Kawasaki ER-6N 09 Test

Kawa baut kein Spielzeug. Die ER-6N wird ernster - und bleibt anfängerfreundlich.

Kawasaki ER-6n 2009

Reihen-Zweier ganz vorn

ER-6n Test by Christoph Lentsch

Ende des Understatement. Anschluß an die Z-Serie vollzogen, im Winkelwerk schon dran vorbei.

 
Mallorca Montag Morgen. Kurve 234. Das dumpfe Poltern aus dem Auspufftopf unter dem Motor wird zum hellen Schnattern, sobald sich die spitze Kehre wieder zu einem stumpfen Bogen öffnet. Der rechte Fuß löst den Druck auf der Hinterradbremse, die rechte Hand dreht den Gasgriff nach unten und schiebt die Leistung nach oben, das Motorrad richtet sich wieder auf. 7000-8000-9000....Der Motor dreht und dreht am Rad, erreicht bei 8500 U/min. sein Maximum von 72,1 PS, das bei dieser Drehzahl aber noch nicht seine Endgültigkeit gefunden zu haben scheint. Die lange Schwinge hilft dem Vorderrad dabei, am Boden zu bleiben und greift dem Vortrieb unter die Arme. Der 120er vorne und der 160er hinten im kurzen Radstand reagieren auf Richtungswechsel und Kurskorrekturen mit Leichtigkeit und Präzision. 'Da geht jetzt noch viel mehr', denkt man, erst den dritten Gang ausgedreht, als sich die Straße schon wieder zu krümmen beginnt. Die Doppelscheibenbremse, 300 mm im Durchmesser und die Doppelkolbenschwimmsättel treffen die kurzfristigen Vorbereitungen für den nächsten Höhepunkt dieses Straßenfestes: Kurve 235. 

Dieses heilige Band des Asphalts, das sich gut versteckt und kaum beachtet durch den mallorquinischen Wald windet, gehört mit zum Besten, worauf ich je das Glück hatte mit einem Motorrad fahren zu dürfen. Erst hier habe ich verstanden, was der Begriff "Asphaltsurfen" bedeuten kann. Die Orgelpfeife unter dem Motor spielt die Tonleiter rauf und runter, inzwischen kümmere ich mich um den Wechsel der Gänge. Alles läuft jetzt ineinander, wie geschmiert, Motivation und Euphorie sind an ihrem Höhepunkt. Wieder einmal so, daß ich denke, man könne hier unmöglich noch schneller sein. Unter mir ein Motorrad für Fahrschüler und Frauen. Ich könnte mir in diesem Moment kein Besseres vorstellen.

ER-6n Test by Christoph Lentsch
 

Kawasaki ER-6n 2009

Was macht mehr Spaß? Einen 1000er zu 40% zu nutzen oder einen 650er zu 80%? Die ER-6n lieferte mir die Antwort.

Wer sich das Video auf seinen Computer downloaden möchte, klickt mit der rechten Maustaste hier und wählt "Ziel speichern unter".

Schnitt: Volli
Videodreh: kot


In den Jahren 2006 und 2007 haben 22.000 ER-6n in Europa einen neuen Besitzer gefunden, ein Viertel davon sind Frauen. Für mehr als ein Drittel (36%) war es das erste Motorrad, 40% hatten davor schon mindestens eines besessen. Auch Fahrschulen haben sich gerne für die ER-6n entschieden. Unkomplizierte, leichtgängige Fahrbarkeit gepaart mit der unvergleichbar homogenen Leistungsentfaltung eines Reihenzweizylinders. Und nicht zuletzt verpackt in ein modernes, dynamisches, wenngleich etwas verspieltes Äußeres. Mit 3 Jahren auf dem Buckel ist die ER-6n nun erwachsen geworden. Keine leuchtenden Lollipop Farben mehr, sogar das auffällige Candy Burnt Orange wirkt mehr seriös denn spaßig. Die Formen sind ausformulierter, zeigen mehr Selbstbewußtsein und rücken den schlanken Zweizylinder näher an die Muskelprotze der Z-Serie.

 
ER-6n Test by Christoph Lentsch

Achtung! Diese Fotos wurden unter Einhaltung strengster Sicherheitsmaßnahmen gemacht.
Der Fahrer ist ein Vollproletprofi. Das Fahren ohne Handschuhe ist äußerst gefährlich!
Auch Rauchen ist ungesund, habe ich mir sagen lassen.

Optische Aufwertung erfuhr die ER vor allem durch die Orientierung der Linien nach vorne, alles zeigt, wohin der Weg geht. Der Blick wurde ernster, auch wenn es bei genauerer Betrachtung des Scheinwerfers so aussieht, als würde die alte Einheit in einem Glashaus sitzen. Wie der Blick wurden auch Maske und Verkleidungsteile geschärft, die Form der Haltegriffe für den Sozius wirkt nun sportlicher. Die Griffe wurden außerdem seitlich montiert und sind Richtung Heck geöffnet. Sehr gefällig zeigt sich die überarbeitete Schwinge, deren dreieckigen Rohre nun besonders gut zum Rahmen passen. In dem schlanken Rahmen sitzt der innovative Reihenzweizylinder mit 649 Kubik Hubraum - gekühlt von einem um 4 cm breiteren Kühler - dessen Einspritzung neu eingestellt und speziell im Drehzahlbereich unter 4000 Touren besser anspricht und ruckfrei arbeitet, was mir vor allem in den unzähligen Spitzkehren entgegen kam. Man konnte die Kehren auch problemlos im zweiten Gang nehmen, ohne daß sich der Motor verschluckte. Man startete einfach nur gemütlicher aus der Ecke. Und um Lastwechsel mußte man sich sowieso nie Gedanken machen.

Ein Reihenzweier ist nur scheinbar eine Spaßbremse. Gleichmäßigkeit wird subjektiv nicht so spektakulär empfunden wie eine plötzliche Leistungsexplosion bei hohen Drehzahlen. Die ER-6 reißt demnach nicht an, sie zieht durch, teilt sich ihre Kräfte ein. Daß das schnell sein kann merkt man erst, wenn man das ganze Wochenende nicht überholt wurde. Viel wichtiger aber ist, daß dieser Motor den Spagat schafft, auf der einen Seite Anfänger, ungeübte und ängstliche Fahrer nicht zu überfordern und auf der anderen Seite Fortgeschrittene und sportlich orientierte Piloten mit seinem hohen Spaßfaktor trotzdem noch begeistern zu können. "Anfängertauglichkeit", "drosselbare Leistung" und "optional niedrige Sitzbank für Frauen" waren bei echten Männern noch nie die richtigen Argumente, um ihnen ein Motorrad zu verkaufen.

Apropos Sitzbank. Diese kann durch eine um 25 mm niedrigere und 10 mm schmälere Variante aus dem Zubehörprogramm ersetzt werden. Da müßte dann wirklich jeder draufpassen. Denn schon auf der Standardhöhe von 785 mm sitzt man ab einer Körpergröße von 1.80m gefühlsmäßig niedrig, in Kombination mit den höher als erwartet positionierten Fußrasten auf längeren Distanzen sogar etwas unbequem. Dafür setzt man bei starken Schräglagen nicht so schnell auf.

Die Sitzbank ist nicht die einzige Eigenschaft, die dieses Motorrad so einfach zu bewegen macht. Die gesamte Ergonomie wurde darauf ausgelegt, dem Fahrer oder der Fahrerin Vertrauen zu schenken. Wichtig dafür sind die Anordnung von Lenker, Sitz und Fußrasten sowie die geringe Breite von Tank/Sitz und Rahmen/Motor. Schon auf den ersten Metern hat man das gute Gefühl, die Kontrolle über dieses Motorrad zu haben. Nichts Anderes als der entscheidende Faktor, wie man letztendlich damit umgehen kann. (Daß man trotzdem im Stand mit den Füssen am Boden damit umkippen kann, haben ich und zwei andere bewiesen.) Den Umgang erleichtert auch das fahrfertige Gewicht von 204 kg, der geringe Radstand von 1405 mm und Reifendimensionen, die zwar nicht vor dem Eissalon, aber im Winkelwerk groß aufzeigen werden. Normalfahrern wäre noch das ABS zu empfehlen, Sportler sind ohne besser dran.

ER-6n Test by Christoph Lentsch
ER-6n Test by Christoph Lentsch

Orange war immer schon eine Macht am Berg. Jetzt auch von Kawasaki.

ER-6n Test by Christoph Lentsch
 
 

Im Kurven-Staccato ist die ER-6n mit ihren 72,1 PS eine Macht, auch wenn sie keine Supermoto ist. Hatte ich allerdings nach der Analyse aller technischen Daten nicht anders erwartet. (Noch nie war das Wenden auf einer zweispurigen Straße so einfach!) Richtig überrascht hat mich eher das Verhalten des quirligen Naked-Bikes im Highspeed-Test auf der Autobahn, normalerweise ein Schwachpunkt der wendigen Gattung. Während die neon-rote Tachometernadel immer weiter Richtung Bestmarke kletterte, blieb das Fahrzeug völlig stabil und ruhig. Kein nervöser Lenker, kein Pendeln, kein Grund vom Gas zu gehen. Am Ende 210 im Textil mit Rucksack, mit 220 gehörte der Tagessieg dem Kollegen in der Lederkombi. Zu bemerken wäre leider noch, daß zwar die Nadel ins Auge sticht, man aber auf der Skala mit unkenntlichen Zahlen auf dem weissen Tachoblatt nur sicher weiß, wann man steht und wann man Vollgas fährt. Ein schneller Blick bringt wenig Aufschluß, man muß schon genauer hinsehen, indes man doch der Straße diese Aufmerksamkeit schenken sollte. Ein Pluspunkt wurde mit der neu integrierten Tankanzeige gesetzt.

Nur eines vermißt man auf der ER-6n ganz deutlich, während man das komplette Drehzahlband abspielt: Vibrationen. Diese wurden durch Gummilagerung des Motors (mittels Silentblöcken) und des Lenkers weiter reduziert. Ebenfalls gummiert wurden die Fußrasten für Fahrer und Sozius. Ein Abschied also, der leicht fällt. Nicht so leicht werden manche mit der Tatsache klar kommen, daß der ER-6n der Wille zum Aufstieg fehlt. Wheelies muß man schon können, um sie zu können. Mehr Stabilität (verlängerte Schwinge) hat leider auch eine Schattenseite.

 
ER-6n Test by Christoph Lentsch
 
Die ER-6n sieht nun endlich so aus, wie sie klingt. Wie ein Big Bike. Kein Motorrad, das man nach dem ersten Jahr wieder hergibt. Bis man sein volles Potenzial ausgeschöpft hat, kann es lange dauern. Sie ist ein echtes Funbike, das man mit Windschild und Topcase (sieht auf dem hohen Gepäckträger immer noch horrend aus) auf Wunsch 'zweckendfremden' und für wirklich sinnvolle Fahrten nutzen kann. Dann greift man aber besser gleich zu ER-6F und ABS. Und läßt der Nackten ihren Spaß.

Lieferbar schon ab Jänner 2009! Preis ca. € 6.850.- (Vorjahrespreis!) Aufpreis für ABS: € 600.-

Farben, technische Daten und Zubehör

 

 

   
Interessante Links:

Text: kot
Fotos: Kawasaki

Fazit: Kawasaki ER-6n 2008

Kawasaki baut kein Spielzeug. Die ER-6N wird ernster - und bleibt anfängerfreundlich.


  • Leichtigkeit
  • Präzision
  • Fahrbarkeit
  • moderne, dynamische Optik
  • einsteigerfreundlich
  • vertrauensvolle Ergonomie
  • ABS.
  • Sitzposition mit Berücksichtigung auf die Fußrasten ab 1,80m unangenehm
  • kaum für Wheelies geeignet

Bericht vom 22.10.2008 | 17.197 Aufrufe

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