Kawasaki Ninja H2 Test

Der schnellste Tag im Leben eines Mannes

Erster Test mit der straßenzugelassenen Kawasaki Ninja H2. 200PS, 133 Nm, 300km/h! Auch für die Landstraße!

4 Männer, 4 Motorräder flankiert von den besten Kawasaki Technikern stehen für den ersten Turn bereit. Nie war ein Motorrad-Test exklusiver. Bloß vier edle H2s gleichzeitig auf der auf den ersten Blick unendlich groß wirkenden Strecke in Katar. Als einer der ganz wenigen Journalisten aus dem deutschen Sprachraum und als einziger Österreicher habe ich die Ehre, bei diesem Wendepunkt in der Motorradgeschichte dabei zu sein.

In welche Schublade passt die Ninja H2?

Die Vorbereitungen und die Präsentation vorhin bereitete uns vor, die Übergabe des Fahrzeuges war jetzt jedoch kurz und schmerzlos. Raus mit Dir! Als pragmatischer Typ der gerne alles in Schubladen einordnet, wusste ich nicht so recht wie ich die H2 denn nun rannehmen sollte. Ich fühlte mich noch nicht perfekt integriert, sie wirkte jedoch stabiler, satter, souveräner als andere Sportmotorräder. Bei der ersten Kurve stellte mich nicht das Fahrwerk und der Chassischarakter der Maschine auf die Probe, sondern das herausfordernde Ansprechverhalten beim Anlegen vom Gas - also beim Übergang vom Schiebebetrieb in die Beschleunigungsphase. Sie war ein besonderes Motorrad, anders als alles was ich bisher gefahren bin und ich muss meinen Weg finden sie zu bändigen.

Die 200PS kommen aus der Portokasse

Erster Genuss stellte sich ein, als die Radien hier in den folgenden Kurven etwas länger wurden. Denn nach der kleinen Schwäche beim Ansprechverhalten folgt eine butterweiche aber gleichzeitig präzise Steuerung des für mich faszinierndsten Aggregates in der Motorradgeschichte. Anders als bei normalen Sportmotorrädern, wirkt diese unglaubliche Kraft nicht hektisch aus den Zylindern gekitztelt. Man spürt, dass diese Maschine wenn sie möchte, 100 weitere PS aus den Ärmeln schütteln kann. Die 200 PS sowie die 133 Nm werden quasi aus der Portokasse bezahlt. Diese Souveränität vom Motor passt nun in den langen Radien perfekt zum Chassis. Die Maschine wirkt stabil und schafft Vertrauen. Man traut sich ans Gas zu gehen und das Einzige was die Freude im Sattel trübt, ist das Mitleid für die Hinterreifen. Wir lassen hier in der 4. Gang Kurve die volle Ladung Turbinenpower auf den Hinterpneu - ein Wunder, dass dieser noch nicht in Fetzen davon fliegt.

Die wirklich ärgsten Moment im Sattel erlebt man dann genau in diesen langen und schnellen Kurven. Was hier bei 9000-13000 Touren abgeht, ist einfach infernalisch. Die Spitzenleistung von 200PS klingt heutzutage ja gar nicht mehr so spektakulär. Doch der Weg des Drehzahlmessers hinauf bis dorthin wo die Spitzenleistung anliegt, macht den dramatischen Unterschied aus. Im Display leuchten in dieser Lebenslage auch sämtliche Booster Symbole auf. Die Turbine presst nun also mit maximaler Power in die Brennräume. Übertroffen werden die Erlebnisse in den Volle Granate Kurven nur noch dann, wenn ein Kollege vor Dir fährt. Wenn er sehen könnte, was ich sehe - sein Gasgriff würde blitzartig geschlossen werden. Die Kawa ist ständig leicht quer. Die scharzen Bananen im Asphalt weißen eine spektakuläre Intensität auf. Einfach irre.

Harte Fakten auf der Stoppuhr

Doch mit den harten Fakten auf der Stoppuhr war ich noch nich zufrieden. Ich war hier schon oft in Katar und bin hier auch schon WM-Superbikes gefahren. Mir ist klar, dass die H2 kein Superbike ist, doch Sporttourer ist sie auch keiner. Da ist es wieder - mein Problem mit den Schubladen. Also gut gelingt auf alle Fälle mal das lockere dahingleiten. Ich kann mir tatsächlich gut vorstellen, die H2 auch durch geschwungene Landstraßen zu piloteren. Ich denke auch, dass wir demnächst spektakuläre Nachrichten in der Tagespresse mit Berichten über Raumschiffe auf deutschen Autobahnen lesen werden. Durch den außergewöhnlichen Sattel kannst Du viel weiter als sonst nach hinten rutschen und dich richtig intensiv ins Motorrad integrieren. Dadurch bekommt die Einheit Mensch-Maschine eine perfekte Aerodynamik und ist pfeilschnell. Doch die Kawasaki kann mehr, beim nächsten Turn werde ich es schaffen ihr volles Potential zu entlocken.

Das 11. Gebot - Du sollst nicht durch die Ecke rollen

Vor dem zweiten Turn sprach ich kurz mit dem Techniker meiner Maschine. Die Einstellung für die Motorbremswirkung stellten wir gemeinsam auf leichte Bremswirkung. Man könnte sie auch ganz deaktivieren, doch dafür war ich noch nicht bereit. Ich berichtete ihm von meinen Schwierigkeiten beim Anlegen vom Gas in der Kurve. Seine Antwort war einfach: Du brauchst mehr Speed! Das klang logisch - Du sollst nicht um die Ecken rollen ist ja quasi das 11. Gebot, welches uns Moses von seinem großen Meeting mitbrachte.

Beim nächsten Turn behandelte ich die Kawasaki Ninja H2 also wie ein echtes Supersport Motorrad. Gebremst wurde härter und eingelenkt wurde nicht mehr so zögerlich. Plötzlich fand die Ninja H2 viel leichter ihre Linie. Sie braucht Druck, ganz so wie ein Rennmotorrad. Sie ist zwar einen Tick behäbiger als die echten Superbikes, möchte aber trotzdem so behandelt werden. Rollen in der Kurve geht gar nicht. Also im Idealfall legt man schon am Ende des Bremsvorganges wieder ein wenig Gas an und bleibt immer auf Zug. Plötzlich wird aus dem Gestochere eine elegante, souveräne und unglaublich schnelle Fahrt über den heißen Asphalt vom Losail International Circuit.

Höchstgeschwindigkeit Kawasaki Ninja H2

Das auf Stabilität getrimmte Layout der Ninja spürt man natürlich in den Wechselkurven. Doch Kawasaki konnte das einigermaßen gut ausbügeln. Der Lenker der Ninja H2 ist breiter als z.B. auf einer ZX-10R und so kann man mit etwas Körpereinsatz die Maschine trotz des höheren Gewichtes flink um den Kurs prügeln. Klarerweise ist das Highlight aber immer wieder die doch recht lange Zielgerade hier in Katar. Die letzte Kurve wird besonders konzentriert angesteuert und danach platziert man sich tief unten ins Motorrad. Vierter, fünfter, sechster Gang - Die Ziffern am Tacho sind schwer auszumachen. Das Display ist gut abzulesen, doch dem Auge geht da einfach alles zu schnell. Ab 260 ist man in der Lage halbwegs zu erfassen was da im Display gerade vor sich geht. Je nachdem wie gut die letzte Kurve erwischt wurde, erreicht man die 300 eben knapp doch oder knapp nicht. Ob im Display nun 299 oder 300 angezeigt werden weiß ich jedoch nicht. Bei diesem Tempo legt man pro Sekunde 83 Meter zurück. Zum Vergleich: Ein Fußbaldfeld ist zwischen 90 und 120 Meter lang. Jede Sekunde fährt man quasi beinahe von Tor zu Tor. Ich bitte also um Nachsicht, dass ich mich in der heiklen Phase am Ende der Zielgeraden ganz auf den Bremspunkt konzentrierte.

Die Bremse kann mithalten

Danach darf und soll man aber keine Gnade haben mit der Ninja H2. Die Kawasaki Ingenieure haben ihr zum Glück bei den Bremsen eine ebenso kraftvolle Ware installiert wie beim Antrieb. Die riesigen 330mm Scheiben werden nun richtig kräftig rangenommen und durch den etwas längeren Radstand und die weiter nach hinten orientierte Sitzposition ist auch die Intensität der Verzögerung ein unglaubliches Erlebnis.

Man muss 300PS gefahren sein, um 200PS genießen zu können

Am Ende meiner Testturns mit der H2 war ich zwar begeistert und beeindruckt, aber nicht wirklich zufrieden. Ich habe ihr Potential nicht ausgeschöpft, hab nicht immer die Linie erwischt und war einige Sekunden langsamer als mit der ZX-10R vor einigen Jahren. Doch dann passierte etwas erstaunliches. Am Nachmittag fuhren wir die Ninja H2 R (Testbericht Ninja H2 R) und danach durften wir noch einmal die Ninja H2 fahren. Das war dann quasi unser Verwöhnungssex. Die 300PS hatten meinen Horizont erweitert und mir die Furcht vor der H2 genommen. Plöztlich war ich in der Lage sie flüssig zu fahren, am Kurveneingang passte der Strich und die Gasannahme war plötzlich viel besser. Wie das? Ohne Angst im Sattel, wurden die Rollphasen deutlich verkürzt und ich fuhr die H2 wie eine echte Rennmaschine: Hart an der Bremse, hart beim Einlenken und so gut wie nie mit komplett geschlossenem Gasgriff. H2 Besitzer müssen sich zum Trainieren nun aber keine H2 R in die Garage stellen. Zumindest nicht zwangsläufig. Die H2 ist ein besonderes Motorrad und man braucht auch als erfahrener Pilot doch etwas Zeit sie wirklich auskosten zu können. Bei Probefahrt-Events wie zum Beispiel bei unseren 1000PS Bridgestone Grippartys, wo man eine Ninja H2 testen kann, muss man diesen Fakt im Hinterkopf behalten.

Preis Kawasaki Ninja H2

Als wir damals die ersten Infos zur Ninja H2 online stellen, sorgte das für noch nie da gewesene Click-Rekorde. 700.000 Clicks auf die Fotos der Ninja H2 innerhalb von 2 Tagen ließen unsere Server beinahe verglühen. Doch viele Leser erwarteten ein anderes Motorrad. Man erwartete scheinbar eine dominante und vernichtende Alternative zu BMW S 1000 RR, Panigale und R1. Doch schnell wurde klar, dass die Ninja H2 nicht in die Schublade der Supersportler passt. Man könnte sie Ansatzweise mit einer Hayabusa vergleichen, aber mit deutlich exklusiverem Anspruch und Technik auf einem anderen Niveau. Also ein Motorrad, dass dazu gebaut wurde, um Beschleunigung und Geschwindigkeit intensiver zu erleben als mit jedem anderem Fahrzeug auf diesem Planeten.

Für mich tritt die Ninja H2 nicht nur gegen andere Motorräder an. Der stolze Preis (Hier der Preis für Österreich inkl. Nova, hier der Preis für Deutschland) schränkt ihre Zielgruppe auf jene Menschen ein, welche sich auch schnelle Boote oder Autos leisten könnten. Doch sie werden keine Alternative zur Ninja H2 finden. Autohersteller würden es sich nicht trauen, so etwas an mehr oder weniger normale Menschen zu verkaufen. Auch bei anderen Motorradherstellern fällt mir niemand ein, der sich ein solches Image-Produkt in den Schauraum stellen möchte oder dazu technisch in der Lage ist. Ich verspüre als Motorrad-Enthusiast jedenfalls Dankbarkeit. Endlich wieder werden Kinder beim Quartett-Spielen, und Maulhelden am Stammtisch nicht mehr von Veyron und Co schwärmen. Der Supertrumpf wird die Ninja H2 sein. Das härteste und verrückteste Fahrzeug der Welt ist endlich wieder ein Motorrad. Nur eine ganz kleine Gruppe von Menschen wird Beschleunigung noch intensier erleben dürfen. Kampfjet-Piloten, welche sich auf Flugzeugträgern von Dampfkatapulten in den Himmel schießen lassen. Doch das wird das Ego stolzer H2 Besicher leicht verkraften können.

Zugabe: Hier geht es weiter zum Test der Ninja H2 R

Fazit: Kawasaki Ninja H2 2015

Die Ninja H2 stellt einen Meilenstein in der Motorradgeschichte dar. Sie ist nicht nur vollgepackt mit elektronischen Erneuerungen, sondern bietet auch in Sachen Motorenbau und Mechanik vollkommen neue Technologien. Dieses High-Tech Forschungsobjekt eines japanischen Technologiekonzerns ist tatsächlich käuflich zu erwerben und auch zu fahren. Grundsätzlich fährt sie wie ein normales Motorrad, nur eben mit deutlich mehr Power. Zu Beginn ist das Ansprechverhalten vom Motor eine Herausforderung, doch Speedfreaks werden einen Weg finden dieses faszinierende Motorrad zu fahren und zu genießen.


  • überragende Verarbeitungsqualität
  • faszinierender Motor mit mechanischem Turbolader
  • Durchzug, Beschleunigung und Speed auf einem vollkommen neuen Niveau
  • schmaler Sitz sorgt für sicheren Stand - auch für kleinere Piloten
  • tolle Stabilität
  • Motorrad schafft trotz hoher Performance viel Vertrauen
  • starke Bremsen
  • hochwertige Details
  • Ansprechverhalten beim Übergang vom Schiebebetrieb in die Beschleunigungsphase nicht auf dem Niveau "normaler" Motorräder
  • Untersteuern bei schnellen Kurven
  • Ab Körpergröße 185 cm könnte es schwierig sein, die Füße in das aerodynamische Gesamtkonzept zu integrieren - Probesitzen!

Bericht vom 06.03.2015 | 50.461 Aufrufe

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