Aprilia RSV4 2015 Test

200 Pferde im Handlingwunder

Rennstreckentest mit der neuen RSV4 RF von Aprilia. Das Handlingwunder vollstreckt innen, ist schneller als je zuvor, gleichzeitig aber noch leichter zu fahren.

War das Manöver unsportlich? Rossi war vorne, doch er drängte Marquez sichtbar von der Ideallinie ab, als dieser versuchte zu kontern. Das Ergebnis vom Grand Prix von Argentinien ist bekannt - Volksfeststimmung hier vor den Fernsehschirmen in Misano unweit von Rossis Heimatstadt. Mein Manöver hier auf der Rennstrecke war ähnlich, endete zum Glück für Kollegen Maxa jedoch nicht so wie für Marquez. Seine Rundenzeiten waren gut, doch ich nutzte seine Zurückhaltung beim Überrunden für eine beherzte Attacke auf der Außenlinie. Doch meine Abwehr auf seinen Konter saß und er musste von der Ideallinie weichen. Triumphierend fuhr ich die RSV4 zurück in die Box und blickte auf unpackbar leiwande Turns mit der Aprilia zurück und erfreute mich am großen Finale der Neuheiten 2015.

2015 - Die Saison der Sensationen

Eine derartige Flut an richtig schnellen Sportmotorrädern hat es noch nie gegeben. BMW S 1000 RR, Ducati Panigale S, Yamaha R1 und Kawasaki Ninja H2 - in chronologischer Reihenfolge ihrer Präsentationen - hatten wir bei 1000PS schon hinter uns. Die RSV4 war nun Mitte April hier in Misano an der Reihe. Ist sie der krönende Abschluß?

Aprilia RSV4 2015 - Die Änderungen

Die RSV4 genoß schon bisher den Ruf als Handlingrakete. Der kompakte V4 Motor hat seine drehenden Massen sehr nahe am Schwerpunkt des Fahrzeuges. Dadurch war sie auf engen Rennstrecken den anderen 1000ern immer überlegen. Durchgereicht wurde sie in der Vergangenheit auf den langen Geraden oder auch dann wenn kein Könner im Sattel saß. Denn die RSV4 war für Rookies nicht ganz so einfach zu fahren wie eine BMW oder auch die Japaner. Die Aprilia Crew hat die Entwicklungszeit gut genutzt. Man spürt, dass in der SBK-WM Unmengen an Daten gesammelt wurde. Personell wurden offenbar die richtigen Entscheidungen getroffen und die SBK-Truppe hat die Serien-Entwickler großartig unterstützt. Am Stammtisch und auf der Zielgeraden machen sich die 201 PS vom V4 Motor gut. In der 1000PS Bildergalerie haben wir alle Änderungen und Details zum Durchclicken bereit. Für die guten Rundzeiten sind jedoch wesentlich unspektakulärere Maßnahmen verantwortlich. Die kleinen aber feinen Änderungen an der Chassis-Geometrie auf der einen Seite und die richtig gut gelungenen Ride-by-Wire Mappings. Abhängig von Drehzahl und eingelegtem Gang liegt nun immer das passende Motorbremsmoment an. Vor allem für weniger routinierte Piloten frisst der Motor in den Rollphasen nun deutlich weniger Speed. In der Bremszone bleibt die Aprilia nun stabiler und man kann sich voll und ganz dem Einlenkvorgang widmen.

Die Siegerin am Kurveneingang

Eines ist mal fix! Am Kurveneingang siegt die Aprilia. Nach Testfahrten mit sämtlichen 2015er Modellen ist klar, dass sie hier unschlagbar ist. In den ersten Kurven muss man tatsächlich aufpassen, nicht über die Innencurbs hinein in den Rasen zu rattern, so agil und mit scheinbar unendlichem Grip am Vorderrad ausgestattet kippt sie in den Radius. Das Vertrauen und das Gefühl für das Vorderrad sind großartig und man ist unglaublich schnell mit der Kurve fertig. Die Aprilia steht also früher als die Gegner für die nächste Gerade bereit und punktet somit dann auch am Kurvenausgang.

Mit den montierten Pirelli SC2 Pneus wirkte die Aprilia handlich, teilweise in den schnellen Passagen schon ein wenig nervös aber immer noch auf der sicheren Seite. In der Bremszone ist sie deutlich stabiler als früher. Doch die Stabilität könnte der kritische Punkt bei diesem Motorrad sein. Experimente am Fahrwerk oder mit Slicks mit schärferer Karkasse müssen mit Bedacht umgesetzt werden. Auf Rennstrecken mit gutem Belag wirkt sie unschlagbar, auf Buckelpisten muss sie sich gegen die Gegner mit dem elektornischen Fahrwerk noch beweisen.

Das APRC Paket der Aprilia im Detail

AWC, ATC, AQS und ALC sind im aPRC Paket zusammengefasst. aPRC = aprilia Performance Ride Control

AWC = Aprilia Wheelie Control - Einstellbar in 3 Stufen.

ATC = Aprilia Traction Control - Einstellbar in 8 Stufen, sehr praxistauglich auch während der Fahrt mit Daumen und Zeigerfinger am linken Lenkerende.

AQS = Aprilia Quick Shift - Hilft beim Hochschlaten

ALC = Aprilia Launch Control - Ermöglicht schnelle Starts

Zusätzlich dazu bietet die Aprilia natürlich auch noch das Race ABS und das aPRC interagiert mit der neuen MP V4 Smartphone App. Beim harten Journalistenduell kam bereits das volle Technikpaket zum Einsatz. Die neue App von Aprilia ist ein neuer und erstaunlicher Ansatz, die Funktionen des Motorrades zu erweitern. Wir hatten auf den Testbikes iPhones bzw. Android Smartphones montiert. Hier starteten wir die MP V4 App und wählten aus den vorinstallierten Rennstrecken Misano aus. Die App kommunizerte nun mit dem Motorrad und eröffnete komplett neue Möglichkeiten. Ausgehend vom gewählten Basiswert für die Traktionskontrolle wurde nun je nach Sektion ein Korrekturparameter von der App zur Aprilia Traktionskontrolle geschickt. Der GPS Sensor vom Handy bekam dabei zusätzlich Infos von der Fahrzeug ECU um auch wirklich präzise arbeiten zu können. In den gripreichen Kurven wurde die Traktionskontrolle zurückgedreht in den Kurven mit Highsidergefahr sendete die App Runde für Runde immer 2 Stufen mehr an Sicherheit an die Steuereinheit. Klar funktioniert die manuelle Feinjustage am linken Lenkerende auch richtig gut, doch die helfende Hand vom Mobiltelefon nehmen wir gerne an.

Gnadenlos - Datarecording am Handy

Soweit die guten Nachrichten. Maulhelden werden jedoch erschüttert sein, dass die neue App auch schonungslos die Wahrheit ans Tageslicht bringt. Aprilia Österreich Verkäufer Peter Fischer prüfte pflichtbewusst nach jedem Turn die Werte am Display von den beiden Redakteuren aus Österreich. Mir war klar, dass er hier auf eine ordentliche Havarie für einen günstigen Ringumbau hoffte. Sein Bus stand im Fahrerlager bereit. Rundenzeiten aber auch g-Werte, Schräglagen und Gasgriffstellung können aus dem Datarecording Tool ausgelesen werden und bieten viel Stoff für scharfe Sprüche im Fahrerlager.

Doch er hat die Rechnung ohne der grandiose Traktionscontrolle und dem gut ausbalancierten Chassis gemacht. Stürzen wird mit modernen Supersportlern ja fast schon unmöglich. Bei meinem letzten Aprilia Test hier in Misano warfen an einem Tag gleich 7 Journalisten die RSV in den Kies, diesmal gab es keinen einzigen Ausfall zu verzeichnen.

Eine Seltenheit - Produkt besser als Marketing und PR

Wir konnten aus kaum glauben, dass über die RSV4 so wenig gesprochen wird und man sie auch selten im Fahrerlager sieht. Bei dem Modelljahr 2015 haben die Produktentwickler und Ingenieure alles richtig gemacht, die Chancen stehen gut dass sich das ändert. Sie ist kein Einheitsbrei und hat mit dem V4 Motor ein echtes Alleinstellungsmerkmal welches Vorteile beim Handling und einen grandiosen Sound bietet. Sie sieht geil aus, gefällt wirklich jedem ist aber trotzdem kein langweiliges Mainstream-Bike. Eigentlich dürfte die kleine Aprilia Truppe keine Chance gegen die übermächtigen Gegner aus Japan aber auch München und Bologna haben. Doch die Ingenieure haben extrem viel Erfahrung mit Rennsport-Motorrädern und können tatsächlich mithalten. Doch der Rest des Unternehmens hinkt den grandiosen Ingenieuren hinterher. Das Motorrad kommt für 2015 leider etwas zu spät , denn viele Kaufentscheidungen wurden bereits getroffen. Die Marketing und die PR-Abteilung hat es verabsäumt, das Interesse der Fahrer im Winter laufend mit Appetitanregern zu füttern. Importeure und Händler wurden ebenso spärlich informiert wie interessierte Fans. Aprilia dürfte die einzige Firma im Motorrad-Business sein, wo die Produkte dem zentralen Marketing samt PR haushoch überlegen sind. Ein schwacher Trost: Besser als umgekehrt! Für den Kunden der sich am Ende eine kauft, ist das eine ebenso große Überraschung wie für uns - WOW! Die ist ja richtig geil, warum hat mir das bisher niemand gesagt?

Stark genug für alle Gegner

Der große Vergleichstest mit allen Superbike steht noch an (Hier zum Newsletter anmelden und nix verpassen). Doch trotzdem wage ich die Prognose, dass der Aprilia auf die BMW in der Praxis 10-15 PS an Spitzenleistung am Hinterrad fehlen. R1 und Panigale sind in der Praxis ebenfalls schwächer als die BMW und liegen irgendwo dazwischen. Aber das Niveau der starken Superbikes ist im Jahr 2015 so hoch, dass nun selten die schiere Spitzenleistung über Sieg oder Niederlage entscheiden wird. Die Aprilia wird nicht die stärkste sein aber sie ist schnell genug um den Vorteil am Kurveneingang sicher ins Ziel zu retten. Sie punktet also genau dort wo sie schon immer stark war, hat aber ihre Schwächen deutlich reduziert. Dabei wirkt sie optisch immer noch radikal, geil und scharf ist aber nun auch für weniger routinierte Piloten richtig schnell zu bewegen.

Fazit: Aprilia RSV4 RR 2015

Die Aprilia wurde für das Modelljahr 2015 perfektioniert. Sie ist einfacher zu fahren, gleichzeitig aber deutlich stärker und schneller. Sie punktet vor allem am Kurveneingang mit tollem Feedback vom Vorderrad, einem grandiosen Handling und viel Grip. Der V4 verzaubert mit ergreifendem Sound und butterweichem Ansprechverhalten.


  • immer noch grandiose Optik die jedem gefällt aber niemals Mainstream ist
  • kompakter V4 Motor in eine ausgefeiltem Chassis = tolles Handling
  • tolle Motorabstimmung samt gut gelungener Regelung für die Motorbremse
  • tolle Traktionskontrolle mit praxistauglicher Feinjustage am linken Lenkerende
  • Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten "am Limit" - Vorsicht bei Änderungen am Fahrwerk oder den Reifen

Fazit: Aprilia RSV4 RF 2015

Die Aprilia wurde für das Modelljahr 2015 perfektioniert. Sie ist einfacher zu fahren, gleichzeitig aber deutlich stärker und schneller. Sie punktet vor allem am Kurveneingang mit tollem Feedback vom Vorderrad, einem grandiosen Handling und viel Grip. Der V4 verzaubert mit ergreifendem Sound und butterweichem Ansprechverhalten.


  • immer noch grandiose Optik die jedem gefällt aber niemals Mainstream ist
  • kompakter V4 Motor in eine ausgefeiltem Chassis = tolles Handling
  • tolle Motorabstimmung samt gut gelungener Regelung für die Motorbremse
  • tolle Traktionskontrolle mit praxistauglicher Feinjustage am linken Lenkerende
  • Topmodell RF aber auch Racepack zwar ausgestattet mit Öhlins aber NICHT mit dem feinen TTX Ware
  • Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten "am Limit" - Vorsicht bei Änderungen am Fahrwerk oder den Reifen.

Bericht vom 21.04.2015 | 36.135 Aufrufe

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