Gilera GP800

Gilera bringt den XXL Scooter. Größer als Burgman, TMax und Silverwing.

Gilera GP 800

 
Schauplatz Westautobahn, linke Spur. Ich laufe knapp vor Preßbaum auf einen Passat Kombi auf. Dunkelblau, 2,0-Liter-TDI, 140 PS. Der Krawatten-Herr am Steuer schaut in den Rückspiegel und gibt Gas. Das kennen wir. Motorrädern muss gezeigt werden, wos lang geht.

Als wir uns speedmäßig der endgültigen Führerscheinentzugs-Grenze nähern, gibt er endlich nach, zieht rüber auf die rechte Spur. Ich ziehe auf gleiche Höhe. Er schaut mich an. Ich schau ihn an. Er reißt die Augen auf. Schaut auf seinen Tacho. Schaut auf die Gilera. Schüttelt den Kopf. Klopft auf seinen Tacho. Schaut wieder auf mich. Ich zieh vorbei und davon. Detail am Rande: Vom Rückspiegel aus betrachtet, schaut sie eher wie ein Touren-Bike aus. Die leicht pummelige und reichlich lange Rollerfigur entpuppt sich erst seitlich betrachtet.

Nein, ich sag jetzt nicht öffentlich, wie schnell ich gefahren bin. Aber ich weiß, dass die GP800 zumindest laut Tacho dreistellig mit einem Zweier davor kann. Und dabei fahrwerksseitig verdaulich bleibt. Einzig Wind mag sie nicht. Zu viel Angriffsfläche. Es reißt einen jedenfalls ordentlich, wenn man eine Böe frisst.
 
Gilera GP 800

Ein Roller, der es mit den Großen aufnimmt.

Der Piaggio-Konzern, daheim im Schlaraffenland der Scooter, schob unter dem Label Gilera einen Roller auf die Zweiradbühne, der jenseits von Mega ist. Wohl hatten TMax, Silverwing und Burgman im Segment der Mega-Scooter das Hubraum-Limit schon längst in die Höhe getrieben. Suzuki hält nein, hielt bislang - die Spitze mit 55 PS aus einem 638 ccm-Zweizylinder, das Ganze garniert mit Automatik inklusive Tippfunktion.

Gilera legte sowohl beim Hubraum als auch bei der Leistung noch einiges drauf und taufte das Ganze GP 800. Man pflanzte den Piaggio-Konzern eigenen 839 ccm-V2 (ist bereits bekannt aus der Aprilia Mana) in einen Motorrad-verdächtigen Doppelschleifenrahmen und schneiderte ein Rollerkleid drum herum. Allerdings leistet das Aggregat im Vergleich zur automatischen Aprilia etwas weniger, das Mapping wurde auf fülligeres Drehmoment im mittleren Drehzahlbereich ausgelegt. So oder so: 69 PS für einen Roller sind nicht ohne. Auch von der Mana geerbt hat der fette Scooter die Automatik, diese ebenfalls mit modifizierter Abstufung. Und ohne Tipp-Funktion. Die Begründung für Letzteres: Man wolle sich nicht innerhalb des Konzerns kannibalisieren. Aha! Gerüchten zufolge solls aber künftig eine verschärfte GP800-Version geben. Mit schärferer Performance und Tipp-Funktion.

Doch so weit ist es noch nicht. Die normale GP ist ja gerade erst angekommen. Und damit schließen wir das fade Autobahn-Kapitel, stellen abschließend nochmals fest, dass das Fahrwerk das grausliche A1-Holperflickwerk vom Auhof bis Pressbaum ziemlich souverän glatt bügelt (der Radstand ist ja mit 1.585 Millimetern wohl lang genug) und rollen durch die erste Ortschaft.

Gilera GP 800 vorne
Gilera GP 800 Seitenansicht
Gilera GP 800 von oben

Wie man sie auch dreht und wendet: Sie ist und bleibt ein Roller, ein großer.

 

Entspannt, aber eindeutig zu schnell für das Auge des Gesetzes. Das aber vor lauter Schauen und Staunen gar nicht reagiert und auch nicht die Verfolgung aufnimmt. Kein Wunder. Der Response des V2 ist verzögerungsfrei und prompt, das Getriebe schaltet weich, ruckfrei und immer richtig. Der Sound aus dem Doppelendrohr ist äußerst verhalten. Man reist akustisch unauffällig.

Nach Ende des Ortsgebiets lasse ich die Gilera einmal ein bisschen über die Landstraße galoppieren. Weite Radien nimmt sie auch ohne Schenkeldruck, denn zum Drücken ist ja nicht viel da. Roller heißt schließlich kein Knieschluss. Das hemmt anfangs ein wenig das Vertrauen. Wenn das hergestellt ist, kann man doch ziemlich ordentlich andrücken. Und dann zeigt sie auch, dass sie Schräglagen durchaus kann, wurscht ob der Asphalt bügelglatt oder löchrig ist. Und zwar mit Schwingen statt Drücken. Nachdruck, sprich gezielte Gewichtsverlagerung, braucht sie dann aber doch, wenn engere Winkel Haarnadeln - umrundet werden sollen.

 

Flotte Wechselkurven sind nicht unbedingt ihr Revier. Da fehlt es ein wenig an Temperament seitens Antrieb und Fahrwerk. Sechzehner-Vorderräder sind ja nicht gerade bekannt für Einlenk-Agilität. Und würzige Kürze kann man dem Riesen-Roller ja auch nicht nachsagen. 1.585 Millimeter Radstand kennt man eher aus dem Segment der Cruiser und Straßenkreuzer. Und machen den Wende- nicht gerade zum kleinen Kreis. Nicht unvorteilhaft jedoch ist die Schwerpunktlage, nämlich tief unten, was auch notwendig ist, denn leicht ist das Trumm nicht. 275 Kilo vollgetankt. Was sich beim Rangieren einigermaßen ins Zeug legt. Und erst beim Raufhieven auf den Mittelständer.

Es ist anfangs recht gewöhnungsbedürftig, dass die linke Hand praktisch arbeitslos ist. Doch bald findet sich auch für die linke Hand etwas zu tun. Vielmehr für den linken Zeigefinger, zum Mitbremsen. Die Anker insgesamt sind absolut überzeugend und motorradwürdig. Wohl mit rollertypisch eher diffusem Druckpunkt, aber enorm effektiv. Weshalb für die Hinterradbremse, siehe oben, gewöhnlich auch der Zeigefinger durchaus ausreicht.

Fazit nach einer 250-Kilometer-Runde: Auffallen tut die GP 800 auf den ersten Blick nicht so sehr, wenn sie auf dem Parkplatz steht. Vielleicht liegt das an der Farbe des Test-Modells. Wir hatten sie in zurückhaltend gedeckt-dunklem Rot. Aufmerken tun alle die, die überholt werden, Auto- und Moped-Fahrer. Und aufgefallen ist sie auch einem älteren Herrn, der laut Erzählung einen Schwergewichts-Tourer sein eigen nennt. Denn die GP 800 hat durchaus auch Stauraum zu bieten. Zwar nicht in ausladenden Seitenkoffern, immerhin aber unter der Sitzbank. Da geht sich entweder ein Standard-Integralhelm aus, oder ein sparsamer Einkauf. Mehr nicht. Wer mehr mitnehmen will, muss einen Rucksack packen. Oder das optionale - Topcase montieren.

Gilera GP 800 von hinten
Gilera GP 800 Seitenansicht
 
Ein paar praktische Features hat die Riesenrolle auch noch: Die Frontscheibe ist per Knopfdruck in der Höhe verstellbar. Da kann man sich je nach Körpergröße aussuchen, ob man aufrecht mit dem Kopf im laut pfeifenden Wind oder buckelig geduckt hinter Plastik sitzen will. Die schürzenartig verbreiterte Front schützt übrigens nicht vor kalten Knien (und eine Sackerl-Aufhänge-Möglichkeit gibts bauartbedingt auch nicht). Dafür gibts eine Hand- beziehungsweise Feststellbremse, wie bei der Mana - sollte es sich die GP überlegen, davonrollen zu wollen. Apropos Bremse: Die Handhebel sind vierfach vestellbar. Und die Sitzbank kann man entweder per Schlüssel-dreh oder per Fernbedienung öffnen. Wie beim Auto. Autoträchtig, aber in der Zweirad-Welt direkt schon banal ist auch die Option auf ein Navigationssystem. Damit man nicht in die Irre rollert.
 
Gilera GP 800 Action Gilera GP 800 Stadt

Die Kraft eines Motorrads im Körper eines Rollers.
839 ccm, 69 PS, 71 Nm.

Klein genug für die Innenstadt und immer noch viel schneller als jedeNachteiles Auto.

 
Vorteile Nachteile
+starker Motor
+gut abgestimmte Automatik
+für einen Roller ein sehr gutes Fahrwerk
+überzeugende Bremsen
-hohe Windanfälligkeit
-ziemlich hohes Gewicht
-nicht berauschende Wendigkeit
-für einen Roller wenig Stauraum
 

Technische Daten Gilera GP 800

Motorbauart 2-Zylinder, 4-Takt-Motor, V 90°
Hubraum 839 ccm
Bohrung x Hub 88 x 69 mm
Leistung (homologiert) 50,5 kW (69 PS) @ 7.750 U/min
Max. Drehmoment 71 Nm @ 4.500 U/min
Kompresssion 10,5:1
Starter / Batterie E-Starter / 12V/14 Ah
Getriebe

stufenlose CVT-Automatik mit Ausdehnungsscheiben
und Drehmomentunterstützung, Keilriemen

Gemischaufbereitung elektron. Multipoint-Einspritzung (Drosselklappe 38 mm)
Steuerung 4 V / SOHC
Primärtrieb Keilriemen
Sekundärtrieb Kette
Kühlung Flüssigkeit, 2,4 Liter
Kupplung automatische, selbstlüftende Trockenkupplung.
Rahmen Doppelschleife, Stahl
Schwinge Alu-Zweiarm
Federung vorne Telegabel Ø 41 mm
Federung hinten Monoshock, seitlich (links) an der Schwinge abgestützt, Vorspannung einstellbar
Federweg vorne / hinten 126 / 135 mm
Bremse vorne 2 x Doppelkolben-Festsattel, 300 mm-Scheiben, schwimmend gelagert
Bremse hinten 1 x Einkolben-Festsattel, 280 mm Scheibe, schwimmend gelagert
Felgen, vorne / hinten 3,50 x 16"; 4,50 x 15", Fünfspeichen-Alu
Bereifung vorne / hinten 120/70 16; 160/60 R 15
Enddämpfer Doppelrohr
Radstand 1.585 mm
Länge/Breite/Höhe 2.230/790/1300
Sitzhöhe 790 mm
Tankinhalt 14 Liter / 1,8 Liter Reserve
Gewicht 248 kg
0 100 km/h 5,7 sec
Top-Speed Ca. 200 km/h

Preis Österreich: € 10.999,-

 

Details Gilera GP 800

Gilera GP 800 Tacho Gilera GP 800 Windschild
Das Cockpit schaut mehr nach Motorrad,
als nach Roller aus.
Das Windschild ist stufenlos höhenverstellbar,
elektrisch - per Knopfdruck.
Gilera GP 800 Bremse Gilera GP 800 Vorderrad
Feststellbremse, damit die Gilera nicht davonläuft. Vorne 16 Zoll und Doppelscheibe.
Gilera GP 800 Zündschlüssel Gilera GP 800 Fußrasten
Roller-typisches Zündschloss mit integrierter Sitzbankverriegelung. Elegant schmiegt sich der Soziusfußrasten, wenn eingeklappt, ins Kleid.
Gilera GP 800 Sitzbank Gilera GP 800 Schwinge
Kein Platz für zwei. Nur ein Integralhelm kann verstaut werden.

Nix da mit Roller-typischer Schwinge, das ist eine echte zweiarmige aus Alu.

Gilera GP 800 Action Gilera GP 800 Auspuff
Auf den ersten Blick ein Roller - auf den zweiten aber mehr als das. Mächtiges Doppel-Endrohr mit schmächtigem Sound.
  
 

Text: Beatrix Keckeis-Hiller
Fotos: Gilera

 

 

Fazit: Gilera GP 800 2008

Auffallen tut die GP 800 auf den ersten Blick nicht so sehr, wenn sie auf dem Parkplatz steht. Vielleicht liegt das an der Farbe des Test-Modells. Wir hatten sie in zurückhaltend gedeckt-dunklem Rot. Aufmerken tun alle die, die überholt werden, Auto- und Moped-Fahrer.


  • Starker Motor
  • gut abgestimmte Automatik
  • sehr gutes Fahrwerk für einen Roller
  • überzeugende Bremsanlage.
  • Hohe Windanfälligkeit
  • ziemlich hohes Gewicht
  • wenig Stauraum
  • unberauschende Wendigkeit.

Bericht vom 23.05.2008 | 51.826 Aufrufe

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