Yamaha YZF R1M Testbericht

Eigentlich ein Schnäppchen?

Zugabe! Die R1 2015 mit elektronischem Öhlins Fahrwerk sowie leckeren Details. Test in Australien.

Zugegeben der Zugang zur R1M war etwas pragmatisch. Denn auf den ersten Blick wirkte sie unverschämt teuer und ein wenig unrealistisch. Also zerlegte ich die Upgardes an der Yamaha R1M in ihre Einzelteile und holte den Rechenstift. Denn die Fahrt mit der normalen R1 euphorisierte und aphrodisierte mich zu 100% - warum sollte ich da noch ein paar Tausender extra bezahlen?

Den anwesenden Öhlins Techniker stand sofort mit offenen Antworten zur Seite. Die verwendete Hardware in der R1M entspricht einer FGR-T Gabel vorne und einem TTX Federbein hinten. Jedoch nicht die aktuellste Evolutionsstufe sondern dem Stand vor 3 Jahren. Damals wurde begonnen die elektronsichen Komponenten zu integrieren, doch nüchtern betrachtet ist schon alleine die Öhlins Hardware rund 4.000 Euro schwer. Der ganze Rest ist dann sozusagen noch Draufgabe bei der R1M.

  • Elektronisches Öhlins Fahrwerk
  • Carbon Verkleidung
  • CCU Communication Control Unit - Steuerung der R1 Bord-Software über Android Tablet und Auslesen der Datarecording Informationen
  • Polierter Aluminium Tank
  • R1M Rider Training

Schön und gut! Die Fakten klingen fürstlich, mal sehen wie die Edelfuhre auf der Strecke aufzeigt. Die Yamaha Crew streifte ihr feine Bridgestone V-02 Slicks über und schickte uns auf der Rennmaschine auf die Strecke. Leider machte sich auf den ersten Runden keine Begeisterung im Sattel breit. Die Maschine wirkte träger, lenkte nicht willig ein und am Ende der langen Links war ich ganz normal 10 km/h langsamer am Kurvenausgang als mit der Serienmaschine mit Standardpneus. Das Maß an Nervosität war kaum zu beschreiben. Ich flieg hier ans andere Ende der Welt, erwartete seit Monaten die paar Runden mit einem DER Traumgeräte der Motorradgeschichte und versage so jämmerlich im Sattel. Es war an der Zeit das Gehirn in den Ruhemodus zu schalten als ich am Ende der Zielgeraden ankam. Einfach voll umlegen, kurz inne halten und danach voll Andrücken war nun angesagt. Irre! Sie wirkte brutal, beängstigend aber sie warf mich nicht ab und ich donnerte mit 225 km/h (20 km/h mehr als in der vorigen Runde und 10 km/h mehr als mit der normalen R1) aus de ersten Ecke. Die Euphorie machte mich geil und ließ mich wild am Gasgriff melken. Plötzlich wurde der bockige und träge Krapfen zu einer wildgewordenen Kampfmaschine.

Nichts für Hochstapler

Vor dem nächsten Turn mit der R1M führte ich weitere Gespräche mit den Technikern. Mir wurde nun klar, was vorhin schief gelaufen ist. Ich pilotierte die R1M im sportlichst möglichen Setup. Alle Parameter im Display waren auf Vollgas justiert. Das elektronische Fahrwerk von Öhlins war im A1 Modus und somit eigentlich perfekt für Slicks und optimale Bedingungen. Doch wie bei Rennmaschinen mit hochwertigem Fahrwerk braucht auch dieses Setup hier reichlich Druck um zu funktionieren. Am Kurveneingang muss die Gabel mit brutaler Gewalt und hartem Bremsdruck in die Federn gedrückt werden. Nur so geht die R1 vorne tief rein um die nötige Geometrie zu erreichen um willig in die Ecke zu lenken. Auch in den Kurven war das brettharte Setup nix zum gemütlichen dahin rollen. Der Öhlins-Techniker spricht Klartext: Wir haben hier 3 automatische Setups hinterlegt. Nicht ganz so schnelle Piloten tun sich mit dem A1 Modus keinen Gefallen, sondern sind damit langsamer als wenn sie das etwas mildere A2 Setup wählen. Den A3 Modus wählt man dann bei Regen oder auch bei der Fahrt mit Straßenreifen.

40 x Fahrwerk umstellen - pro Runde

Bei einer normalen Runde stellt die SCU (Suspension Control Unit) 40 mal das Fahrwerk neu ein. Dabei bedient sich die SCU dem Input sämtlicher Sensoren an der Yamaha und justiert dementsprechend die Parameter am Fahrwerk. Anders als bei dem System mit welchem Öhlins 2008 mit Haga in der WM für Furore sorgte, sind hier keine GPS Daten im Spiel. Es ist auch nicht möglich, mit dem Laptop in der Box einzelne Anpassungen für spezielle Kurven vorzunehmen. Andere Systeme am Markt, zum Beispiel das von BMW in der S1000RR, erlauben dies. Der Öhlins Techniker spricht selbstbewusst: Es ist nicht so, dass wir das nicht können. Wir denken nur, es ist nicht der richtige Weg. Unser System braucht eben keine Anpassungen durch den Fahrer mittels Laptop sondern schafft es nur aufgrund der aktuellen Messwerte ein tolles Setup hinzulegen.

Damit wird diese Lösung für eine sehr breite Basis an Kunden grandios funktionieren. Angesichts der hochwertigen Hardware-Komponenten auch in nationalen Meisterschaften. Darüber hinaus, werden Rennteams aber dann nicht auf die Yamaha Elektronik oder auch nicht auf die YEC Parts (das hauseigene Tuningprogramm von Yamaha) zurückgreifen sondern auf andere Lösungen ausweichen.

Elektronisches Fahrwerk auch für Silberrücken

Die Ohlins Electronic Racing Suspension in der R1 muss aber auch von den Silberrücken im Fahrerlager nicht verschmäht werden. Auch dann wenn man Elektronik hasst und sein Fahrwerk mit Clicks und Umdrehungen fest im Griff hat, kann man bei Gefallen zur R1M greifen. Denn wählt man einen M (manuell) Modus dann verhält sich das Fahrwerk wie ein klassisches Fahrwerk mit hochwertiger Öhlins Gabel samt TTX Federbein. Nur dass man die herrlich goldenen Teile nicht mit den Schraubendreher zerkratzen muss, sondern die Clicks am Display oder am Tablet justiert. Kein Verzählen, kein Bücken und kein kramen in der Werkzeugkiste. Während der Fahrt bleibt das Fahrwerk dann stur und nimmt keine Änderungen vor. Erfahrene Piloten können sich so je nach Strecke für ihr eigenes Setup oder für das variable Setup vom Computer entscheiden.

Somit kann man hier auch schon eine klare Entscheidungshilfe beim Kauf abgeben. Jene R1 Interessenten welche vor haben nach dem Kauf ohnehin in ein teures Racingfahrwerk zu investieren, können egal ob Elektrofreak oder nicht, gleich zur R1M greifen. Die ganze Bastelei am Fahrwerk, alle Tests, der ganze frustriernde Mist bei den ersten 2-3 Rennen bleibt damit erspart. Diese Arbeit haben die Yamaha Techniker gemeinsam mit Öhlins in Großserien-Perfektion erledigt. Die R1M ist zwar schon zu 90% ausverkauft, aber ein paar Stücke sind NOCH verfügbar. Jene Piloten die mit der Güte vom Standardfahrwerk auskommen, brauchen die R1M pragmatisch betrachtet nicht. Denn das weitere zusätzliche Feature, die Yamaha Communication Control Unit (CCU), kann man auch als Zubehörteil in der normalen R1 nachrüsten.

Yamaha CCU

Die Yamaha CCU bietet grundsätzlich zwei Funktionalitäten. Zum einen ist es eine von Yamaha entwickelte Data Recording Einheit mit der man GPS gestützt Daten wie Rundenzeit, Geschwindigkeit, Gasgriffposition und Schräglage am Android Tablet analysieren kann. Auf der anderen Seite macht sie das Tablet quasi zur Fernsteuerung für die Yamaha Elektronik mit der man sämtliche Einstellungen am Motorrad komfortabler am Tablet erledigen kann. Der polierte Tank an der Yamaha R1M ist dann natürlich was fürs Auge. Die Carbonverkleidung ist optisch ein Kracher, ermöglicht aber ausgefuchsten Reglement-Perfektionisten die Verwendung von Carbon-Verkleidungen bei strengen Rennserien - da ja auch die Serienverkleidung aus Carbon ist.

Überlegenheit durch Einsatz von Moneten

Insgesamt hat es sich Yamaha bei der R1M leicht gemacht. Die R1M ist eine R1 mit hochwertigen und teuren Fahrwerkskomponenten. Basta! Keine halben Sachen. On top kommen dann noch optische Leckerbissen. Eine R1M ist somit anderen Supersport Motorrädern mit herkömmlichen Serienfahrwerken, selbst wenn diese elektronisch einstellbar sind, überlegen. Auch Ducati wählte bei der Panigale 1299 S diesen Weg und hat mit dem ordinären Einsatz von Moneten für technischen Vorsprung gesorgt. Eine S1000RR von BMW zum Beispiel bietet nicht diese Fahrwerksgüte wie eine R1M und müsste hardwaretechnisch aufgerüstet werden um auf dieses Niveau zu kommen. Der unschamhafte Einsatz von Moneten ist zwar nicht besonders sympathisch aber leider ausgesprochen wirkungsvoll. Trotzdem muss ich auf jeden Fall beruhigende Worte an alle Käufer einer normalen R1 richten. Sie wirkt neben der R1M keinesfalls minderwertig oder verliert an Reiz. Auch nach einer Testfahrt mit der R1M strahlte sie immer noch die gleiche Begehrlichkeit an mich aus wie vorher.

Fazit: Yamaha R1M 2015

Die Yamaha R1M ist ein hochpreisiges Motorrad. Doch den Aufpreis bezahlt man nicht für wertlosen Schnick-Schnack sondern für ein hochwertiges Racingfahrwerk sowie weiteren leckeren Details. Die R1M ist eine gute Wahl für jene Piloten die ihre Motorräder ohnehin immer mit einem Tuning-Fahrwerk aufrüsten. In der Praxis fährt die R1M grandios und das ERS System von Öhlins wirkt ihr auf den Leib geschneidert.


  • hochwertige Hardware Komponenten beim Fahrwerk
  • einfach zu bedienendes elektronisches Hightech Fahrwerk von Öhlins
  • fertige Rennmaschine aber trotzdem noch Straßenzulassung
  • sehr begrenzte Stückzahl verfügbar
  • Quickshifter unterstützt nur beim Raufschalten

Bericht vom 25.02.2015 | 25.771 Aufrufe

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