Kawasaki ZX-6R

Endlich fühlte sich der Testpilot richtig schnell. Diesmal passte aber auch alles. Das Bike, die Strecke und vor allem der Trainer. Die neue ZX-6R im Test.

Wie findet man 4 Sekunden in 3 Runden? Man setze einen untalentierten Journalisten auf ein talentiertes Motorrad und versorgt ihn endlich mit einer Portion fahrerischem Know-How in Form eines Superbike Stars. Die neue ZX-6R erwies sich als perfekter Partner für die intensive Trainingseinheit. Blindes Vertrauen ins stabile Chassis bringt endlich Kurvenspeed.

   

Die ZX-6R in Fahrt

   

Pushing hard! On the wrong places!

Das Feedback vom Kawasaki Superbike Routinier Akira Yanagawa nach dem gemeinsamen Turn war motivierend und ernüchternd zugleich: Nils San! You are pushing very hard…..but on the wrong places! Die neue 6er Kawa und ich konnten also schnell fahren, nur nicht dort wo wir schnell sein sollten. Darauf kann man aufbauen dachte ich und bettelte bei Akira San um eine kurze Lernstunde.

Bis jetzt lag meine Bestzeit mit der Kawasaki ZX-6R hier im Barber Motorsport Park in Alabama bei 1:44. Das sind 11 Sekunden mehr als der Kawasaki Supersport WM Pilot Pere Riba für eine Runde benötigt. Akira San stieg auf und legte die Linie vor.

Ich vertraue blind: Anti Hopping Kupplung

Kurve Eins nach der Startziel Geraden wird über ein Kuppe angebremst. Das Heck wird leicht und hier weiß ich die Vorzüge der makellos abgestimmten Anti-Hopping Kupplung wirklich zu schätzen. Drei Gänge werden zurück geschalten, der Kupplungshebel wird bedenkenlos ausgelassen und der vordere Anker wird geworfen. Das Hinterrad wird durch die Motorbremse mit Hilfe der Anti-Hopping-Kupplung fein säuberlich dosiert mitgebremst und das Bike zieht ruhig und gelassen seine Spur in den Kurveneingang. Akira lässt die Bremse früh aus und lässt die Ninja mit beängstigendem Speed in die Kurve fallen und fährt auch die darauf folgende lange Rechts mit erschütterndem Kurvenspeed.

Deutlich mehr Kurvenspeed

Der weise Japaner vor mir machte auf mich einen äußerst zuverlässigen Eindruck und ich ließ meine Kawasaki einfach von der Leine. Der neuen ZX-6R traue ich mehr Kurvenspeed zu als meinem Vorgängermodell. Das liegt vermutlich auch am stabileren Chassis welches die Grätsche zwischen Agilität und Stabilität besser schafft als die Modelljahre davor. Fehler am Lenker oder kleine Änderungen am Fahrwerk werden nicht mehr mit Unruhe an der Front bestraft. Die Kawasaki liegt äußerst ruhig in der langen und schnellen Kurve in welcher am Kurvenausgang bis in den 4er geschaltet wird.

Er fährt NICHT quer!

Die nächste Bremszone verläuft ebenfalls über eine Kuppe und Akira verzichtet auf die üblichen demütigenden Spielchen der WM-Stars. Er stellt die Ninja nicht quer in die Kurve sondern fährt einen einfachen und nachvollziehbaren Fahrstil. Er bremst etwas früher, lässt die Bremse jedoch auch wieder früher aus und legt sofort am Kurveneingang den Gasgriff ein klein wenig um. So nutzt er das enorme Potential der Kawa in Sachen Kurvenspeed perfekt aus und zoomt sich zur nächsten Kurve.

Die neue ZX-6R ist also ein Bike für klassische Supersport Piloten. Runde und weiche Linien, viel Gas und viel Beschleunigung über den gesamten Kurvenverlauf sind ihre Stärken. Natürlich auch in Kurven in welchen die Gänge durchs Getriebe sortiert werden müssen.

Das Fahrwerk hat Reserven!

Die nächste Passage wird im Windschatten von Yanagawa zur Schlüsselstelle für das Serienfahrwerk. Nach einer kleinen Schikane folgt eine harte Rechts Kurve in einer Senke. Die Gabel wird hier also durch das Bremsmanöver und die Kompression gnadenlos in die Mangel genommen. Doch der japanische Supersport Techniker hat mir in der Boxengasse ein glänzendes Setup gezaubert, welches ich mit Sicherheit 1:1 in den Kawa-Cup übernehmen werde. Die Gabel behält auch in dieser Passage noch einen ganzen Zentimeter Federweg und war trotzdem in keiner anderen Passage der Rennstrecke zu straff abgestimmt.

Hier liegen die Sekunden

Die folgende schnelle Schikane wiederum fordert den Fahrer wesentlich intensiver als das Motorrad. Lange Gerade, kurze Schikane, nächste Gerade. Wer hier am Gasgriff zaudert, wird von der Stoppuhr bestraft. Gesagt, getan, legte Akira San eine mir völlig unbekannte Linie vor und fuhr auf der nächsten Geraden mehrere Motorradlängen an Vorsprung heraus. Sein Rezept war auch diesmal einfach aber effektiv. Er wählte den Punkt der Richtungsänderung extrem weit in die erste Kurve der Schikane. Also dort wo ich noch gemütlich die erste Kurve zu Ende fuhr, warf er mit einem deutlichen Impuls am Lenker die Ninja schon in den nächsten Radius und verwandelte die zweite Kurve in eine Vollgas Gerade.

Konsolidierungskurs in Sachen Chassis

Auch in der Schikane spürten wir das neue Fahrwerkskonzept der ZX-6R. Das neue Bike ging in Sachen Handling einen Konsolidierungskurs. Immer leichter, kürzer und agiler war in engen Kurven zwar nett, brachte aber auf komplexen Strecken mit Bodenwellen oder bei heiklen Reifen auch immer Unruhe mit sich. Kawa hält mit der ZX-6R das Handling-Niveau vom Vorgängermodell, legt aber in Sachen Stabilität deutlich zu. Das neue Bike ist also keine ultraquirlige Waffe, sondern ein sehr homogenes Konzept welches sich in keiner Passage der Strecke Schwächen erlaubt.

Die Schandkurve

Die letzte Passage vor Start und Ziel wurde vom Kollegen Berzerk treffenderweise auch als "Schandkurve" der Journalisten bezeichnet. Er sagte er fahre sie schlecht, doch ich fahre sie noch schlechter und er konnte überholen. Doch auch hier konnte Akira-San mit wenigen Handgriffen sofort für Abhilfe sorgen. Ich hasse Kurven mit enger werdendem Radius. Denn dann muss die gnadenlose Bremse fast in voller Schräglage gezogen werden. Yanagawa hat als Japaner natürlich grenzenloses Vertrauen in den Bridgestone BT-002 Vorderreifen und gibt hier alles. Die Kawa bleibt bei Bremslast auch in Schräglage noch voll manövrierfähig und lässt einem hier alle Möglichkeiten offen.

4 Sekunden in 3 Runden

Akira San winkte mich nach vorne und kontrollierte das Ergebnis seiner Lehrstunde. 3 Runden später sprach die Stoppuhr eine deutliche Sprache: 1:40.6. Unvorstellbare 4 Sekunden schraubte mir der allwissende Japaner innerhalb kürzester Zeit hinunter. Ich war voller Euphorie und fühlte mich nun würdig genug für ein wenig Technik-Smalltalk mit den anwesenden Kawasaki-Rennfahrern.

Die beste Infoquelle: Unzensurierte Rennfahrer

Bei der Präsentation von neuen Modellen erlauben sich die Hersteller selten Fehler, und das Bike wird mit einem perfekten Kombination von Reifen und Fahrwerkssetup hingestellt. Die erste Ernüchterung kommt dann oft auf der heimischen Rennstrecke bei anderen Temperaturen, anderen Reifen und nicht ganz so fähigen Fahrwerksexperten. Ein offenes Gespräch mit den Rennfahrern soll hier für Aufklärung sorgen.

Pere Riba: "Wir testeten die neue ZX-6R im Serienzustand auch schon mit den Pirelli Reifen für unsere Einsätze in der Supersport WM. Das Basis Setup funktionierte sofort und wir konnten innerhalb kürzester Zeit konkurrenzfähige Rundenzeiten fahren!"

Ich muss hier natürlich noch festhalten, dass Rennfahrer sehr selten gut geschult in Sachen Marketinglatein sind. Sie haben vielmehr ein echtes Talent haben, Fehler an Motorrädern ihrer Sponsoren völlig ungeniert breit zu treten. Erwischt man den Rennfahrer alleine ohne wachendem Auge im Genick, sind im Normalfall echte Wahrheiten zu erfahren. Die Aussagen sind also ernst zu nehmen.

Funktioniert mit allen Reifen

Das Statement der Mechaniker aus der amerikanischen AMA-Serie passte ebenfalls ins Bild. "Auch mit den Dunlops funktionierte die neue Kawa auf Anhieb. Und das obwohl noch keine Öhlins Komponenten fürs Fahrwerk verfügbar sind und wir einfach die Teile aus dem Vorjahr reingestoppelt haben."

Akira Yanagawa bringt es auf den Punkt: "Die ZX-6R ist in Sachen Abstimmung wesentlich besser als die ZX-10R und auch besser als das Vorgängermodell. Sie reagiert bei weitem nicht so sensibel und kritisch auf Änderungen der Umgebungsparameter. Das Basissetup funktioniert mit allen Reifen auf unterschiedlichen Strecken schon sehr gut."

Man kann sich also bei der neuen ZX-6R schon zu Saisonbeginn auf die Feinabstimmung konzentrieren und ist nicht mit dem Ausbügeln von Schwächen beschäftigt.

Fast komplett

Ich bin ein Freund von kompletten Paketen welche aus der Kiste heraus funktionieren und komplett ausgestattet sind. Die Kawa lässt mir hier keine Wünsche übrig. Motor, Fahrwerk und Bremse werden mich 100% zufrieden stellen. Gimmicks wie Ganganzeige im Cockpit und Anti-Hopping Kupplung möchte ich nicht mehr missen. Meiner Meinung nach sind diese kleinen Details für Hobbyfahrer auf meinem Niveau noch wesentlich wichtiger als für die Superstars auf den WM-Strecken. Der serienmäßig Laptimer im Cockpit spendiert mir die nötige Motivation und auch das Design macht mich glücklich. Es passt also irgendwie nicht ganz ins Bild, dass Kawa bei der ZX-6R auf einen serienmäßigen Lenkungsdämpfer verzichtet hat. Bei der neuen ZX-10R vor einem Jahr, freute ich mich noch über das serienmäßige Öhlins-Teil und wurde nun ein wenig enttäuscht. Die Kawasaki Techniker kommentieren trocken: "Das Fahrwerk der ZX-6R funktioniert so gut, es kommt ohne Lenkungsdämpfer aus!" Da haben die Jungs in Grün die Rechnung aber ohne unfähige Piloten im Sattel gemacht. Ich kann jede Hilfe am Steuer brauchen. Mangelndes Talent muss durch bedingungslosen Einsatz von Technik kompensiert werden.

Gute Rundenzeiten sind nicht zu verhindern

Doch dieses Detail wird einer erfolgreichen Racing-Saison nicht im Wege stehen. Ein Teil aus dem Zubehör wird noch vor dem ersten Rollout montiert. Die Motivation ist groß und das Vertrauen nach Akiras Vorgabe ist grenzenlos. Ich werde den Kurvenspeed maximieren und früh wie nie zuvor ans Gas gehen. Erste Rundenzeiten gibt es nach dem ersten Kawa-Cup Lauf am 30. April 2007. Diese Maschine wird die Rundenzeiten sinken lassen, das werde selbst ich nicht verhindern können.

   

REITWAGEN Tipp: Die ZX-6R in der Februar Ausgabe

Beim Track Day auf der beinharten Rennstrecke in Alabama war der Druck auf Berzerk enorm. Immerhin wurde hier wenige Wochen zuvor ein Bike vom Nachwuchs in der Redaktion geschrottet. Der Meister stieg jedoch nicht in die Fußstapfen des Lehrlings und blieb cool. Am Ende des Tages wurde laut über ein Engagement im Kawa Cup nachgedacht. Alle Details zum Quereinstieg im nächsten Reitwagen.
 

Munition für den Stammtisch

  • Bedingungslose Konstruktion für die Rennstrecke. Das Design ist eine Geburt des Windkanals und kein Hirngespinst von Marketing Strategen. Kein Schicki-Micki Racer!

  • Lässige Racing-Features fertig an Bord. Anti-Hopping, Laptimer, Ganganzeige...

  • Klingende Hypergimmicks, Megazahlen, mächtige Elektronikfeatures oder Weltraumlegierungen für geduldiges Prospektmaterial wurden eingespart. Was bleibt ist ein penibel aufgebautes und in vielen kleinen Details sehr durchdachtes Bike für schnelle Rundenzeiten. Den lieben Freunden am Stammtisch also einfach einen unbestechlichen Zeitenausdruck unter die Nase halten.

   

 

   

Kawasaki ZX-6R Bericht:

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Fazit: Kawasaki Ninja ZX-6R 2006

Die Kawa lässt hier keine Wünsche übrig. Motor, Fahrwerk und Bremse werden einen 100% zufrieden stellen. Diese Maschine wird die intensiv Rundenzeiten sinken lassen, das wird selbst der Fahrer nicht verhindern können.


  • Anti-Hopping Kupplung
  • starkes Gesamtpaket
  • optimales Fahrwerk
  • Stabilität
  • funktioniert mit allen Reifen
  • fast komplett.
  • Unruhiges Fahrverhalten auf komplexen Strecken mit Bodenwellen
  • sehr sportliche Gesamtabstimmung => Vorteil für Rennstrecke, Nachteil für Straße

Bericht vom 24.12.2006 | 17.957 Aufrufe

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