Diablo Rosso Corsa

Pirelli entwickelte endlich einen Reifen, der mehr PS bringt. Vollgas in Assen. Zuerst von den Marketingleuten, dann auf der Strecke.

Die Italiener von Pirelli bescheren mir hier in Assen nach der Superbike WM nun schon den zweiten herrlichen Tag. Man hätte es auch wie sonst üblich mit langen Einschulungen vor einem Streckenlayout oder unendlich langweiligen Turns hinter Guides erledigen können doch diese Methode hier ist weit wirkungsvoller. Bereift mit den neuen Diablo Rosso Corsa Reifen schickte man uns, rund 30 Journalisten aus aller Welt, hinter einem Guide auf die Strecke. Assen kannte niemand von uns, und die nassen Flecken am Asphalt sind quasi das Salz in der Suppe. Der Guide verschwindet schon bei der Boxenausfahrt am Horizont und der Spaß kann beginnen.


Menschentraube statt Perlenkette


Ich hatte noch die Bilder von den gestrigen Superbike WM Läufen im Kopf. Wie auf einer Perlenkette rasten Corser, Rea und Co komplett synchron durch die Kurven. Bei uns hier sah das, sagen wir mal so: "etwas anders aus". Die ersten Kurven wurden noch 7 in einer Reihe genommen, nebeneinander wohlgemerkt, ab Runde 2 waren wir dann nur mehr zu Dritt in  jeder Kurve. Wer nun meint unter solchen Bedingungen kann man keinen Reifentest abhalten der irrt gewaltig. Die Ideallinie war trotz der Menschenmenge in den Kurven immer komplett frei.

Doch der Know-How-Transfer von der Superbike WM in die Serie klappt normalerweise besser. Vor dem Abendessen, normalerweise eine undankbare Zeit für eine Präsentation, gab es eine Pirelli-Marketing-Show der Extraklasse. Die gesamte Führungsetage der Pirelli Motorrad Crew gab auf der Bühne ihr Bestes und berichtete von 28 Patenten der letzten Jahre welche man im Zusammenhang mit dem Engagement in der Superbike WM angemeldet hat. 50 waren es insgesamt. Dabei sind es nicht immer nur neue chemische Wundermittel oder neue High-Tech-Materialien in Reifen wie dem Diablo Rosso Corsa. Oft sind es auch für Außenstehende ziemlich langweilige Produktionsprozesse welche durch das Engagement in der Superbike WM perfektioniert werden.

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5000 Reifen am Wochenende für das beste Entwicklungsteam der Welt.


Keine Frage, es muss schon eine irre Herausforderung sein um jedes Wochenende 5.000 Reifen in gleicher Qualität zur Rennstrecke zu bringen. Dabei gibt es natürlich unterschiedlichste Mischungen, Karkassen und Profile zur Auswahl. Die Reifen müssen noch dazu auf den unterschiedlichsten Motorradkonzepten funktionieren und sollen im Renneinsatz eigentlich in den Hintergrund treten auch wenn sie eines der wesentlichsten Elemente sind. Die High-Tech Fabrik im deutschen Breuberg musste gewaltig aufgerüstet werden um diese produktionstechnische Herausforderung zu meistern. Auch die Qualitätsstandards mussten angehoben werden. Putzfrau, Lagerarbeiter, Produktionsstechniker und Chef Fehler sind verboten. Nicht auszudenken, wenn dem Haslam im Kampf um die WM-Krone 2 Runden vor Schluss die Luft aus dem Reifen kriecht. Praktischerweise macht es natürlich keinen Sinn die Fabrik für die WM auf High-Tech und eine Woche später dann für den Normalverbraucher auf Low-Budget zurückzurüsten. Sportliche Pirelli-Pneus wie eben der Diablo Rosso Corsa sind den Wunderdingern aus der WM näher als der Konkurrenz lieb ist.

Ein Wunder ist es auch, dass hier auf der Rennstrecke beim Test auch noch nicht schepperte. Die Ellbogenduelle waren nicht von schlechten Eltern. Der neue sportliche Strassenreifen glänzte auf alle Fälle mal mit einer ausgesprochen kurzen Aufwärmzeit. Wie Corser im 2. Rennen lauerte ich hinter den beiden Typen vor mir auf meine Chance. Sobald der Franzose dem Spanier die Türe zuschmeißt wird meine Zeit auf der GSX-R 750 kommen. Klar ist schon jetzt: Beim Einlenkverhalten und bei der Präzision erinnert mich der Reifen sehr viel mehr an einen Rennreifen als an eine Strassenhaut. Und der Grip am Kurvenausgang ist bei diesen Temperaturverhältnissen richtig gut. Klar hat der Reifen auf der Rennstrecke seine Grenzen, doch bei 10 Grad Außentemperatur fährt man kurze 15 Minuten Turns tatsächlich so als wären Racingpneus montiert.

Im richtigen Leben soll die Heimat des neuen Pirelli Pneus aber die Landstrasse sein. Man wird den Reifen auf feinst polierten Motorrädern finden. Auf Motorrädern wo Auspuffanlagen von Akrapovic und edle Teile von Rizoma glänzen. Die Fahrer tragen die neuesten Helme und ihre Kumpels lesen die Heldentaten der letzten Ausfahrt von ihren Lippen ab. Ein Reifen für Freaks, denen das Beste bei der Ausfahrt gerade gut genug ist. Über das Thema Laufleistung wurde bei der Präsentation übrigens nicht gesprochen, vermutlich weil es kein Thema ist. Die Pirelli Jungs können eben auch nicht zaubern, der Reifen ist wie er ist: schnell, präzise und nicht für die Ewigkeit.

Troy Bayliss, eigentlich schon in Racing-Rente, steht immer noch für Rennsport wie kaum ein Anderer. Die aktuelle Pirelli-Kampagne wurde unter dem Thema "every Day is a Race Day" sehr cool umgesetzt.


10PS mehr durch den neuen Reifen!


Ein Raunen ging jedoch durch die Journalistenrunde als man die Überlegenheit des Reifens in Zahlen ausdrückte. 10 PS bringt der neue Diablo Rosso Corsa am Kurvenausgang mehr auf die Strasse als die vergleichbaren Mitbewerber, versprach der Mann auf der Bühne. Sein sympathischer italienischer Akzent im Englisch und sein spitzbübisches Grinsen untermauerten die Glaubwürdigkeit. Die Journalisten im Saal sind dem gewieften Italo-Redenschwinger genauso verfallen wie Touristinnen in einer sommerlichen Adria-Bar.

Doch der Meister der Rhetorik konnte seine kernigen Aussagen auch messtechnisch belegen. Bei den Testfahrten auf der Pirelli-Teststrecke in Sizilien (übrigens ein Geheimtipp für den Sizilientrip, liegt im Tal der Tempel. Link)  wurden die Testmotorräder der Pirelli Crew mit GPS- und Beschleunigungssensoren ausgestattet. Man schickte die Testpiloten auf die Strecke und montierte neben den Pirellis auch noch die Reifen der Mitbewerber (hinter vorgehaltener Hand sprach man von BT-016, Sportsmart, Power Pure und SportAttack). Am Kurvenausgang wurde die Beschleunigung gemessen und entsprechend der schlauen Formeln im Physikbuch war klar, dass man den Mitbewerbern um 10 PS überlegen war.


Unzumutbar für den Leser?


Vor allem meine deutschen Kollegen konnten so viel Marketinglatein nicht länger ertragen also sowas können wir unseren Lesern unmöglich zumuten!, doch ich glaubte jedes Wort. Denn die Schlitzohren von Pirelli haben einfach Äpfel mit Birnen verglichen. Einen Reifen wie den Diablo Rosso Corsa gibt es von den anderen Herstellern einfach nicht. Man hat die Hypersport-Reifen im Programm (BT-016, Pilot Power, Sportec M5, usw.) oder eben die Race-Replicas (BT-003 RacingStreet, Racetec K3, usw.). Pirelli erweitert das bestehende Sortiment um eine neue Rubrik und sortiert den Reifen über den eher strassenorientierten Reifen und untern den Race-Replicas ein - verglichen wurde freilich mit den Strassenpneus.

Auch auf der Strecke wurde neu sortiert. Für Turn 2 wurden die Motorräder gewechselt und ich wählte die mir mittlerweile sehr bekannte S 1000 RR von BMW. Mal sehen ob die Heldenreifen auch mit den fast 200 Pferden der BMW klar kommen,  dachte ich und wütete am Gasgriff.

Die Pirelli-Crew verspricht einen tollen Reifen für Strasse und Strecke. In Wahrheit ist es eben immer ein gewisser Kompromiss. Meine Aufgabe als Schreiberling sehe ich hier darin, meinen Lesern zu berichten für WEN er der richtige Pneu hat. Das er ein guter Pneu ist, das steht nicht zur Diskussion ich bin bei solchen Präsentationen eigentlich noch nie schlechte Reifen gefahren. Doch ist er der richtige Reifen für Dich oder mich?

Ich klopfte die Eigenschaften des Reifens nochmal Punkt für Punkt ab. Einlenkverhalten und Handling sind Top. Offen gesagt, konnte ich hier keinen Kompromiss feststellen. Beim Anbremsen in der Kurve fällt es mir mit den reinrassigen Racingpneus aber leichter die Schräglage zu halten, hier mussten die Pirelli-Ingenieure also etwas zurückstecken. Auf den schnellen Stücken konnte ich mich auf den stabilen Reifen immer verlassen, auch auf den kritischen Eisen im Fahrerfeld konnte ich keine schlingernden Horrorszenen vernehmen. Auch beim Anbremsen bleibt die BMW sehr stabil und ich bremste eigentlich nicht anders als ich es mit Racingpneus mache. Beim Beschleunigen jedoch erreicht der neue Reifen seine Grenzen jedoch natürlich früher als bei den reinrassigen Rennstreckenpneus. Das war auf der 1000er von BMW natürlich deutlich offensichtlicher als bei den 600ern im Feld. Doch der Diablo Rosso Corsa verhält sich hier so wie es das Prospekt verspricht. Besser als die oben genannten Hypersportreifen und nicht ganz so performant wie die Rennstreckenpneus. Auf der Landstrasse wird der Mut von uns allen aber nicht reichen, um an die Gripgrenzen des Pneus zu erlangen.

Wer also soll ihn montieren? Mein Kauftipp an alle Landstrassenhelden die auf ihren Nakedbikes gerne richtig schnell fahren. Die Laufleistung wird vermutlich das Niveau eines Sportec M5 oder eines Diablo Rossos NICHT erreichen wem das nicht stört, der wird gewaltigen Spaß haben. Die Supersportfraktion mit den makellosen Fahrwerken kann auch gerne zu den noch sportlicheren Racetec K3 und Diablo Supercorsa SP greifen. Allerdings sollten sie dann nur bei tollem Wetter auf Tour gehen und wenn der Regen kommt am besten das Tourquartier nicht verlassen. Der Diablo Rosso Corsa bietet zumindest jenes Maß an Sicherheit im Nassen um halbwegs stressfrei zur nächsten Tourstation zu kommen.  Ihn als Allwetterreifen zu bezeichnen wäre aber übertrieben, im Nassen funktionieren Reifen wie Sportec M5 oder der normale Diablo Rosso besser.

Video: Pirelli Diablo Rosso Präsentation

 

Nenn mich wie Du willst!


Wer meint mit der "10 PS mehr"- Geschichte ist der Gipfel des Marketing-Olymps erreicht, kennt die Pirelli Crew schlecht. Der neue Reifen von Pirelli kann individualisiert werden. Über die eigens eingerichtete Webseite (Link) kann man spezielle Sticker ordern, welche dann mit dem mitgelieferten Kleber auf den eigens dafür freigehaltenen Platz am Reifen dauerhaft anzubringen sind. Am Ende des Tages sieht der Reifen mit dem Aufkleber dann tatsächlich so aus, als käme er mit DEINEM Namen aus der Fabrik. Die Kosten: 5 Euro für 6 Sticker samt Kleber sind zwar nicht nix, aber doch ein verschmerzbarer Betrag.

Man kann der Kreativität (fast) freien Lauf lassen. Es gibt verschiedene Layouts zur Auswahl. Man kann den Reifen mit seiner Landesflagge oder seiner Lieblingsrennstrecke schmücken und auch bei der Wahl des Textes am Pneu ist man sehr flexibel. FAST alle Wörter können auf den Reifen gedruckt werden, berichtet der Pirellimann auf der Bühne. Ein eigens eingerichtet Bad-Words Filter soll die übelsten Ferkeleien auf den Reifen von Pirelli verhindern. Ich werde sofort prüfen,  ob er mein Repertoire aus der Ferialjob-Zeit als Lagerarbeiter ebenfalls intus hat. Komischerweise hatten hier viele Kollegen den gleichen Gedanken der Webadministrator bei Pirelli wird beim nächsten Systemcheck vermutlich einiges dazulernen…

Video: Pirelli MyTyre

 

Reifendimensionen Pirelli Diablo Rosso Corsa

  • 120/70 ZR 17 M/C (58W) TL
  • 190/50 ZR 17 M/C (73W) TL
  • 180/55 ZR 17 M/C (73W) TL
  • 190/55 ZR 17 M/C (75W) TL
  • 160/60 ZR 17 M/C (69W) TL

"Was! Keine herrlich zartschmelzenden Steaks mehr am Grill? Mein sensibler Journalistenhintern verspürte ganz plötzlich ein dezentes Rutschen des präsentierten Reifens. Doch es verschwand sofort als ich den nicht minder leckeren Braten entdeckte..."

Video: Pitwalk in Assen

Ein Video direkt aus der Superbike WM Boxengasse. NastyNils blickte den WM Mechanikern über die Schulter und den Gridgirls auf die wunderschönen Schirmchen.

Bericht vom 29.04.2010 | 19.373 Aufrufe

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