der durchdachten Geometrie, andererseits der hochwertigen Komponenten bzw. dem deutlich höheren Listenpreis geschuldet. Mit ihrem guten Serienfahrwerk, vorne und hinten einstellbar, der großartigen Serienbereifung mit Pirelli Rosso 4 und einer bombastischen Bremsanlage mit radialen Brembos vorne und einer Zweikolbenbremse hinten, zieht sie am Ring unbeirrbar ihre Bahn und ist auch beim Anbremsen einen Macht.
Ebenfalls überraschend gut schlägt sich die Honda, obwohl ihr Fahrwerk nur hinten in der Federvorspannung einstellbar ist. Das 2021er Fahrwerks-Upgrade mit einer 41er-Showa-Big-Piston-USD-Gabel, bei der Federung und Dämpfung jeweils in einem Gabelholm untergebracht wurden, erfüllte offensichtlich seinen Zweck und sorgt - auch ohne weiterer Einstellmöglichkeiten - für eine gute Dämpfung.
Aprilia RS660 | Yamaha R7 | Honda CBR650R | Kawasaki Ninja 650 | |
Gabel | 41 mm Upside Down (Federvorspannung, Zugstufe) | 41 mm Upside Down (Druck-/Zugstufe, Federvorspannung) | 41 mm Upside Down (nicht einstellbar) | 41 mm Teleskopgabel (nicht einstellbar) |
Federbein | Monofederbein (Federvorspannung, Zugstufe) | Monofederbein (Federvorspannung, Zugstufe) | Monofederbein (Federvorspannung) | Back-Link-Zentralfederbein (Federvorspannung) |
Reifendimensionen | 120/70/17 | 120/70/17 | 120/70/17 | 120/70/17 |
180/55/17 | 180/55/17 | 180/55/17 | 160/60/17 | |
Reifenfabrikat (Serie) | Pirelli Rosso 4 | Bridgestone Battlax S22 | Bridgestone Battlax RS11* | Dunlop Sportmax Roadsport 2 |
Bremsen vorne | Doppelscheibe 320 mm, Vierkolben radial, Brembo | Doppelscheibe 298 mm, Vierkolben radial, Brembo | Doppelscheibe 310 mm, Vierkolben radial | Doppelscheibe 300 mm, Vierkolben |
Bremsen hinten | 220 mm Zweikolben | 245 mm Einkolben | 240 mm Einkolben | 220 mm Einkolben |
*Die Honda wird serienmäßig mit einem Dunlop D214 ausgeliefert.
Gleichermaßen gut gefällt die Yamaha mit ihrem einstellbaren Fahrwerk, den ebenso großartigen Bridgestone S22 und der radialen Brembo Bremsanlage, wenngleich die Gabel beim scharfen Anbremsen etwas zum Eintauchen neigt.
Nur die Kawasaki konnte erneut mit dem restlichen Testfeld nicht mithalten; ihr Fahrwerk ist für die Rennstrecke zu sehr auf der komfortablen Seite und auch Reifen und Bremse sind nur guter Durchschnitt. Auch hier sehen wir die Ninja 650 eindeutig mehr auf großer Tour als auf der Jagd nach Sekunden.
Geometrie, Sitzhöhe & Ergonomie
Aufgepasst - hier trennt sich die Spreu vom Weizen, weshalb wir jedem, der sich ernsthaft für eine der vorgestellten Maschinen interessiert, zu einer Selbstreflexion bzw. zu einer ausgiebigen Probefahrt raten.
Das absolut sportlichste Bike dieses Vergleichs ist die Yamaha R7 mit einer R6-ähnlich radikalen Sitzposition. Mit ihrem kurzen Radstand, dem steilsten Lenkwinkel im Test, der schmalen, harten Sitzbank, dem tief positionierten Lenker, hohen, weit hinten angebrachten Fußrasten und der gebückten Fahrposition spricht sie in erster Linie junge und junggebliebene Racer an, die das Geschäft von der Pike auf lernen wollen und lassen Oldies oder Versehrte wie NoPain & Co. außen vor.
Am anderen Ende des Spektrums finden wir die Kawasaki Ninja 650 mit der niedrigsten Sitzhöhe, dem am höchsten montierten Lenker und der weichsten Sitzbank - kurz: der komfortabelsten Position. Eindeutig auf "Weltreise" programmiert, stört auch nicht der längere Radstand, welcher der Kawa ein Plus an Laufruhe beschert. Einzig der Kniewinkel fällt dennoch recht spitz aus, was sich mit einer höheren Sitzbank aus dem Zubehör entschärfen lässt.
Aprilia RS660 | Yamaha R7 | Honda CBR650R | Kawasaki Ninja 650 | |
Radstand | 1370 mm | 1395 mm | 1450 mm | 1410 mm |
Lenkwinkel | 65,9 Grad | 66,3 Grad | 64,5 Grad | - |
Nachlauf | 104,6 mm | 90 mm | 101 mm | 100 mm |
Sitzhöhe | 820 mm | 835 mm | 810 mm | 790 mm |
Fahrposition | Sweet-Spot aus Racing und Road | Radikal sportlich | Komfortabel | Ultra-Komfortabel |
Klarer Sieger bei Komfort, Ergonomie und Handling ist auch hier die Aprilia RS660 mit ihrer ausgefuchsten Geometrie aus kurzem Radstand, steilem Lenkwinkel und dem längsten Nachlauf. Das Resultat: Hohe Agilität, grandiose Stabilität und der Sweet-Spot aus sportlicher Landstraßen- und Race-Sitzposition.
Ähnlich gut gefiel uns aber auch die Honda CBR650R mit dem breiten und hohen Lenker, der sportlichen, aber dennoch tourentauglichen Position und den zentral montierten Rasten. Dank des langen Radstands fuhr sie sprichwörtlich wie auf Schienen, ließ aber keinen Funken nötiger Agilität vermissen.
Elektronik & Ausstattung
Immerhin besitzen alle vier Bikes das gesetzlich vorgeschriebene ABS und eine - auf der Rennstrecke lebensnotwendige - Anti-Hopping-Kupplung. Bei der Traktionskontrolle sieht die Sache dann schon etwas anders aus: Aprilia verfügt über eine schräglagenabhängige, mehrstufige Traktionskontrolle, Honda und Kawasaki besitzen eine Zweistufige ohne Ride by Wire und Yamaha verzichtet gleich gänzlich darauf. Unserer Meinung nach ist das aber kein Showstopper, da man auf der Rennstrecke bei trockenen Bedingungen und einer maximalen Motorleistung von knapp über 73 PS ohnehin nicht oft in Traktionsverlust geraten sollte.
Aprilia RS660 | Yamaha R7 | Honda CBR650R | Kawasaki Ninja 650 | |
Ride by Wire | Ja | Nein | Nein | Nein |
6-Achsen-IMU | Ja | Nein | Nein | Nein |
QS/Blipper | Serienmäßig | QS optional | QS optional | Nein |
ABS | Ja, schräglagenabhängig | Ja | Ja | Ja |
Anti-Hopping | Ja | Ja | Ja | Ja |
Traktionskontrolle | Ja, Ride by Wire | Nein | Ja, HTSC On/Off ohne Ride by Wire | Ja, KTRC ohne Ride by Wire |
Display | TFT | LCD | LCD | TFT |
Ausstattung | Fahrmodi, Wheelie-Control, Full LED, Kurvenlicht, Tempomat | LED-Scheinwerfer | Full LED | Smartphone Connectivity, Full LED |
Etwas Ernüchterung machte sich dann - abgesehen vom serienmäßigen Aprilia Blipper - aber doch breit: Denn sowohl die Yamaha als auch die Honda hatten im Test keine Quickshifter verbaut, wenngleich zumindest welche im Aftermarket erhältlich sind. Hingegen bietet Kawasaki ihren Ninja 650-Kunden überhaupt keine Möglichkeit zum schnellen Hochschalten.
Das Fazit unseres Rennstreckentests
Die Aprilia RS660 hatte bei unserem Vergleich am Pannoniaring einen echten Leistungs- und Ausstattungsvorteil, doch sie ist auch deutlich teurer. Am meisten konnte ihr die Yamaha R7 mit ihrem spritzigen CP2-Motor und der radikalen Sitzposition zusetzen, wenngleich die "kleine" Honda CBR 650R ebenfalls eine echte Überraschung war. Der Name CBR verheißt nicht nur Superbike-Optik; tatsächlich liefert das Bike auch ein richtig tolles und ausgewogen sportliches Fahrerlebnis. Sie ist kompakt und zugänglich, kann aber auch echt flott auf der Rennstrecke. Der von Honda - in weiser Voraussicht - montierte Bridgestone RS11 hat den sportlichen Charakter weiter unterstrichen und sorgte für ein unerwartet sportliches Erlebnis.
Keinesfalls wollen wir jedoch die Kawasaki Ninja 650 als großen Verlierer abstempeln, denn das günstigste Bike im Test macht auf der Landstraße garantiert genau das, was es soll und ist nach seiner letzten Überarbeitung nach wie vor eine Bereicherung für diese Hubraumklasse. Lediglich Hobby-Racer sollen gewarnt sein, dass die 650er Ninja die hohen, an sie gestellten Erwartungen auf der Rennstrecke nicht erfüllen wird.
Bericht vom 03.05.2023 | 26.407 Aufrufe