BMW HP2 und G650X

Anreise auf Achse, danach ins Gelände. Gelingt das kleine Abenteuer am Wochenende?
Ein Sommer wie damals! Ich erinnere mich gerne an die guten alten Zeiten. Damals als wir mit unseren für damalige Begriffe "harten Enduros" eine Sonntagsrunde fuhren. Ein wenig in den Wald, ein paar Feldwege und zum Abschluß in die Schottergrube. Die Ausfahrt wurde natürlich von einer standesmäßen Prolo-Show am Hauptplatz beendet. Mit Wheely, mit Drift und allem was dazugehört. Die Gurken wurden in die Garage geschoben und dann ging es ab am See.
Doch die Zeiten haben sich ein wenig geändert. Die harten Enduros von heute sind nun wirklich hart und damit ihm heimischen Wald zu fahren geht nun auch nicht mehr als Kavaliersdelikt durch. Die Enduroreviere der Österreicher liegen im 21. Jahrhundert im dem östlichen und südlichen Nachbarländern. In Deutschland sieht es nicht anders aus. Leider für viele zu weit um sie auf Achse zu erreichen.
Doch nun danken wir BMW für den Eifer bei der Modellentwicklung. Die letzten Nischen wurden besetzt und aktuelle Spielzeuge aus Bayern sind für Enduroausfahrten wie früher geschaffen. Denn die Kombination aus Tourentauglichkeit und Offroad-Performance wird gleich mit zwei Modellen perfekt abgedeckt und damit rücken die entfernten Enduro-Reviere wieder in greifbare Nähe.

BMW HP2

Die sündhaft teure Enduro mit einem verschärften 1200ccm Aggregat aus der GS 1200. Ausgestattet mit einem Luftfederbein wiegt die HP2 vollgetankt knapp unter 200 Kilo. Die Leistung wird mit verschwenderischen 105 PS angegeben. Voll offroadtauglich hat sie sich schon oft im Gelände bewiesen.

BMW G 650 X

Neu im Modelljahr 2007. Der Motor wurde vom oberösterreichischen Lieferanten ROTAX weiterentwickelt und liefert nun 53 PS ab. Diese natürlich auch so in den Papieren eingetragen, Euro 3 tauglich und das ganze bei niedriger Geräuschkulisse. Ebenfalls bereit für herzhafte Offroad-Einlagen.

Ganz ohne Anhänger oder Offroad-Bus starten wir ins kleine Vormittagsabenteuer...

Samstag 8:08 Uhr morgens. Abfahrt im heimatlichen Forchtenstein. Es wird ein heißer Tag, daher muss die Tour schon früh beginnen. Nach einem Zwischenstopp auf der Tankstelle wird 30 Minuten später die ungarische Grenze passiert.

9 Uhr, Nagycenk (HU): Wir passieren den Tunnel und nehmen Kurs auf das herrliche Enduro-Gelände. Zu Tageszeiten jederzeit für den Preis von 12 Euro legal befahrbar. Inklusive Motocross Strecke und zahlreichen Enduro-Kilometern.
Anreisebeschreibung Enduro und MX-Gelände Nagycenk: Grenzübergang Klingenbach-Sopron-Bundesstrasse weiter immer Richtung Sarvar. Ca. 2 km nach dem Ortsende von Nagycenk auf der linken Seite.

Die Aufwärmübungen auf den ersten Hängen sind schnell erledigt. Besonders die G 650 X ist ein herrlich einfach zu fahrendes Motorrad. Die HP2 macht zwar ebenfalls alles mit, fordert aber ein wenig mehr Mut. Das Geheimnis im Gelände: Die G 650 X  bietet eine sehr komfortable Stehposition. Man kann ewig in den Rasten stehen und in dieser Position lässt sich die BMW sehr zielsicher dirigieren.
Trotz Alltagstauglichkeit und ausgelutschter Reifen mussten wir vor keinem Steilhang umdrehen. Die 650er beeindruckt mit viel Traktion und sehr guter Balance. Auch die vermeintlich dicke HP2 macht alles mit. Spürbar werden die 200 Kilo nur bei steileren Bergabpassagen. Gegen die Schwerkraft kann auch ein gutes Fahrwerk nix ausrichten.
Bei den schnellen Passagen erfreut man sich an den 105 PS. Muss man probiert haben um wirklich überall mitreden zu können. Schiebt grimmig an!
Diesen Steilhang zu bezwingen ist sicherlich keine besonders schwierige Aufgabe. Trotzdem sensationell: Ein Motorrad zu bauen, welches diesen Steilhang mit Freude packt, danach eine einstündige Heimreise auf sich nimmt und erst 10.000 Kilometer später zum Service muss. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die G 650 X ist KEIN Nachfolger der milden F 650 GS. Das spürt man erstens beim Zupfer am Gasgriff am Vorderrad und nach langen Touren am Hintern.
Bergauf fühlt sich die HP2 wesentlich leichter an als bergab. Das dickste Trialmoped aller Zeiten. Der niedrige Schwerpunkt des Boxermotors macht das unmögliche möglich: Auch bei niedrigen Geschwindigkeiten kann man exakt und präzise durchs Gelände zirkeln.
Im Gegensatz zur HP2 ist die G 650 bei steilen Abfahrten absolut Rookie-tauglich. Das Motorrad verlässt niemals die Spur und bringt den Piloten äußerst unspektakulär nach unten.
Dort wo Bewegung im Sattel notwendig ist war die halb so starke 650er trotzdem schneller. Im Schatten des Waldes machte die Tour noch Spaß....
...doch im freien Feld wurde die Sonne mittlerweile erbarmungslos.
Bei der Heimfahrt konnten wir dann doch nicht anders. Der Mittagshitze mit mittlerweile 34 Grad im Schatten verdankten wir die gähnend leeren Wälder. Ein kurzer Abstecher war so kein Problem. Hier wussten wir dann auch die 100% legalen und dezenten Auspuffanlagen zu schätzen.

Klar gab es auch diesmal wieder das große Finale am Hauptplatz. Doch Photos liefern wir davon keine.

Denn erstens kann der Photograph nicht so schnell verschwinden wie der driftende Pilot. Und zweitens würde ein Photo vom Drift die Illusionen des Fahrers zerstören. Leider bzw. zum Glück fühlt sich der Driftwinkel vom ausbrechenden Hinterrad in Natura immer wesentlich schärfer an als am Photo.

Doch früher sorgten Showeinlagen noch für wesentlich mehr Aufmerksamkeit unter den Passanten. Nicht weil damals etwa der Driftwinkel größer war, sondern die akustische Untermalung für mehr Spannung sorgte.

Mexxla arbeitet. Das ist uns ein Foto wert.

BMW G 650 X und BMW HP2
Die Details

Die G 650 X wirkt gut proportioniert. Die HP2 scheint vorne etwas zu breit und hinten etwas zu schmal. Vorm ersten Aufsitzen hat man schon ein wenig Angst.
Die Fronten im Vergleich. Die HP2 wirkt minimalistischer die G 650 X etwas moderner.
Die 300er Scheibe meistert ihre Aufgabe in der G 650 X spielerisch. Auch bei harten Bremsmanövern auf der Strasse. Bei der HP2 ist die Hinterbremse deutlich stärker dimensioniert. Was vor allem bei Bergabfahrten nicht von Nachteil ist.
Mächtige Einarmschwinge mit Kardanantrieb bei der HP2. Die Gussschwinge der G 650 wirkt dagegen sehr zierlich.
Die lackierten Plastics sehen an der G 650 X richtig edel aus - solange sie nur nicht im Gelände geschändet werden. Da bietet die HP2 schon weniger Angriffsfläche für Kratzer. Eigentlich kriegen nur die Zylinder ihr Fett ab, der Rest des Motorrades bleibt immer frisch.
Wesentlich widerstandsfähiger als die Plastics sind jedoch die hochwertigen Aluteile an der G 650 X.

Die Arbeit der klassischen Feder wird bei beiden Motorrädern hinten von komprimierter Luft verrichtet. Anstelle von Federvorspannung kann man mit der mitgelieferten "Fahrradpumpe" die Vorspannung erhöhen. So kann man das Fahrwerk perfekt auf jeden Beladungszustand (=Fahrerwampe) anpassen. An der Seite der Motorräder hat man eine kleine Wasserwaagen implementiert, mit deren Hilfe man das Fahrwerk perfekt ausbalancieren kann. Auch die Zug- und Druckstufe können stufenlos eingestellt werden. Sowohl Federung als auch Dämpfung im Federbein geschehen mit Luft.

Keine Experimente bei der Gabel. 45 mm USD Gabel an beiden Motorrädern. Beim Lenker wurde ganz klar der komfortable Weg eingeschlagen. Goldrichtige Entscheidung: Durch die hohe Platzierung kann man total entspannt stehend fahren.

Fazit

Klar ist die G 650 X Challenge das realistischere Motorrad. Die HP2 strahlt aber doch ihren Reiz aus. Technikfreaks wird begeistern, wie BMW es geschafft hat, ein übermotorisiertes und eigentlich zu schweres Fahrzeug mit viel Technik-Einsatz geländegängig zu machen. In Wahrheit wird es der HP2 aber ähnlich wie der Superenduro von KTM ergehen. Viele Käufer werden sich nicht finden, bei den hauseigenen Enduro-Trainings und Events wird sie aber ein beliebtes Fahrzeug werden. Denn zumindest einmal gefahren muss man zumindest als BMW-Fan die HP2 schon sein. Beste Gelegenheit bieten die hochwertigen Reiseangebote und Fahrertrainings von BMW mit der HP2.

Die G 650 X hat das gleiche harte Los wie auch alle anderen Einzylinder zu tragen. Um gleiches Geld kriegt man von den Japanern 3 Zylinder mehr geliefert. Einzylinderfreunde bekommen mit der G 650 X aber eine tolle Bereicherung zur Verfügung gestellt. Mit 10.000 km Serviceintervallen, einem ausgewogenen und nirgendwo extremen Gesamtkonzept bringt BMW die Abenteuer wieder in greifbare Nähe. Die Anreise zu den wenig noch zu befahrenden Schotterrevieren ist damit auch auf Achse zu bewältigen, die Fahrt in den Urlaub mit Abstrichen beim Sitzkomfort macht wirklich Spaß. Preis und Sitzhöhe werden viele abschrecken, der Rest jedoch kann überzeugen.

Die Gegner

BMW HP2:

Es gibt eigentlich nur einen Gegner: Die KTM 950 Super Enduro R. Trotz des deutlich niedrigeren Preises aber ebenfalls ein Exote. Weder die BMW noch die KTM werden in Natura häufig gesichtet. Leistungsmäßig liegen beide Motorräder auf einer Ebene. Die BMW macht mit 200 ccm mehr Hubraum natürlich im Drehzahlkeller mehr Dampf, die KTM fühlt sich oben sportlicher an. Obwohl die BMW durch den ausladenden Boxermotor etwas klobiger aussieht, ist sie der KTM im langsamen und engem Gelände überlegen. Die BMW punktet hier mit dem niedrigen Schwerpunkt. Wenn das enge Gelände aber so eng wird, dass die Zylinder hängen bleiben, hat sich das mit dem Vorteil aber erledigt. Die KTM liegt auf schnellen Schotterpassagen etwas besser. Auch auf der Strasse, mit entsprechender Bereifung natürlich, hat man mit der KTM mehr Spaß. Auf Asphalt fühlt sich die HP2 nur in der Version MEGAMOTO wirklich richtig wohl.

In der Praxis ist der härteste Gegner der HP am Ende des Tages aber dann doch die BMW R 1200 GS. Auf der Strasse und bei der langen Reise souverän. Im Gelände gelingen auch mit ihr jene Schotterpassagen, welche realistischerweise für die meisten Interessenten ohnehin genug des Abenteuers sind. Auch 1000PS überzeugte sich schon von der Abenteuer-Beständigkeit der GS 1200 im Enduro-Park Hechlingen.

BMW G 650 X:

Echte Gegner findet man im aktuellen Modellprogramm der anderen Marken eigentlich keine. Freilich hat KTM viele Enduros im Programm, doch ein echtes Gegenstück kommt vermutlich erst nächstes Jahr auf den Markt. Sämtliche Modelle auf EXC Basis sind zwar grandios im Gelände aber für den täglichen Gebrauch würden wir sie nicht missbrauchen. Eine XT660 von Yamaha ist ein treuer Begleiter für die Stadt und bei netten Ausfahrten, kann im Gelände mit der BMW aber auf keinen Fall mithalten. Die XR von Honda und die DR-Z von Suzuki verschwanden mit den aktuellen Abgasvorschriften aus den heimischen Prospekten. Das moderne Aggregat von BMW hat mit den aktuellen Abgasvorschriften natürlich kein Problem. Gegner gibt es eigentlich nur am Gebrauchtmarkt. Klarerweise zum günstigeren Preis aber technisch nicht mit jenen Leckereien ausgestattet, wie BMW sie bietet.

BMW Technische Daten

 HP2 Enduro G 650 Xchallenge
Motor Luft-/ölgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor Flüssigkeitsgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor mit Doppelzündung
Hubraum 1170ccm 652ccm
Bohrung/Hub 101/73 mm 100/83 mm
Leistung 77/105 kW / PS 39/53 kW / PS
bei Drehzahl7.000 U/min 7 000 U/min
Drehmoment115 Nm 60 Nm
bei Drehzahl5.500 U/min 5 250 U/min
Verdichtung 11,0 : 1 11,5 : 1
Elektrische Anlage
Lichtmaschine600 W 280 W
Batterie12 V / 12 Ah, wartungsfrei12 V/10 Ah, wartungsfrei
Kraftübertragung/Getriebe
Kupplung Einscheiben-Trockenkupplung, hydraulisch betätigtMehrscheibenkupplung im Ölbad
Getriebeklauengeschaltetes Sechsgang-Getriebe mit Schrägverzahnungklauengeschaltetes Fünfganggetriebe
Hinterradantrieb Kardan Kette
Fahrwerk
Rahmenbauart Gitterrohrrahmen aus Stahlrohren Stahl-Brückenrohrrahmen mit angeschraubten Alu-Gussseitenteilen und Alu-Rahmenheck
Radaufhängung Vorderrad USD-Telegabl, Standrohr 45 mm USD-Telegabel, Standrohr 45 mm
Radaufhängung Hinterrad Geschmiedete Aluminium-Einarmschwinge mit BMW Motorrad Paralever Aluminium-Zweiarm-Gussschwinge
FederbeinAir Damping System Air Damping System
Federweg vorn/hinten270 mm/250 mm 270 mm/270 mm
Nachlauf157 mm 118 mm
Radstand1625 mm 1500 mm
Lenkkopfwinkel57,5 Grad 62,5 Grad
Einscheibenbremse vorn Doppelkolbenzange, 1 x 305 mm Doppelkolbenzange, 1 x 300 mm
Einscheibenbremse hi. Doppelkolben-Schwimmsattelzange/ 265 mm Einkolben-Schwimmsattelzange/ 240 mm
RäderSpeichenräder Speichenräder
vorne1,85 x 21 1,60 x 21
hinten2,50 x 17 2,50 x 18
Reifen90/90-21 90/90-21
 140/80-17 140/80-18
Maße und Gewichte
Gesamtlänge2 350 mm 2 205 mm
Gesamtbreite mit Spiegeln 880 mm 907 mm
Sitzhöhe920 mm 930 mm
Trockengewicht 175 kg 144 kg
Zul. Gesamtgewicht 380 kg 335 kg
Tankinhalt13,0 9,5
 

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Bericht vom 05.08.2007 | 13.888 Aufrufe

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