BMW R 1200 R 2011

Wie man im Maßanzug die Fäuste fliegen lassen kann? Nur mit einem Boxer.

 

 

BMW R 1200 R

Im Zuge des S 1000 RR Events in Spanien konnten wir eine Runde mit der neuen R 1200 R drehen. Ein Motorrad als Geschenk für den Boxer.

 
Es ist selbst für einen hochprofessionellen Vollprofi (wie mich) nicht leicht, nach der Fahrt mit einem Superbike, das alle Skalen sprengt und sämtliche, empirisch erfassten Maximalmesswerte zu Durchschnittsleistungen degradiert, an sämtlichen, schwer beschädigten Sinnesorganen im Körper einen Nullabgleich durchzuführen. Nach 200 PS fühlt man nichts mehr. Die Welt hat Farbe und Glanz verloren, alles erscheint in Schwarz-Weiss, in den Ohren nur ein lautes Piiiiiiiiep! Schon wieder die Ohropax vergessen. In einer Sucht zeigt sich die Tendenz, die Dosis stetig zu steigern. Und ich musste jetzt auf Entzug, dachte ich.

Nach 200 PS fühlt man nichts mehr.


Nach Highspeed-Horror und Schräglagen-Scharmützel sollten es also 110 PS und 119 Nm in Aktenkofferoptik zum Ausgleich sein. Nun denn: Was du heute nicht kannst auf morgen verschieben, das bringe schnell hinter dich. Man könnte die R 1200 R als Allerweltsmotorrad oder Biedermannkrad bezeichnen. Das wäre gleichermaßen legitim wie ungerecht. Der Mythos Boxermotor hat soviel Kraft, Charakter und Eigenständigkeit, dass man ihn nicht einmal gewöhnlich erscheinen lassen könnte, würde man ihn in eine Küchenkredenz oder eine Sockenlade einbauen.
 

Es gibt nur ein zweites Modell der Neuzeit, das den Boxer noch stärker hervorhebt und zum elementaren Mittelpunkt des Motorrads macht: Die R 1200 C, jener vergessene Cruiser aus der Zeit, als Pierce Brosnan noch James Bond spielen durfte und die Filme mit dem britischen Geheimagenten mit Product Placement zugeschüttet wurden. Nicht nur für den Cruiser ein kontraproduktiver Marketingwahnsinn. Die Produktion der RC wurde 2004 eingestellt, eine Einheit steht seit 3 Jahren in leicht veränderter Form in meiner Garage. Viele haben behauptet, dass der Motor Schuld am bescheidenen Erfolg des Cruisers gewesen sei, der einfach nicht zu einem Motorrad dieses Typs passen würde. Ich habe 7000 Euro für eine Gebrauchte BJ 1997 mit 30.000 Kilometern ausgegeben (extrem günstig!) und behaupte das Gegenteil. Die RC legt das Wesen des Boxers so offen wie kein anderes Modell, das seither erschienen ist. Wenn ich meine RC fahre, dann fahre ich keine RC, dann fahre ich einen Boxer. Nur die R 1200 R kommt da annähernd ran.


Klassisch-modern
und klassisch-klassisch.


Sie S 1000 RR war also schneller vergessen als man die Start-Ziel in Almeria mit ihr einsaugt. Ein Boxer lässt einfach kaum einen Vergleich zu, außer mit sich selbst. Wie gut, dass sich BMW dazu entschieden hat, den Typ in zwei Modelle aufzuspalten, ein klassisch-modernes und ein klassisch-klassisches. Die normale R macht keine Experimente, übt sich mit ihrer matten, granitgrauen Lackierung in fast bescheidener Zurückhaltung. Auch die weiteren Farbvarianten nachtschwarz/uni, kristallgrau und alpinweiß glänzen nicht mit Auffälligkeit. Ebenfalls Bewährtem verpflichtet sind die zwei funktionell gestalteten Rundinstrumente, die wir uns auch in 20 Jahren noch so wünschen würden. Ein kürzerer Auspuff im Heck und neue Hydraulikbehälter in Rauchglas-Optik - viel mehr ist es eigentlich nicht. Und das musste es auch nicht sein. Das ist nicht nur bei der R so, BMW hat einige Modelle im Portfolio, bei denen eine sanfte, optische Überarbeitung ein größeres Risiko als die Einführung eines völlig neuen Modells darstellt.


Elektronische Auspuffklappe: Schön satt.


Die Classic hat mehr Stil. Mit Speichenrädern, Chromspiegeln und der silbernen Schwinge bekennt sie sich stärker zu ihren Wurzeln und verweigert den Versuch, modernen, Zeit gebundenen Designrichtlinien gerecht zu werden. Ihre Optik hat die Zeit überdauert und hinter sich gelassen. Das hier kommt nie wieder aus der Mode. Ganz sicher. Also kaufen.

Der Fortschritt wird wie immer erst durch die Technik erkennbar. Während es ABS, ASC (Anti-Schlupfregelung) und ESA (elektronisches Fahrwerk) schon seit der letzten Modellgeneration optional ab Werk gab, so wird nach der GS auch die R von einem von der HP2 Sport abgeleiteten Boxermotor mit 1170 ccm und DOHC-Ventiltrieb, also mit zwei obenliegenden Nockenwellen pro Zylinder, angetrieben. Der Boxer arbeitet nun noch geschmeidiger, spricht spontan an und erzeugt unerwartet viel Druck. Die elektronisch gesteuerte Abgasklappe sorgt dafür, dass diese souveräne Kraft auch akustisch zur Schau gestellt wird, ohne unangenehm zu werden. Schön satt. Man fühlt sich auf der R schon nach wenigen Kilometern so, als würde man sich einen Tag lang in einem mit viel Erfahrung und Tradition geschneiderten Maßanzug bewegen dürfen. Man verhält sich gepflegter als sonst, etwas reifer, ein wenig höflicher, auf jeden Fall stolz, aber vergisst in keiner Sekunde, dass man auch im Anzug die Fäuste fliegen lassen kann.


Im Maßanzug die Fäuste fliegen lassen.


Apropos Maßanzug. Die Sitzbank ist das spezielle Thema, das ich mir für den Schluß aufgehoben habe. Ihre Silhouette kann man beinahe als radikal bezeichnen. Während der Fahrer im Motorrad integriert fast schon zu niedrig sitzt, hockt man hinten drauf fast schon zu hoch. Allerdings entsteht gerade durch diese steile Welle ein eigener Roadster-Look. Einziger Kritikpunkt, der für Diskussionen bei Eingefleischten sorgen könnte. Das Fleisch am Hintern sitzt jedenfalls hervorragend. Und wer will, wird aber auch hier im Zubehörprogramm fündig: Sitzbank niedrig (Sitzhöhe 770 mm), Sitzbank Sport (Sitzhöhe 800 mm), Komfortsitzbank hoch (Sitzhöhe 830 mm), Tieferlegung (Sitzhöhe 750 mm). Alles Originalzubehör. Was bin ich vorher noch schnell gefahren?
 

Sieht auch von unten gut aus. Keine bösen Überraschungen warten auf Zuseher wie Fahrer.
Genug Bodenfreiheit für Leute ohne Racingleder.


Sitzwanne. Für den Fahrer fast zu tief,
für den Beifahrer fast zu hoch.
Alles auf einen Klick. Bei der R sind auf Wunsch
ABS,  ASC und ESA mit an Bord.
Passt für die nächsten 20 Jahre. Mindestens. Die Spoiler an der Gabel sind Luftzuführer.
Blitze-blanke Spiegel bei der Classic. Zweifarblackierung, in Chrom eingefasste Instrumente.

Die wichtigsten Merkmale der neuen R 1200 R

  • Zwei verschiedene Modelle. Neben der R gibt es nun auch eine Classic Version
  • Neuer, dynamischer Antrieb mit zwei oben liegenden Nockenwellen pro Zylinder
  • Steigerung des maximalen Drehmoments auf 119 Nm bei 6 000 min1 sowie der Nennleistung auf 81 kW (110 PS) bei 7 750 min1
  • Steigerung der Maximaldrehzahl von 8 000 auf nun 8 500 min1 für ein noch breiteres nutzbares Drehzahlband.
  • Verbesserter Durchzug
  • Spontaneres Ansprechverhalten bei optimierter Dosierbarkeit und deutlich verbessertem Lastwechselverhalten
  • Zylinderkopfhauben nun mit zwei anstatt bisher vier Befestigungsschrauben
  • Elektronisch gesteuerte Abgasklappe für satteren Klang
  • Leichtmetall-Gussräder (R 1200 R, Drahtspeichenräder mit Leichtmetall-Flachschulterfelgen (R 1200 R Classic)
  • Elektronisch einstellbares Fahrwerk ESA (Electronic Suspension Adjustment) (Sonderausstattung ab Werk)
  • BMW Motorrad Integral ABS in Teilintegralversion (Sonderausstattung ab Werk)
  • Automatische Stabilitätskontrolle ASC (Sonderausstattung ab Werk)
  • Neu gestaltetes Cockpit

Technische Daten BMW R 1200 R

Motor Zweizylinder Boxer
Hubraum 1170 ccm
Leistung kW/PS 81/110 bei Drehzahl min1 7750
Drehmoment Nm 119 bei Drehzahl min1 6000
Länge 2.145 mm
Radstand 1.495 mm
Leergewicht (inkl. 90% Kraftstoff) 223 kg

Interessante Links:

Text: kot
Fotos: 1000PS

   

Fazit: BMW R 1200 R 2011

Man fühlt sich auf der R schon nach wenigen Kilometern so, als würde man sich einen Tag lang in einem mit viel Erfahrung und Tradition geschneiderten Maßanzug bewegen dürfen. Man verhält sich gepflegter als sonst, etwas reifer, ein wenig höflicher, auf jeden Fall stolz.


  • Stilvoll
  • starker Motor
  • optimales ABS, ASC und ESA
  • harter, angenehmer Sound.
  • Sitzbank sehr ungewohnt.

Bericht vom 21.02.2011 | 43.033 Aufrufe

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