42% der 2021 zugelassenen Zweiräder elektrisch!

Erfasst der globale Trend auch Europa?

Während hierzulande Elektro-Zweiräder noch eher skeptisch beäugt werden, übernehmen diese in anderen Teilen der Welt in rasantem Tempo den Markt. Wir haben uns angesehen, wieso es bei der Elektrifizierung der Zweiräder so große Unterschiede gibt.

Fragt man den durchschnittlichen Europäer oder Nordamerikaner nach Elektro-Fahrzeugen, wird wohl schnell der Name Tesla fallen. Wenig verwunderlich, schließlich ist Tesla auch Marktführer der E-Autos und gilt als Beispiel, wie sich E-Mobilität im privaten Verkehr etablieren kann. Doch betrachtet man den E-Fahrzeugmarkt global, werden Tesla und Co. schnell zu unbedeutenden Randfiguren. Denn die E-Revolution beginnt nicht bei den Luxus-Schlitten der westlichen Sphäre, sondern ist unter den Zweirädern Asiens schon längst im Gange. Und das könnte sehr bald auch große Folgen auf unsere Motorräder und Roller haben.

China & Taiwan als Treiber der Elektro-Zweiräder

Laut einer Analyse von BloombergNEF gibt es weltweit 274 Millionen elektrisch betriebene Zwei- und Dreiräder. Wenig überraschend findet man den Großteil davon in Asien, wo hohe Bevölkerungszahlen, riesige Städte, ein warmes Klima und ein mittleres BIP schon vor Jahrzehnten konventionelle Motorräder, Roller und Dreiräder zum wichtigsten Mittel des privaten Personenverkehrs gemacht haben. In den dicht gepackten Straßen Beijings, Hanois, Jakartas oder Taipehs lassen sich tägliche Fahrten auf einem Zweirad schneller und günstiger erledigen, als mit voluminösen Autos. Doch die gigantische Anzahl an Rollern, Motorrädern, Rikschas und TukTuks führte in den Metropolen des fernen Ostens auch zu miserabler Luftqualität und Schadstoffbelastung. Als Antwort auf dieses Problem verbot zum Beispiel China in den frühen 2000er Jahren den Kauf von neuen Motorrädern. Als Folge erlebten die noch erlaubten E-Zweiräder einen extremen Boom, der in Asien bis heute anhält.

42% aller weltweit verkauften Zwei- und Dreiräder waren 2021 schon elektrisch betrieben. Von den 31 Millionen verkauften E-Rollern und E-Motorrädern gingen 90% in China über die Ladentheke. Diese unfassbaren Zahlen sind nur ein Teil eines sich schon seit sechs Jahren fortsetzenden Trends, der auch keine Anzeichen macht abzuflauen. 9,5 Millionen Zulassungen von E-Zweirädern im letzten Jahr werden also nicht lange das Non-Plus-Ultra bleiben. Obwohl das geringere Einkommen der Durchschnittsbevölkerung in China und Asien sicher ein Grund für diesen Erfolg ist, sollte man es nicht nur darauf reduzieren. Den Beweis liefert ein weiteres asiatisches Land: Taiwan.

E-Zweiräder können auch in reichen Ländern boomen

Taiwans BIP pro Kopf ist mit 33.775 $ ca. dreimal so hoch wie Chinas. Hier könnten sich also auch größere Bevölkerungsteile eine vierrädriges Kfz leisten. Dennoch ergießen sich jeden Tag Millionen Zweiräder über die Straßen des Inselstaats. Einerseits liegt das am extrem dichten Bebauungsgrad und urbanen Charakter Taiwans, aber auch an technologischer Innovation und politischen Maßnahmen. Als größter Chip-Hersteller der Welt und technologisches Power-House besitzt Taiwan die Ressourcen und das Know-How, um aktiv an der Weiterentwicklung und Etablierung von E-Mobilität zu arbeiten. Zusätzlich bot die Regierung auch noch entsprechende Förderungen, die jedoch eine eher geringe Auswirkung hatten. Der Boom der E-Zweiräder in Taiwan startete 2015 erst richtig durch, als das findige Unternehmen Gogoro die Antwort auf die größte Sorge der Endkunden, die Reichweite der E-Fahrzeuge, fand.

Das Reichweiten-Problem der E-Mobilität gelöst

Wie auch hierzulande liegen in Asien die durchschnittlich gefahrenen Distanzen im niedrigen zweistelligen Bereich. Die Reichweite der Akkus selbst ist für diese Tagesstrecken also prinzipiell ausreichend. Vielmehr stehen Stadtplaner auf der ganzen Welt vor dem Problem, wie man diese Akkus wieder aufladen kann, wenn ein großer Anteil der Stadtbewohner gleichzeitig E-Fahrzeuge nutzt. In der Stadt hat nicht jeder eine Garage, geschweige denn eine Steckdose in Straßennähe. Auch die Menge an notwendigen Ladestationen macht die bei uns bekannten Ladesäulen eher ungeeignet. Doch des Rätsels Lösung scheint gefunden. Gogoro baute im laufe der letzten sieben Jahre 11.000 Stationen in ganz Taiwan, wo E-Roller-Fahrer die leeren Akkus gegen volle tauschen können. Finanziert wird das durch ein monatliches Abo. Dieses Konzept dürfte gut ankommen, denn inzwischen ist Gogoro die beliebteste E-Scooter-Marke Taiwans. Die Kompatibilität beschränkt sich aber nicht nur auf die Gogoro-Roller, sondern ist auch mit insgesamt 47 Fahrzeugen von 10 Herstellern kompatibel. Den Wert solch universeller Akkutauschstationen im urbanen Bereich haben inzwischen auch die Player der westlichen Märkte erkannt. So einigten sich Honda, KTM, Piaggio und Yamaha schon zur gemeinsamen Entwicklung eines austauschbaren Batteriesystems. Während die Technologie bei uns aber noch in der Entwicklung steckt, plant Gogoro schon die internationale Expansion seines Erfolgsmodells.

China, Indonesien, Indien und dann die Welt!

Als nächstes will Gogoro in den größten Zweiradmarkt der Welt in China einsteigen. Dafür wurde schon eine Partnerschaft mit dem größten iPhone-Zulieferer Foxconn vereinbart. Gogoros Produktionskapazitäten von Akkus steigt dadurch immens und soll als Trittstein für eine Expansion nach Indien und Indonesien dienen. Das Potenzial ist enorm. Mehr als 200 Millionen Zweiräder gibt es in Indien, in Indonesien sind es 133 Millionen. Warum sollten uns Europäer diese Vorgänge auf den asiatischen Märkten interessieren? Mit der rasanten Expansion von E-Fahrzeugen und den erfolgreichen, etablierten Playern sind die Asiaten uns bei der E-Mobilität schon etwas voraus. Sollte Gogoro auch auf den weiteren asiatischen Märkten so durchstarten wie in Taiwan, ist es auch gut möglich, dass Gogoro-Stationen in einigen Jahren bei uns aus dem Boden zu sprießen anfangen. Vor allem weil das System so gut zu den globalen Trends und Entwicklungen passt.

Die Welt wird wärmer, urbaner und zweirädriger

Die Bedrohung des Klimawandels ist inzwischen fast jedem bekannt, dennoch bleibt ein großes Umdenken in der Gesellschaft bis dato aus. Die grundlegende Veränderung jahrzehntealter Systeme und Einstellungen ist eine Mammutaufgabe, vor allem wenn sie so vielseitig und komplex ist, wie die globale Erderwärmung. Doch der Personenverkehr ist weltweit für 12% der Emissionen verantwortlich, in Industriestaaten liegt dieser Anteil noch viel höher. Es würde sich also auszahlen, hier Hand anzulegen. Bedenkt man auch noch die Wanderung der globalen Bevölkerung vom Land in die städtischen Zentren, scheint die Elektrifizierung des urbanen Verkehrs nur logisch. Schon heute leben in manchen Ländern 80 % der Einwohner in urbanen Gebieten und dieser Trend wird sich fortsetzen. Hier bieten Zweiräder ganz praktische Vorteile. Die australische Stadt Melbourne führte 2015 bis 2018 eine Studie durch und kam zu dem Ergebnis, dass wenn nur 10 % der Autofahrer auf Motorräder oder Roller umsteigen würden, sich die Anzahl der in Staus und Stoßzeiten "verlorenen Fahrzeug-Stunden" um 63 % verringern würde. Hinzu kommt der geringere Verbrauch von Zweirädern im Hinblick auf die Tatsache, dass ein Großteil der Autos im täglichen Verkehr auch nur von einer oder zwei Personen gleichzeitig genutzt werden. Und zu guter Letzt wäre ein Umstieg des urbanen Verkehrs auf E-Zweiräder auch ressourcentechnisch nachhaltiger und einfacher, denn die für E-Antriebe notwendigen seltenen Erden und Baustoffe wachsen nicht auf Bäumen und werden für 100 kg Akkus in E-Motorrädern und E-Rollern in deutlich geringeren Menge benötigt, wie für 1000 kg Batterien von E-Autos.

Laut Prognosen: E-Zweiräder in wenigen Jahren in der Mehrheit

Der Umstieg auf Elektro-Zweiräder ist mit Sicherheit kein leichter und muss noch einige Hürden überwinden. Trotzdem sind sich Prognosen einig, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Laut Bloomberg sollen im Jahr 2040 schon 80% der Zweiräder auf der Welt elektrisch betrieben werden. Zwei Drittel der Weltbevölkerung sollen in Städten leben, Hunderte Millionen sogar in sogenannten Megacities. Aufgrund der in diesem Artikel behandelten Punkte haben E-Zweiräder eine gute Chance, sich in diesen dichten Großstadtdschungeln zu etablieren. Dafür braucht es aber nicht nur einiges an Investitionen und politische Maßnahmen, auch ein Umdenken der Menschen selbst ist notwendig. Gerade in den Auto-zentrierten Gesellschaften in Nordamerika und Europa ist die große Frage, wann und unter welchen Umständen so eine Neuorientierung möglich wird. Das Klima in den nördlichen Ländern bleibt eine Herausforderung, genauso wie fehlende Infrastruktur und das derzeit hohe Preisniveau von E-Fahrzeugen. Doch gerade die Covid-Pandemie hat gezeigt, wie schnell sich eine Gesellschaft auch wandeln kann, ausgeschlossen ist also nichts. Vielleicht wird uns die in Asien losgetretene Revolution des urbanen Personenverkehrs bald auch erreichen.

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Bericht vom 27.11.2022 | 7.575 Aufrufe

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