Aprilia Tuono V4 1100 RR Test

Mit Aprilia V4-Naked auf der Rennstrecke

Der Thunfisch grollt im Himmel und der Donner liegt auf der Pizza. Nach einer Testfahrt mit der Tuono auf der Rennstrecke glaubt man das tatsächlich.

Zonko spricht ständig vom Thunfisch. Nicht, weil er ihm so gut schmeckt, sondern, weil er so gut fährt. Seit der ersten Tuono nennt er Aprilias Naked Bike liebevoll Thunfisch und ist sich ganz bewusst, dass das, was da im Himmel grollt, eben nicht jenes Meeresgetier ist. Bei idealem Wetter ließen wir es gemeinsam am Pannoniaring donnern.

Wie das mit nur einem Testexemplar der Tuono V1100 RR möglich war? Aprilia Österreich aka Ginzinger versorgte und auch mit einer RSV4 RR und so konnten wir im Tausch und Schlagabtausch die beiden V-4 Renner gegeneinander antreten lassen. Nachdem ich mit dem Superbike den Elbow-Slide geschafft hatte, weil ich hundertprozentiges Vertrauen in die Fähigkeiten des elektronisch exerzierten Cavallo Italiano hatte, war ich außerordentlich guter Dinge, auch mit der Tuono großes Glück zu erleben.

Zauberformel aPRC. Stürzen unmöglich?

aPRC heißt die Zauberformel, die scheinbar alles möglich macht, außer zu stürzen. Aprilia Performance Ride Control als Grundausstattung, mit 8-stufiger Traktionskontrolle und jeweils 3-stufigem ABS, Launch Control und Wheelie Control. Dazu ein Quick-Shifter als Schnellschussautomat, den man auf der Rennstrecke noch mehr schätzt als auf der Straße. Auf der RSV4 hat die Elektronik deutlich weniger Turbulenzen auszubügeln. Das liegt zum einen an den besseren Reifen des Superbikes, zum anderen an Chassis und Grundabstimmung der Tuono. Nicht nur wegen des Leistungsnachteils von 25 PS schwimmt man mit dem Thunfisch hinterher, die Bewegungen im Sattel verursachen je nach Fahrkönnen des Piloten kleinere und größere Ausschläge im Popometer.

Im Sattel auf einer Höhe von 825 mm, fühlte ich mich höher als am Sitz der RSV, welcher 15 mm weiter oben thront. Wie am Rücken eines Rennpferds irgendwie, dabei kann ich gar nicht reiten. Breiter Lenker, schlanke Taille und niedriges Gewicht (205 kg) sind die dreifaltige Kombination für herausragende Fahrbarkeit, bei der Tuono virtuos aufeinander eingestellt. Die Vorderradorientierung ist besser als bei anderen Nakeds dieser Klasse, dafür aber die Körperhaltung weniger entspannt.

Keine Weichspülerei.

Vorne führt eine 43 mm Upside-Down Gabel mit 120 mm Federweg die 3.50x17 Felge mit 120/70-17 Bereifung, hinten ein Mono-Federbein mit progressivem Umlenksystem und 130 mm Federweg eine 6.00x17 Felge mit 190/55-17 Bereifung (Pirelli Diablo Rosso II). Beide Fahrwerkselemente stammen in der RR-Version von Sachs, bei der Factory glänzt man mit Schwedengold von Öhlins. Die Factory kostet nur leider (noch) mehr als die RR. Keinen Aufpreis zahlt man für die schwimmend gelagerten 320 mm Scheiben mit Vierkolben Monoblock-Radialbremszangen und Radialbremspumpe von Brembo und die drei serienmäßigen Fahrmodi, mit vordefinierten Einstellungen für die elektronischen Fahrassistenzsysteme. Wie ernst es Aprilia mit der Sportlichkeit meint, lässt sich an den Benennung der einzelnen Modi erkennen: Track, Sport und Road. Kein "Rain" oder "Low" oder "3" oder sonstwas Weichgespültes. Das ist ein Performance-Naked Bike und direkter Nachkomme eines Weltmeister-Superbikes!

Die S 1000 R ist schuld.

Ich hatte mit der RSV4 RR (auch "nur" das Standardmodell) wirklich das Gefühl, nicht stürzen zu können; oder nur dann, wenn ich es vorsätzlich herausfordern würde. Die Tuono hat mit nicht ganz diese 100%ige Sicherheit gegeben, aber immer noch eine 90%ige, und einen Großteil davon haben die Reifen zu verantworten, die zwar auf der Straße hervorragend funktionieren, aber auf der Rennstrecke unter dem Druck von 175 PS und einem fortgeschrittenen Fahrer nichts mehr verloren haben. Doch abgesehen von dem unwesentlich unsichereren Gefühl, ist die Wetzerei auf der Rennstrecke mit einem Naked Bike unvergleichlich aufregender.

Es war die S 1000 R von BMW, die mich wieder auf den Geschmack gebracht hat, ein Naked Bike über Rennstreckenasphalt zu jagen. Und ehrlich gesagt, wäre ich im professionellen Einsatz im Wettlauf gegen die Zeit wahrscheinlich schneller im Ziel als mit der Tuono, aber mit der halben Portion Dopamin und Endorphin im Körper. Die S 1000 R ist alles andere als ein kühles und trockenes Gebrauchsobjekt deutsch-gründlicher Ingenieurskunst, aber nur die Italiener scheinen die amore in die motore zu bringen. Alleine das kurze Aufheulen des V4 beim Starten ist ein erster, aber nicht der letzte Höhepunkt, den man erlebt. Für mich ist die Tuono V4 1100 RR das derzeit faszinierendste Naked Bike am Markt.

Fazit: Aprilia Tuono V4 1100 RR 2015

Die Aprilia Tuono V4 1100 RR ist ein Paradebeispiel eines italienischen Vollblut-Naked Bikes mit den Genen eines waschechten Superbike-Weltmeistermotorrades. Bärenstarker V4-Motor, ebenbürtige Bremsen, transparente Front, unterstützende Elektronik, supersportliche Auslegung. Für Flanierer, Landschaftsgucker und Regenmodus-Fahrer ist die Tuono nichts. Diese Leute kaufen sich lieber einen Ferrari.


  • aufregender Motor
  • geiler Sound
  • starke, transparente Bremsen
  • volles aPRC-Paket
  • sportliche Sitzposition

Bericht vom 17.06.2015 | 18.661 Aufrufe

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